Klimaschutz in Schleswig-Flensburg

Wie Gerd Kämmer Maisfelder in Energie-Weidelandschaften verwandeln will

Wie Gerd Kämmer Maisfelder in Energie-Weidelandschaften verwandeln will

Maisfelder in Energie-Weidelandschaften verwandeln

SHZ
Schleswig
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Für Artenvielfalt und Klimaschutz: Gerd Kämmer möchte Photovoltaik-Anlagen über Weideflächen für Galloway-Rinder errichten. Foto: Martin Engelbert/shz.de

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Artenvielfalt und Klimaschutz entscheiden über die Zukunft der Menschheit. Der Kreisnaturschutzbeauftragte Gerd Kämmer hat nun ein Konzept entwickelt, wie sich beides auf Energie-Weideland unter einen Hut bringen lässt.

Der Krieg in der Ukraine spitzt ein längst bekanntes Problem noch einmal deutlich zu: Die Gewinnung von Energie aus fossilen Brennstoffen wie Gas, Öl und Kohle hat keine Zukunft – schon gar nicht, wenn sie aus Russland stammen. Nun müssen möglichst schnell nachhaltige Alternativen gefunden werden, um unabhängig von Lieferungen aus dem Ausland zu werden – und um den Klimakollaps noch aufzuhalten. Neben Windkraftanlagen werden Photovoltaik-Freiflächen-Anlagen großes Potenzial zugesprochen, einen bedeutenden Anteil der erforderlichen Energie zu liefern. Doch die Anlagen benötigen große Flächen, die der Landwirtschaft dann nicht mehr zur Verfügung stehen.

Gerd Kämmer, Naturschutzbeauftragter im Kreis Schleswig-Flensburg und Chef vom Bio-Rinderbetrieb Bunde Wischen, schlägt nun vor, Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) auf Weideland, genauer gesagt über Weideland zu errichten. Der Clou: Flächen, auf denen aktuell noch Mais als Energielieferant für Biogasanlagen angebaut wird, werden in extensives Weideland für Robustrinder umgewandelt. Über diesen Flächen werden – in größeren Abständen als bei konventionellen Solarparks üblich – die Photovoltaik-Module in zwei bis vier Metern Höhe installiert.

Kämmer geht davon aus, dass bei einer solchen Anordnung ausreichend Sonnenlicht und Niederschlagswasser den Boden erreichen, so dass sich dort auch wieder eine gesunde Flora bedrohter und seltener heimischer Pflanzen ansiedeln kann.

„Weniger Arten als auf einem Maisacker gibt es nirgends“, sagt Kämmer. „Schlechter geht es also nicht mehr. Alles andere wäre also ein Verbesserung. Wir müssen weg vom Maisanbau zur Biogasgewinnung.“

Eine extensive Nutzung der Anbauflächen von Energiemais könne der Schlüssel für den Erhalt der Artenvielfalt in der Region sein, so Kämmer. Und die Gewinnung erneuerbarer Energie auf diesen Flächen könne einen Beitrag zur Energiewende leisten.

Photovoltaik 50 Mal effektiver als Maisverwertung

Der Biologe geht davon aus, dass Photovoltaik-Anlagen auf zwei bis drei Hektar Fläche genauso viel Energie erzeugen, wie sich aus Energiemais auf einer Fläche von 100 Hektar gewinnen lassen. „Das entspricht dem 40- bis 50-fachen“, rechnet Kämmer vor. Und selbst wenn die Sonne mal nicht scheint, seien die PV-Anlagen effektiver als die Verwertung von Mais in einer Biogasanlage. „Bei einer Energieminderung von 50 Prozent“, rechnet Kämmer vor, „ist eine PV-Anlage noch 20-mal effektiver.“ In Schleswig-Holstein wird auf rund 90.000 Hektar Fläche Energiemais angebaut.

Förderung für Biogasanlagen läuft aus

Für Kämmers Vorschlag, Energie-Maisflächen in Energie-Weideland umzuwandeln, spricht auch, dass in den kommenden Jahren die EEG-Förderung der meisten Biogasanlagen ausläuft. Der Betrieb von etlichen Anlagen, die nur Strom produzieren, dürfte nach Wegfall der Förderung unwirtschaftlich werden, der Anbau von Energiemais nicht länger erforderlich sein. Auf solche Flächen zielt Kämmers Vorschlag.

Doch der Umsetzung stehen einige Hindernisse im Wege. Zunächst müsste erprobt werden, wie die Modulträger beschaffen sein müssen, damit sie Wind und Sturm, dem sie durch die höhere Konstruktion stärker ausgesetzt sind, standhalten aber auch einem Rind, wenn es sich an einem der Träger kratzt.

Genehmigungsverfahren sind die größte Hürde

Die größte Hürde dürfte jedoch das Genehmigungsverfahren sein, denn eine gleichzeitige Nutzung einer Fläche durch eine PV-Anlage und für landwirtschaftliche Zwecke ist bislang nicht vorgesehen. „Genehmigungsrechtlich ist eine PV-Anlage eine technische Anlage und die Fläche damit raus aus der landwirtschaftlichen Nutzung“, erklärt Kämmer. Ohnehin müssten die Genehmigungsverfahren, angesichts der geforderten Erhöhung der Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien, deutlich beschleunigt werden, fordert Kämmer. „Da ist jetzt die Politik gefragt“, sagt er. Der Chef von Bunde Wischen hat seine guten Kontakte genutzt, und seine Idee bereits im Dezember Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der seine Wurzeln in der Region hat, vorgestellt, und hofft nun darauf, dass der Minister die Idee in künftige Konzepte einfließen lässt.

Pilotprojekt soll Klarheit bringen

Kämmer würde die Praxistauglichkeit seines Vorschlages, von der Konstruktion über die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, gern sehr bald in einem Pilotprojekt im Kreis Schleswig-Flensburg überprüfen und erforschen lassen. Auf der Geest westlich von Schleswig und westlich von Flensburg gebe es große Flächen, auf denen intensiv Energiemais angebaut werde, auf denen sich das Konzept gut erproben lasse.

Der Kreis macht mit

Bei diesem Vorhaben kann er auf die Unterstützung des Kreises bauen. „Wir möchten als Kreis ein solches Pilotprojekt organisieren“, bestätigt Fachdienstleister Thorsten Roos. Beim Kreis kann man sich sogar vorstellen, noch einen Schritt weiterzugehen, und auch weitere Flächen einzubeziehen. Ein Runder Tisch mit Vertretern des Landes, der Kreise und der Gemeinden soll Fahrt in das Vorhaben bringen. Viel Zeit gibt es dafür nicht, weiß auch Roos. „Wir müssen schnell zu sehr viel einfacheren Genehmigungsverfahren kommen. Wir werden überall einen Zahn zulegen müssen.“

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