Lesetipps

Harry Potter statt Blechtrommel

Harry Potter statt Blechtrommel

Harry Potter statt Blechtrommel

Stefan Lüddemann, SHZ
Hamburg
Zuletzt aktualisiert um:
Foto: dpa (Symbolfoto)

TV-Literaturkritiker Denis Scheck gibt mit seiner neuen Bestenliste der Bücher Anstoß zu angeregten Diskussionen.

Die aufgeregtesten Gemüter unter den Lesern seien gleich beruhigt: Goethe ist drin, natürlich mit seinem „Faust“! Nordrhein-Westfalens Schulministerium hat das wichtigste Drama der Deutschen gerade aus dem Lesekanon für Abiturienten gestrichen und so Stoff für einen neuen Streit um Pflichtlektüren geliefert. Denis Scheck aber wackelt nicht. Bei ihm steht der Klassiker im neuen Kanon.

„Schecks Kanon“: Das Buch kommt gerade richtig zur neuen Debatte um Leselisten, die die Düsseldorfer Schulbehörde ausgelöst hat. Auch wenn der „Faust“ bei Scheck sicher ist – andere Kanonklassiker hat der Literaturkritiker kurzerhand gestrichen.

Neue Bücher für den Literaturkanon: Literaturkritiker Denis Scheck Foto: DPA/Hendrik Schmidt

 

Denis Scheck, das ist der alerte Bücherplauderer mit Krawatte und Einstecktuch – und dem Mut zur harten Entscheidung. Bücher, von denen er nichts hält, knallt er gern in die Mülltonne. Der Mann mit dem schlauen Blick und dem schwäbischen Akzent hält geschickt die Mitte zwischen Unterhalter und Scharfrichter. Und er setzt dazu an, jenen Thronsessel einzunehmen, den Marcel Reich-Ranicki der deutschen Literaturkritik vor die Fernsehkamera gestellt hatte.

Nun legt Scheck einen handlichen Band vor, der Lust aufs Lesen macht. Eine knappe Einleitung, dann geht es auch schon hinaus auf die Ozeane der Lektüren. Scheck hebt nicht den Zeigefinger, er schaut in Bücher und schildert amüsant und lehrreich zugleich, was er dabei entdeckt hat.

Von „Krieg und Frieden“ bis „Tim und Struppi“: Der Untertitel macht bereits klar, warum diese Ansammlung von Autorennamen von Marcel Proust bis Astrid Lindgren, von Yasushi Inoue bis Charles M. Schulz durchaus als „wilder“ Kanon gelten darf.

Denis Scheck schert sich nicht um Genregrenzen und Sprachgebiete. Sein Kanon soll die Tür zum 21. Jahrhundert öffnen. Mehr Frauen, Mut zum Comic, Voten für weniger bekannte Namen und entferntere Literaturen: Scheck mixt den Lesecocktail richtig durch. Er schafft Platz, indem er einige Säulenheilige der Literatur vom Podest stößt. Siegfried Lenz, Günter Grass, Theodor Storm, Hermann Hesse? Alles Fehlanzeige.

Scheck baut der Literatur kein Pantheon der verdienten Größen, er setzt auf die Lust am Lesen. Seinen „Goldstandard in der Literatur“ beschreibt er so:

Zur Weltliteratur zählt für mich ein Werk dann, wenn es meinen Blick auf die Welt nachhaltig verändert hat.

Denis Scheck

Scheck holt die Jugendliteratur mit Astrid Lindgren oder Lagerlöf in seine Bücherarche, adelt Comics wie „Charly Brown“ und „Tim und Struppi“, befördert Rowlings Harry Potter zum Bewohner des Literaturolymps.

Dabei empfiehlt auch Denis Scheck, was von jeher zu den unerlässlichen Lektüreerfahrungen zählt, Homers „Odyssee“ etwa, Cervantes’ „Don Quichote“ oder Fontanes „Effi Briest“.

Diese 100 Werke stehen auf der Liste

Homer: Odyssee; Sappho: Gedichte; Catull: Carmina; Herodot: Historien;Aristophanes: Lysistrata; Vergil: Aeneis; Ovid: Metamorphosen; Tausendundeine Nacht; Hypatia: verschollene Werke;Sei Shonagon: Das Kopfkissenbuch; Wolfram von Eschenbach: Parzival; Miguel de Cervantes: Don Quijote; Wiliam Shakespeare: Der Sturm; Hans Jakob von Grimmelshausen: Simplicissimus; Voltaire: Philosophisches Wörterbuch; Johann Wolfgang von Goethe: Faust; Denis Diderot: Jacques der Fatalist und sein Herr; Friedrich Hölderlin: Werke; Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas; Jane Austen: Stolz und Vorurteil; Mary Shelley: Frankenstein; Jacob und Wilhelm Grimm: Grimms Märchen – Der Teufel mit den drei goldenen Haaren; Honoré de Balzac: Oberst Chabert; Alexandre Dumas: Der Graf von Monte Christo; Edgar Allen Poe: Der Rabe; Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern; Gustave Flaubert: Madame Bovary; Charles Darwin: Vom Ursprung der Arten; Lewis Carroll: Alice im Wunderland; Fjodor Dostojewski: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne); Leo Tolstoi: Krieg und Frieden; Jules Verne: Die geheimnisvolle Insel; Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel; Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra; Mark Twain: Die Abenteuer des Huckleberry Finn; Emily Dickinson: Die Gedichte; Theodor Fontane: Effi Briest; Joseph Conrad: Herz der Finsternis; Anton Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen; Rudyard Kipling: Kim; Khalil Gibran: Werke; Oscar Wilde: De Profundis; Selma Lagerlöf: Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen; Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit; Lu Xun: Tagebuch eines Verrückten; Katherine Mansfield: Glück; James Joyce: Ulysses; Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull; Virginia Woolf: Orlando; Hergé: Tim und Struppi; Gertrude Stein: Autobiographie von Alice B. Toklas; Dorothy L. Sayers: Mord braucht Reklame; Ernest Hemingway: Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber; Tania Blixen: Afrika, dunkel lockende Welt; Agatha Christie: Tod auf dem Nil; Bertolt Brecht: Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration; Albert Camus: Der Fremde; Jorge Luis Borges: Der Garten der Pfade, die sich verzweigen; Dorothy Parker: The Portable Dorothy Parker; Evelyn Waugh: Wiedersehen mit Brideshead; Carl Barks: Donald Duck – Die Wette; Charles M. Schulz: Peanuts; Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht; Yasushi Inoue: Das Jagdgewehr; Marguerite Yourcenar: Ich zähmte die Wölfin; Samuel Beckett: Warten auf Godot; John R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe; Gertrud Kolmar: Das lyrische Werk; William Gaddis: Die Fälschung der Welt; Vladimir Nabokov: Lolita; Astrid Lindgren: Karlsson vom Dach; Chinua Achebe: Alles zerfällt; Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Leopard; Heimito von Doderer: Die Merowinger; Julio Cortázar: Südliche Autobahn; Anna Achmatowa: Poem ohne Held; Giuseppe Cabrera Infante: Drei traurige Tiger; Kurt Vonnegut: Schlachthof 5; Arno Schmidt: Zettel’s Traum; Ingeborg Bachmann: Malina; Ursula LeGuin: Freie Geister; Clarice Lispector: Der große Augenblick; Italo Calvino: Wenn ein Reisender in einer Winternacht; James Tiptree jr.: Liebe ist der Plan, der Plan ist Tod; Fernando Pessoa: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares; Franz Kafka: Tagebücher; Gabriel Garcia Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera; Margaret Atwood: Der Report der Magd; Derek Walcott: Omeros; Inger Christensen: Das Schmetterlingstal; Bret Easton Ellis: American Psycho; David Foster Wallace: Unendlicher Spaß; Joanne K. Rowling: Harry Potter; Les Murray: Frede Neptune; Philip Roth: Der menschliche Makel; W.G. Sebald: Austerlitz; Thomas Pynchon: Gegen den Tag; Ngugi wa Thiong’o: Herr der Krähen; Herta Müller: Atemschaukel; Michel Houellebecq: Karte und Gebiet.

Mehr lesen