Vergangenheit Nordschleswigs

Historisches Jahrbuch mit „Neuigkeiten“ aus der Grenzlandgeschichte

Historisches Jahrbuch mit Neuem aus Grenzlandgeschichte

Historisches Jahrbuch mit Neuem aus Grenzlandgeschichte

Pattburg/Padborg
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Der leitende Redakteur der „Sønderjyske Årbøger, Mads Mikkel Tørsleff, Autorin Lisbeth Aagaard Lykke, Autor Henning Nielsen, Hans Schultz Hansen, Vorsitzender von „Historisk Samfund for Sønderjylland“, und Autor Jens Andresen (v. l.) waren bei der Vorstellung des Jahrbuchs „Sønderjyske Årbøger“ in Pattburg anwesend. Foto: Volker Heesch

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Die Redaktion der „Sønderjyske Årbøger“ stellt die Ausgabe 2021 vor: Sechs Autorinnen und Autoren liefern Beiträge zur Naturgeschichte von Ostküstenseen, Pflichtgefühl dänisch gesinnter Soldaten 1914-1918, Gesang in der Abstimmungszeit, Nordschleswiger in Fredericia, zum Danebrog 1920, Bischof Ammundsen und Erinnerungen eines Grenzlandbewohners.

„Die Vorstellung unseres neuen Jahrbuchs ist für uns alljährlich ein kleiner Festtag“, erklärte Mads Mikkel Tørsleff, Leiter des Museums Oldemorstoft, im Namen der Redaktion des erstmals 1889 erschienenen Geschichtswerks „Sønderjyske Årbøger“, das der nordschleswigsche Geschichtsverein „Historisk Samfund for Sønderjylland“ herausgibt. Bei der Präsentation in den Räumen des Museums in Pattburg (Padborg) stellten einige der Autorinnen und Autoren ihr Beiträge kurz vor.

Wissenschaft und Lokalgeschichte

Im Namen des Geschichtsvereins bedankte sich dessen Vorsitzender Hans Schultz Hansen für deren Einsatz.

Auf dem Titelbild der neuen „Sønderjyske Årbøger" ist ein Gemälde von Carla Colsmann wiedergegeben, das eine Nähstube zeigt, in der für Nordschleswig bestimmte Dannebrogs genäht wurden, dieweil deutsche Fahnen erst am Tag der Volksabstimmung, dem 10. Februar 1920, in der Zone 1 des international überwachten Abstimmungsgebietes gehisst werden durften. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

„Das Besondere an unseren Jahrbüchern ist deren doppelte Funktion als Organ für wissenschaftliche und lokalgeschichtliche Beiträge“, so Schultz Hansen, der sich auch für die Beiträge aus den Museen und „Historisk Samfund for Sønderjylland“ sowie Buchbesprechungen bedankte. Die Jahrbücher werden in diesen Tagen an die Vereinsmitglieder verschickt und  können über die Hompage des Geschichtsvereins https://www.hssdj.dk/forside bestellt werden.  

 

Seen Ergebnisse menschlicher Eingriffe 

Der erste Beitrag des Archäologen Henning Nielsen befasst sich mit den drei bekannten „Seen“ an der nordschleswigschen Ostküste, dem Hejls Nor, dem Bankelsee (Bankel Sø) und dem Schliefsee (Sliv Sø). Nielsen hat herausgefunden, dass die Gewässer nicht als einstige Meeresbuchten, wie lange angenommen,  durch natürliche Versandungen zu Seen geworden sind. „Die Seen sind durch menschliche Eingriffe , während des 16. Jahrhunderts entstanden“, so der Archäologe, der in alten Karten und Buchführungen Hinweise auf einstige Schleusen an den Abdämmungen gefunden hat, die teilweise auf Betreiben von Adligen angelegt worden sind.

In der Karte von 1780 der dänischen „Videnskabernes Selskab“ ist noch ein „Sluusehus" in der Nähe der Verbindung des Sees mit der Ostsee (auf dem Bild unten) verzeichnet. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

Diese hatten Interesse an den Fischen in den nach den Damm- und Schleusenbauten zu Süßwasserseen umgewandelten ehemaligen Buchten. „Im Namen Hejlsminde beim Gewässer im Norden des einstigen Herzogtums Schleswig steckt der Begriff Mündung“, so Nielsen. Die Schleusen waren stellenweise durch Kriegseinwirkungen, aber auch durch Sturmfluten zerstört worden.

 

Nordschleswiger in Fredericia

Lisbeth Aagaard Lykke vom Archiv der Stadt Fredericia stellte einen Beitrag über den 1889 gegründeten Verein „Sønderjysk Forening“ in der südjütischen Stadt vor. Darin ist nachzulesen, dass nach 1864 eine größere Gruppe Schleswiger nach der Übertragung der Herrschaft über ihre Heimat an das Königreich Preußen in Fredericia sesshaft wurde. Der Verein „Sønderjysk Forening“, in dem ursprünglich nur Personen aus dem Land südlich der Königsau Mitglied waren, habe Menschen unterstützt, die ihre Heimat verlassen hatten. Auch wurden Mittel für Schulbücher und Lehrkräfte vor allem im dänisch geprägten Nordschleswig gesammelt.

Pflicht im Kriegseinsatz

Steffen Lind Christensen legt in seinem Beitrag dar, dass die meisten dänisch gesinnten Nordschleswiger während ihres Militärdienstes als Bürger des Deutschen Reiches während des Ersten Weltkrieges überwiegend im Geiste einer Pflichterfüllung an die Fronten gezogen sind. Es schreibt, dass die jungen Nordschleswiger auch deshalb pflichtbewusst kämpften und zu Tausenden ihr Leben ließen, weil sie darin einen Akt der Solidarität mit ihren dänisch gesinnten Landsleuten sahen. Erst später habe sich in Dänemark ein Bild durchgesetzt, die dänischen Nordschleswiger hätten sich an den Kriegsschauplätzen überwiegend eine deutsche Niederlage gewünscht.

Gesang 1920 von Bedeutung

Elsemarie Dam-Jensen berichtet in ihrem Beitrag über die bedeutende Rolle des Gesangs im nationalen Ringen im Vorfeld der Volksabstimmungen 1920. Es werden viele interessante Beispiele vorgestellt und dokumentiert, welche Stücke gesungen wurden.

Im „Wahlkampf“ vor den Volksabstimmungen, die 1920 zu Neuziehung der deutsch-dänischen Grenze führten, wurden Liederbücher verteilt. Die Titelseite hatte der aus Tondern stammende Künstler Johannes Holtz gestaltet. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland
Dieses Liederbuch wurde für den Abstimmungstag am 10. Februar 1920 gedruckt. Die dänischen Nordschleswiger konnten mit einer dänischen Mehrheit in der Abstimmungszone 1 fest rechnen, denn der „En-bloc-Wahlmodus" sicherte ein solches Ergebnis ebenso wie der Zuschnitt der Abstimmungszonen. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

Der Beitrag, in dem auch Beispiele deutscher  Abstimmungsliederbücher zu finden sind, vermittelt heute Lebenden einen Eindruck von den Zeiten und der Stimmungslage der Menschen im damals vor der Teilung stehenden Schleswig  vor über 100 Jahren. Dam-Jensen hat  zahlreiche Liederbücher und zeitgenössische Quellen ausgewertet.

Symbol Danebrog 

Karen Crones Artikel hat die Bedeutung der dänischen Nationalfahne, des Danebrogs, während des „Wahlkampfes“ vor den beiden Volksabstimmungen in Schleswig im Jahre 1920 zum Thema. Es wird darin über Dannebrog-Lieferungen und Zeremonien und Rituale um das rot-weiße Textil beispielsweise während der Wiedervereinigungsfeierlichkeiten nach dem Votum der Bevölkerungsmehrheit für ein dänisches Nordschleswig berichtet.

 

Bischof für neutrale Kirche

Der Beitrag von Sten Haarløv ist Valdemar Ammundsen (1875-1936), dem ersten Bischof des 1922 geschaffenen neuen Bistums Hadersleben (Haderslev), gewidmet. Das neue Bistum umfasste neben dem östlichen Teil Nordschleswigs, der 1920 Teil Dänemarks geworden war, Bereiche nördlich der alten Königsaugrenze. Ebenso wie die Eingliederung des westlichen Nordschleswigs ins Bistum Ripen (Ribe), das wie der übrige Landesteil ab 1868 dem Generalsuperintendenten in Schleswig unterstanden hatte, sollte auf kirchlichem Gebiet die frühere Landesgrenze ausgewischt werden.

Das Foto zeigt die Amtseinführung Bischof Valdemar Ammundsens (vorn auf dem Foto, mit Kreuz) am 15. April 1923 in Hadersleben. Auf dem Foto (2. v. links) ist der Propst und Pastor des deutschen Gemeindeteils, Christian Petersen zu sehen, der bis 1931 in der zum Bischofssitz erhobenen Stadt amtierte. Foto: Historisk Samfund for Sønderjylland

 

Ammundsen, der vor seinem Wechsel nach Hadersleben als Theologieprofessor in Kopenhagen gewirkt hatte, trat mit dem Vorsatz an, dass die Kirche sich nationalpolitisch neutral verhalten sollte. Er richtete sich dabei nach Vorgaben des Kirchenoberhaupts in Schleswig, Theodor Kaftan (1847-1932), der für dänische Gottesdienste in Nordschleswig eingetreten war. Sten Haarløv berichtet, dass Ammundsen selbst nach der Nazifizierung weiter Teile der deutschen Minderheit in Nordschleswig nach 1933 nicht von seiner Toleranz gegenüber dem deutschen Teil der Nordschleswiger abgelassen hat. Der Beitrag liefert viele interessante Einblicke in die Entwicklung Nordschleswigs in den Jahren nach der neuen Grenzziehung.

 

Aus Minderheit in die Mehrheit

Den letzten Beitrag hat der aus Achtrup (Agtrup) in Südtondern aus der dortigen dänischen Minderheit stammende frühere Amtsratspolitiker Jens Andresen aus Lügumkloster (Løgumkloster) geschrieben. Der auch als Vorsitzender des dänischen Grenzvereins bekannte frühere Politiker liefert interessante Einblicke in seinen Werdegang mit Studium in Kopenhagen und sein berufliches und politisches Wirken im dänischen Nordschleswig. Andresen berichtet auch über seine Probleme mit der Wehrpflicht in Deutschland nach dem Umzug nach Dänemark, der er nach langem Hin und Her entkommen konnte. Er erläutert, er habe als Sohn eines Kriegsteilnehmers aus der dänischen Minderheit in deutscher Uniform eine antimilitaristische Erziehung erlebt. Die  Erinnerungen enthalten viel interessanten Lesestoff eines Menschen, der von einem Minderheiten-Dänen zu einem Mehrheits-Dänen in Nordschleswig geworden ist. Erwähnt wird auch seine Begegnung mit der deutschen Minderheit in Nordschleswig und sein Wirken für die deutsch-dänische Zusammenarbeit im Grenzland.       

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wenn Minderheiten als Gefahr für andere dargestellt werden“