Gesundheit

Die Angst vor dem Rückfall: Wie Suchtkranke mit der Corona-Krise umgehen

Die Angst vor dem Rückfall: Wie Suchtkranke mit der Corona-Krise umgehen

Wie Suchtkranke mit der Corona-Krise umgehen

Marie Busse/shz.de
Hamburg
Zuletzt aktualisiert um:
Der fehlende Kontakt erhöht die Gefahr für einen Rückfall. (Symbolbild) Foto: Alexander Heinl/dpa

Franz ist trockener Alkoholiker. Unterstützung findet er in einer Selbsthilfegruppe, die sich nicht mehr treffen darf.

Seit mehr als 40 Jahren trinkt Franz (Name geändert) keinen Alkohol mehr. An zwei Abenden in der Woche, meistens mittwochs und freitags, geht er zu sogenannten Meetings der Anonymen Alkoholiker (AA). Dort spricht er mit anderen, tauscht sich aus. Oft entstehen Freundschaften. In jedem Fall sind die Treffen eine wichtige Stütze, um trocken zu bleiben. Doch aufgrund der Ausgangsbeschränkungen dürfen diese Treffen nicht mehr stattfinden. Wie gehen Franz und andere Suchtkranke damit um?

Werden jetzt mehr Menschen rückfällig?

„An den Abenden, an denen eigentlich Meetings wären, telefoniere ich mit Anonymen Alkoholiker aus meiner Gruppe“, sagt Franz. Andere treffen sich in einer Videokonferenz. Auch Franz hat da reingeschaut. „Aber das ist nichts für mich. Vielleicht bin ich da konservativ“, sagt er. Lieber schreibt er in einem Online-Meeting, das über einen E-Mail-Verteiler gesteuert wird. Viele der über 2000 Meetings in Deutschland haben virtuelle Treffen eingerichtet, um sich auszutauschen. „Aber persönliche Kontakte können nicht ersetzt werden“, sagt Franz und befürchtet: „Die aktuelle Situation wird den einen oder anderen umhauen.“

 

Anonyme Alkoholiker

Die Anonymen Alkoholiker sind 1935 in den USA entstanden und mittlerweile eine weltweit agierende Selbsthilfegruppe. Sie sind in zahlreiche lokale Gruppen organisiert, die sich regelmäßig treffen, um Unterstützung in der Abstinenz vom Alkoholkonsum zu erfahren. Die einzige Voraussetzung für die Zugehörigkeit ist der Wunsch mit dem Trinken aufzuhören.

Auch Dr. Sabine Köhler, Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Vorsitzende des Bundesverbandes deutscher Nervenärzte, sieht ein erhebliches Risiko: „Die Isolation, der fehlende Kontakt und das Wegbrechen von Routinen sind sehr gefährlich für Süchtige, weil sie in alte Muster zurückfallen könnten, um Stress abzubauen“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Köhler rechnet damit, dass die Zahl der Rückfälle steigen wird. Die Kombination aus Angst vor dem Unbekannten, Isolation, finanzieller Unsicherheit oder auch Langeweile seien das ideale Umfeld für Sucht.

Angst vor der Zeit ohne regelmäßige Meetings

Franz lässt sich von diesen düsteren Aussichten nicht beirren. „Die Coronavirus-Pandemie ist einer von vielen äußeren Umständen in der Welt, an denen ich nichts ändern kann“, sagt er. Allerdings habe er Jahre gebraucht, um eine solche innere Ruhe zu finden. Noch bei seinem ersten längeren Urlaub ohne regelmäßige Treffen mit anderen Anonymen Alkoholikern habe er Angst gehabt, erinnert er sich.

„Schwierig ist es im Moment für Menschen, die neu zu uns kommen“, sagt Franz. Deswegen gewinne die sogenannte Sponsorschaft an Bedeutung. Jeder Anonyme Alkoholiker hat einen „Sponsor“, einen Vertrauten, der ihn auch außerhalb der Meetings unterstützt. Suchtexpertin Köhler führt weitere Risiken an, die Menschen, die sich von ihrer Sucht lösen wollen, jetzt überwinden müssen. So arbeiten Beratungsstellungen nur eingeschränkt und auch die Behandlung in Rehakliniken ist kaum möglich. „Wer jetzt neu ist, steht vor enormen Schwierigkeiten“, fasst auch sie zusammen.

„Online-Meetings sind meine Lebensversicherung“

Allerdings sieht Köhler auch neue Möglichkeiten der Therapie. „Auch im Suchtbereich müssen wir noch offener mit neuen Möglichkeiten wie Videokonferenzen umgehen“, sagt sie. Die Kontaktbeschränkungen durch die Coronavirus-Pandemie sei da eine ideale Möglichkeit. „Die Forschung hat gezeigt, dass die Kombination aus persönlicher und virtueller Unterstützung die besten Ergebnisse erzielt“, sagt sie.

Franz sieht durch die virtuellen Meetings neue Möglichkeiten, die Treffen der Selbsthilfegruppen auszubauen. Auch, wenn er selbst noch nicht mitmacht. „Dass, es das gibt, ist für mich eine Lebensversicherung“, sagt er.

Mehr lesen

Ehrenamt

Flucht vor häuslicher Gewalt – die Freiwilligen im Frauenhaus Apenrade haben immer ein offenes Ohr

Apenrade/Aabenraa Damit ein Frauenhaus funktioniert und zu einem sicheren Ort wird, müssen viele verschiedene Leute zusammenarbeiten. Für die Einrichtung in Apenrade sind das nicht nur festangestellte Fachkräfte, sondern auch engagierte Freiwillige. Warum sie für das Apenrader Frauenhaus so wichtig sind und die Arbeit vor Ort nachhaltig unterstützen, erklären Hanne Frederiksen und Henriette Tvede Andersen.

Kulturkommentar

Paulina von Ahn
Paulina von Ahn
„Die Hälfte der Menschheit menstruiert – gewöhnt euch dran!“