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Zu viele Urlauber an der Schlei – Kappelns Potenzial ist erschöpft

Zu viele Urlauber an der Schlei – Kappelns Potenzial ist erschöpft

Zu viele Urlauber an der Schlei – Potenzial ist erschöpft

Rebecca Nordmann/shz.de
Kappeln
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Viele Urlaubsgäste genießen das Radfahren an der Schlei. Foto: Benjamin Nolte/shz.de

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Urlaub in Kappeln boomt stärker als auf Sylt – eine Entwicklung mit Folgen für die Schleiregion und ihre Bewohner. Ein Gutachten hat die Situation analysiert und kommt zu einschneidenden Konsequenzen, die die Stadt ziehen sollte.

Die vergangenen Corona-Sommer haben jede Menge Urlauber nach Kappeln und in die Schleiregion gebracht. Nicht alle Einheimischen sind mit dieser Entwicklung ausschließlich glücklich. Deshalb hieß die Tendenz bereits vor einer Weile: Grenzen bestimmen.

„Nachlassende Tourismusakzeptanz“ in der Kappelner Bevölkerung

Die Lokale Tourismusorganisation Ostseefjord-Schlei GmbH (OFS) hat sich diese Aufgabe selbst auferlegt, nachdem sie im Jahr der Modellregion, die im April 2021 die Schlei zu einem der wenigen Urlaubsorte in der Corona-Pandemie machte, „eine nachlassende Tourismusakzeptanz“ in der einheimischen Bevölkerung wahrgenommen hatte. So formuliert es OFS-Geschäftsführer Max Triphaus.

Konzeptgutachten „Grenzen des Wachstums“

Herausgekommen ist ein etwas mehr als 100 Seiten starkes Konzeptgutachten „Grenzen des Wachstums“, das die Schleiregion zwischen Schleswig und Kappeln vor dem Hintergrund der touristischen Entwicklung analysiert und daraus Handlungsempfehlungen für die Zukunft ableitet. Individuell und auf einzelne Teilregionen abgestimmt.

Max Triphaus beschreibt zwar keinen echten Widerspruch, aber doch so etwas wie einen Zwiespalt, in dem sich die Region befindet: Nachhaltigkeit und Naturpark auf der einen, das Forcieren der touristischen Entwicklung auf der anderen Seite. Beides unter einen Hut zu bringen, sei mit Herausforderungen verbunden, die sich im Sommer der Modellregion besonders gezeigt hätten.

Auf der Suche nach dem Gleichgewicht zwischen Gästen und Bürgern

Touristische Hotspots entlasten, Besucher besser lenken, Lösungen für den Personalmangel im Tourismus und den Wohnungsmangel der Servicekräfte finden, dazu das Gleichgewicht zwischen der Zufriedenheit der Gäste und der Einheimischen im Blick behalten – keine einfachen, aber notwendige Aufgaben in den Augen der OFS. Denn: „Das Maß muss passen“, sagt Triphaus.

Und in Kappeln droht es, in eine Richtung zu kippen.

Das jedenfalls ist in aller Kürze das Ergebnis des Gutachtens, zu dem die OFS gemeinsam mit dem Beratungsbüro Project M aus Hamburg kommt. Und es ist belegbar mit Zahlen, die auch dank der Modellregion erstmals vorliegen.

12.000 Autos an einem Saison-Wochenende auf der B203 bei Kappeln

Beispiel Verkehr. Anhand der Gästebefragung weiß die OFS, dass 92 Prozent der Gäste mit dem Auto nach Kappeln kommen und es dann auch vor Ort nutzen. Laut Triphaus bewegen sich allein an einem Saison-Wochenende etwa 12.000 Autos über die B203. In der gesamten Region sind es demnach in den Monaten Juni, Juli und August 20.000 Fahrten am Tag.

Das Gutachten setzt hier auf „umweltverträgliche Alternativen“ für Kappeln: Fahrrad, Fähre, Wassertaxi, ÖPNV. „Ein besserer ÖPNV ist ein guter Anfang“, sagt Triphaus. Aber in dieser Hinsicht müsse mehr kommen. So will die OFS unter anderem auf die Schiene setzen, um das Anreiseproblem in den Griff zu bekommen – „aber das ist nichts für die nächsten drei Jahre“, sagt Triphaus.

Neuer Schwerpunkt Wellness?

Beispiel Infrastruktur. Der OFS-Geschäftsführer nennt das „Erlebnisraum für den Gast“. Zwar habe sich im Ostseeresort Olpenitz schon einiges an Erlebnissen getan – „aber es reicht noch nicht“, sagt er.

Das Gutachten sieht hier Luft nach oben im „Ausbau der Versorgungs- und freizeittouristischen Infrastruktur in unmittelbarer Nähe zum ORO“. Ziel sollte zudem sein, die Saison zu entzerren, etwa indem neue Schwerpunkte, beispielsweise im Wellnessbereich, gesetzt werden, mit denen nicht nur im Sommer gepunktet werden kann.

Prognose für 2025: eine Million Übernachtungen in Kappeln

Beispiel Unterkünfte. Anhand aktuell vorliegender und bis 2025 nachweislich erwarteter Zahlen kommt Kappeln laut Gutachten auf 655 Hotelbetten, 6500 Betten in Ferienwohnungen und -häusern sowie 812 Campingstellplätze. Rein rechnerisch ergibt dies eine Übernachtungsprognose im Jahr 2025 von etwas mehr als einer Million.

Zum Vergleich: Für Schleswig prognostiziert das Gutachten im Jahr 2025 etwas mehr als 170.000 Übernachtungen.

Das Gutachten kommt zum Ergebnis, dass die Kapazitätsgrenze für Kappeln bei insgesamt 6500 Betten und 800 Campingstellplätzen liegt. Nicht nur, damit die immer noch vernachlässigte und erst langsam nachwachsende Infrastruktur dem gerecht werden kann. Sondern auch, weil sich absehbar die Frage stellen wird, die Max Triphaus so formuliert: „Kriegt man diese Betten sonst überhaupt noch alle voll?“

„Überproportionaler Anstieg der Bettenkapazitäten“ in Kappeln

Tatsächlich ist im Gutachten von einem „überproportionalen Anstieg der Bettenkapazitäten“ in Kappeln die Rede, der zu einem „Überangebot“ führen werde. Max Triphaus ist skeptisch, dass das Angebot im Frühjahr und im Herbst noch umfassend vermarktet werden kann – „und wenn doch, endet es in einem Preiskampf“.

Ausbau-Stopp und Rückbau von Urlaubsquartieren werden empfohlen

Als bemerkenswert im gesamten Gutachten muss daher diese Aussage gelten: „Kappeln ist der einzige Teilraum in der Region Ostseefjord Schlei für den ein Ausbau-Stopp und gegebenenfalls Rückbau von Beherbergungskapazitäten empfohlen wird.“

Daneben ist die Rede von „fehlender Kontrolle oder vorhandener Strategie“ – einem Eindruck, dem die Stadt entgegenwirken sollte. Ein Aspekt sollte daher sein, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Max Triphaus betont: „Es müssen konkrete Maßnahmen folgen, nicht nur Konzepte.“

Arbeitsauftrag für die Kappelner Stadtvertretung

Diejenigen, die die diese Maßnahmen umsetzen können, sitzen in der Stadtvertretung. Ihnen soll das Gutachten eine Handlungsempfehlung, ein Arbeitsauftrag, eine Selbstverpflichtung sein. Und auch Anlass zur Diskussion – etwa in Sachen Kurabgabe.

Max Triphaus sagt: „Wir wollen die Entwicklung nicht abschnüren. Aber wir wollen sie qualitativ verbessern, nicht mehr quantitativ. Es kann nicht das Ziel sein, dass jeder blind vor sich hin wächst.“

Am Mittwoch, 9. November, will er das Papier im Wirtschaftsausschuss vorstellen.

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