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Verfassungsschutz warnt: Szene der Reichsbürger um ein Drittel gewachsen

Verfassungsschutz warnt: Szene der Reichsbürger um ein Drittel gewachsen

Verfassungsschutz: Reichsbürgerzahl um ein Drittel gewachsen

Eckard Gehm/shz.de
Kiel
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Schilder am Eingang zum mittlerweile aufgelösten Reichsbürger-Camp in Owschlag. Foto: Matthias Hermann

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Die Szene der Reichsbürger hat in Schleswig-Holstein Zulauf bekommen. Der Verfassungsschutz beobachtet Siedlungsprojekte, will aber nicht sagen, wo genau.

In Schleswig-Holstein ist Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter um rund ein Drittel auf 640 Personen angewachsen. „Der massive Zulauf hing teilweise mit diffusen Zukunftsängsten zusammen“, erklärte Innenministerin Sabine Sütterlin-Wack am Mittwoch in Kiel bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts.

Angstauslöser seien nahezu zeitgleich eingetretene Ereignisse, die als tiefgreifende existenzielle Krisen wahrgenommen würden: Klimawandel, Pandemie, Krieg in Europa, Energie- und Wirtschaftskrise. „Personen mit einer Affinität zu Verschwörungstheorien haben Anschluss an die Szene bekommen, die genau diese Themen aufgegriffen hat“, so die Ministerin.

Reichsbürger sind nach wie vor bereit, Gewalt anzuwenden

Die Affinität zu Waffen bleibe in dieser Szene hoch und ein Teil der Reichsbürger und Selbstverwalter sei nach wie vor bereit, zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Wolfgang Klonz, stellvertretenden Abteilungsleiter des Verfassungsschutzes, sagte: „Es ist eine reale Gefahr, wenn diese Milieus legale Waffen besitzen.“

Durch Straftaten sind Reichsbürger in Schleswig-Holstein aber nicht aufgefallen, 25 gab es vergangenes Jahr, wie Henrik Greve, stellvertretender Leiter der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt, berichtete. „Eine Person muss aber nicht durch Straftaten auffallen, es reicht, wenn die Ideologie deutlich wird, dann lässt sich die waffenrechtliche Zuverlässigkeit überprüfen.“ Hinweise geben demnach bespielsweise im Reichsbürger-Duktus verfassten Schreiben an Behörden.

Verfassungsschutz registriert Siedlungsbestrebungen

Neu in Schleswig-Holstein sind Siedlungsbestrebungen der Szene. Ende Oktober war ein von Reichsbürgern errichtetes Camp in Owschlag (Kreis Rendsburg-Eckernförde) geräumt worden. Für die Siedlung gab es keine Baugenehmigung.

Die Szene nutze oftmals eigene Immobilien, erklärte Klonz. Doch, wo es noch weitere solcher Siedlungsprojekte im Land gibt, will der Verfassungsschützer nicht sagen: „Wir kommunizieren Örtlichkeiten nicht ohne Not.“

Mehr politische Straftaten von rechts

Während die sich die politische Kriminalität 2022 um 92 Taten auf 1322 Fälle reduziert hat, gab es bei den Gewaltdelikten eine Zunahme von 18 Fällen auf 102 Taten. 46 davon rechnen die Verfassungsschützer dem rechten Spektrum zu. Bei den politisch motivierten Straftaten von rechts gab es insgesamt ebenfalls einen Anstieg. Deren Zahl stieg im Vorjahresvergleich um 32 Fälle auf 699 Taten.

350 gewaltbereite Rechtsextremisten in Schleswig-Holstein

Sütterlin-Waack: „Ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes war die Aufklärung rechtsextremistischer Bestrebungen und Netzwerke.“ Die unstrukturierte rechte Szene stelle, über das Internet gut vernetzt, stelle weiterhin den größten Anteil in der Kategorie der gewaltorientierten Rechtsextremisten. Zur rechten Szene im Norden zählen Verfassungsschützer 1200 Personen, von denen 350 als gewaltbereit gelten.

„Linksextremisten sind mit ihren Zielen gescheitert“

Zur linksextremistischen Szene gehören 735 Personen, von denen 340 als gewaltbereit gelten. In Erscheinung als linksextremistischer Akteur trat in Schleswig-Holstein die „TurboKlimaKampfGruppe“ mit ihren Protesten gegen Kreuzfahrer. Die Verfassungsschützer schätzen die Linksextremisten als „reaktiv-anlassbezogend agierend“ ein und bescheinigen ihnen ein Scheitern bei allen Zielen: Trotz günstiger Ausgangsvoraussetzungen (Energiekrise, Inflation, Krieg und Klimafragen) hätten sie es nicht geschafft, das bürgerliche Spektrum dauerhaft zu beeinflussen.

Mehr salafistische Prediger aus dem Ausland in Moscheen

Von einer weiter konstant hohen abstrakten Gefährdungslage gehen Verfassungsschützer im Bereich des islamistischen Terrorismus aus. Von den derzeit insgesamt 868 als islamistisch geltenden Menschen ordnen sie etwa 750 Personen dem Salafismus zu. Dort registrierten die Verfassungsschützer eine Zunahme der Besuche von Reisepredigern auch aus dem Ausland.

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg erklärte die Ministerin, es habe eine Zunahme von tendenziösen Posts im Sinne der russischen Propaganda gegeben, mehr Desinformation und mehr IT-Attacken.

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