Diversität im Wattenmeer

Wie Professor Karsten Reise die amerikanische Mulinia-Muschel im Lister Watt fand

Wie Karsten Reise die Mulinia-Muschel im Lister Watt fand

Wie Karsten Reise die Mulinia-Muschel im Lister Watt fand

SHZ
Sylt
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Professor Karsten Reise vom Alfred-Wegener-Institut in List fand die Mulinia-Muschel durch Zufall. Foto: Mataliya Rybalka/shz.de

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Der Leiter der Wattenmeerstation am Alfred-Wegener-Institut in List auf Sylt fand die Muschel-Art durch einen Zufall im Watt. Eine Gefahr für die Tier- und Pflanzenwelt erwartet der Wissenschaftler nicht – im Gegenteil.

Als Professor Karsten Reise am Mittwoch, 8. Dezember, ins Watt vor List in den Königshafen hinauslief, wollte er eigentlich Schlauchalgen fotografieren, die seit dem letzten Jahr neu dort wachsen. „Als ich weiter draußen war, sah ich ein winziges Loch im Watt. Das kam mir komisch vor“, erzählt der Leiter der Wattenmeerstation des Alfred-Wegener-Instituts auf Sylt gegenüber shz.de. In dem Loch hatte sich die „Dwarf Surf Clam“ – auf deutsch Amerikanische Trogmuschel oder Mulinia-Muschel versteckt.

„Ich wusste gleich, um welche Muschel es sich handelt“, erzählt der Wissenschaftler. Reise gelingt damit der nördlichste Fund jener Muschel in Europa – und der erste im Watt vor Sylt. Gefährlich für die anderen Spezies im Watt ist der amerikanische Neuankömmling jedoch nicht. Karsten Reise erklärt: „Viele denken, dass eingeschleppte Arten gefährlich sind, aber im Watt ist es bisher gut gelaufen. Ich denke nicht, dass heimische Arten durch die Mulinia-Muschel verdrängt werden.“

Empfindlich, klein und der Herzmuschel ähnlich

Die Muschel sei relativ empfindlich, klein und ähnelt der Herzmuschel. „Ich denke eher, dass die Muschel eine Bereicherung ist und bei Vögeln sehr beliebt“, fügt Reise hinzu. Weiter sei das „ökologische Beziehungsnetz im Wattenmeer nur locker gestrickt und dadurch sehr integrationsfähig“. Professor Reise sagt: „Das Wattenmeer wurde zum Einwanderungsmeer.“

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Der Professor, der seit vielen Jahrzehnten das Wattenmeer erforscht, erläutert: „Laufend werden aus Übersee neue Algen und Meerestiere ins Wattenmeer verschleppt – rund Hundert Arten in den vergangenen Hundert Jahren und es werden immer mehr durch zunehmende, maritime Globalisierung.“ Der Grund: Schiffe benötigen nur noch wenige Tage, um den Weg von Nordamerika bis Europa zurückzulegen, wodurch einige Meerestiere als blinde Passagiere überleben können.

Rasante Ausbreitung über Holland, Ostfriesland und Schleswig-Holstein

Die Mulinia-Muschel gelangte beispielsweise durch den Ballastwassertank eines amerikanischen Schiffes in die Nordsee, wodurch die Larven der Muschel wieder ins Freie gelangten. Die ersten herangewachsenen Muscheln wurden 2017 nahe Rotterdam und im Dollard gefunden. Ein Jahr später schon wurde sie an vielen Stellen im holländischen Watt gefunden, es folgte eine schnelle Verbreitung im Ostfriesischen und schließlich im Schleswig-Holsteinischen Watt.

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Doch schon bereits Ende der 1970er Jahre siedelte sich ebenfalls eine auf Sylt sehr bekannte amerikanische Muschel an. Professor Karsten Reise erzählt: „Die fingerlange Schwertmuschel breitete sich 1978/79 im Wattenmeer vor Sylt aus und ist mittlerweile seewärts die häufigste Muschelart und ein beliebtes Fressen für die Möwen.“

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