Leitartikel

„Auf eigener Seite“

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Nordschleswig/Kopenhagen
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Es ist peinlich, wie sich Dänemark zu Ausländer-, Asyl- und Flüchtlingsfragen stellt. Es gibt einfach keine Nuancen mehr, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Dänemark hat sich wie auch die USA, Großbritannien und andere Nationen aus Afghanistan zurückgezogen. Darüber kann man meinen, was man will: War der Einsatz richtig? Hat er etwas genützt? Was allerdings außer Frage steht: Dänemark hat eine Verpflichtung den afghanischen Mitarbeitern gegenüber, die Dänemark während des Afghanistan-Einsatzes geholfen haben.

Dies scheint die sozialdemokratische Regierung um Staatsministerin Mette Frederiksen allerdings anders zu sehen: Afghanisches Personal, darunter Dolmetscher, die eine wichtige Funktion gespielt haben, wird im Stich gelassen. Asylanträge werden zu langsam behandelt, meist abgewiesen, und die Mitarbeiter müssen in Afghanistan bleiben.

Dabei befindet sich das zivile Personal in Lebensgefahr, nachdem die Taliban inzwischen die Hälfte des Landes wieder kontrollieren. Zwar haben die Taliban versprochen, den afghanischen Helfern nichts anzutun, doch das sind leere Versprechen. Das lokale Personal erlebt zunehmend alles von Morddrohungen bis zu Repressalien.

Die dänische Regierung hat nun signalisiert, dass mehr Mitarbeiter nach Afghanistan geschickt werden sollen, um die Anträge zu behandeln. Außerdem wolle man, so Außenminister Jeppe Kofod, niemanden im Stich lassen.

Das zögerliche Verhalten der Regierung ist typisch in Fragen, bei denen es um Ausländer geht: Nur keinen hereinlassen, scheint das Motto zu sein.

Das gilt nicht nur für Menschen, die den dänischen Einsatz in Afghanistan loyal unterstützt haben, sondern natürlich auch für Flüchtlinge. Sowohl Syrier, die dazu gezwungen werden sollen, nun Dänemark zu verlassen, als auch Flüchtlinge, die auf Wunsch der Regierung vor Ort – sprich: Afrika – in Empfangszentren das Ergebnis ihres Asylantrags abwarten müssen.

Dänemark laufe seinen internationalen und humanitären Verpflichtungen davon, kritisierte der Zusammenschluss afrikanischer Nationen, die Afrikanische Union.

Der Begriff moralische Verpflichtung scheint der Regierung – aber auch anderen Parteien im Folketing – inzwischen völlig abhandengekommen zu sein. Es ist einfach nur peinlich, wie ein reiches Land wie Dänemark mit der Not anderer umgeht.

Wenn es schließlich doch zum Rückzieher kommt, dann erst nach langem, massivem politischen Druck. Doch dann kommt die Hilfe oft schon zu spät, und es bleibt der Image-Schaden, denn jeder weiß inzwischen, wo Dänemark in Ausländer-, Asyl- und Flüchtlingsfragen steht: auf eigener Seite.

Es gibt einfach keine Nuancen mehr, sondern es wird ohne Rücksicht erst einmal rigoros abgeschottet. Das ist wahrlich ein kleines Dänemark.

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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