Leitartikel

„Bacon und Brexit “

„Bacon und Brexit “

„Bacon und Brexit “

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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In London herrscht derzeit viel Uneinigkeit über den Brexit. Die Briten können viel von den Dänen und deren Geschichte mit dem Rechtsvorbehalt lernen. Nachhilfe im Umgang miteinander sei zurzeit wichtiger für die Briten als nur der tägliche Bacon aus Dänemark, meint Siegfried Matlok.

Die ganze Welt – na, ja Europa – blickt in diesen Tagen und Wochen gespannt nach London. Die Frage des Brexit steht vor einer dramatischen Entscheidung, die ganz Europa betrifft, besonders auch Dänemark. In Verbindung mit dem neuen deutsch-französischen Aachener Vertrag wurde an den historischen Élysée-Vertrag 1963 zwischen Konrad Adenauer und Präsident de Gaulle erinnert. Wichtig dabei auch der aktuelle Hinweis, dass der Bundestag damals dem Vertrag nur zustimmte mit einer Präambel, die ausdrücklich den Bonner Wunsch nach einer EWG-Aufnahme Großbritanniens unterstützte. Gar nicht zur Freude des britisch-kritischen Generals de Gaulle, aber damit war auch der Weg zur späteren EWG-Mitgliedschaft Dänemarks gebahnt, denn die Dänen wollten zwar unbedingt dem großen Markt beitreten, aber nur unter einer Bedingung: nur gemeinsam mit dem einst wichtigsten Handelspartner Großbritannien. 

Die Handelszahlen zwischen Dänemark und Großbritannien haben sich längst geändert – Deutschland steht sowohl beim Ex- als auch beim Import klar an erster Stelle –, aber dennoch fühlen viele Dänen Schmerz bei dem Gedanken, dass die Briten nun bald austreten werden. Da geht es um mehr als nur um die Gemeinsamkeiten in Sachen Freihandel; sogar der dänisch-britische Humor weint jetzt eine Träne. 
 
Manche Kommentatoren vergleichen die Brexit-Haltung der Briten mit dem Nein der Dänen zum Maastrichter Vertrag, ein Nein, das am 2. Juni 1992 einen Schock in ganz Europa auslöste. Die bürgerliche Regierung Schlüter-Ellemann unterlag, der große Sieger des Referendums war der SF-Vorsitzende Holger K. Nielsen, dessen Kampagne mit „Holger og konen siger nej til Unionen“ im Endspurt den Ausschlag gab. Was tun, vor allem aber die Frage, was bedeutete das Nein konkret, beschäftigte nicht nur die dänische Politik, denn letztlich stand ja die Mitgliedschaft Dänemarks auf dem Spiel. 

Die Opposition unter Führung von Sozialdemokrat Poul Nyrup und Holger K. Nielsen diktierte vier Vorbehalte, die vor allem Venstre-Außenminister Uffe Ellemann-Jensen nur zähneknirschend akzeptierte.  Ausgehend von der realpolitischen Einsicht: Wer nicht in Europa am Verhandlungstisch sitzt, der landet auf dem Speisezettel. Als Schlüter und Ellemann auf einem darauf folgenden EU-Gipfel den Staats- und Regierungschefs in Edinburgh ihren „Notplan“ vorlegten, war eine Zustimmung keineswegs sicher, denn viele der damaligen Mitgliedsländer hatten Bedenken gegen Zugeständnisse an die als Europa-unwillig und widerborstig eingestuften Dänen. Die Entscheidung fiel – wie Schlüter und Ellemann übereinstimmend berichtet haben –, als Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem schottischen Gipfel das Wort ergriff und mit (Nach-)Druck die Unterstützung für die dänische Regierung sicherte. Die vier Vorbehalte wurden bei einer Volksabstimmung im Mai 1993 dann mehrheitlich von den Dänen angenommen – und sie gelten ja noch heute. Kein Euro, keine Militärbeteiligung in der EU und keine supranationalen Befugnisse in der Rechtspolitik durch Brüssel sind noch immer „Opt-outs“-Klauseln, die manche Politiker zwar gerne ändern würden, aber aus Angst (Respekt?) vor einem Nein durch die Bevölkerung nicht anzupacken wagen.

Natürlich hinkt der Vergleich zwischen dem Brexit und der dänischen Position 1992 aus vielerlei Gründen, auch geopolitisch nach den historischen Veränderungen in Europa und in der EU.  Also kann London gar nichts  von Kopenhagen lernen? Doch! Dass es damals den historischen Kompromiss in Dänemark gab, wonach sich also Gegner und Befürworter auf die Formel mit den vier Vorbehalten einigten, lag nur an der Fähigkeit der verantwortlichen Politiker in Regierung und Opposition, sich trotz heftigster Unterschiede an einen Tisch zu setzen und einen Konsens zu erreichen. „Common sense“, gesunder Menschenverstand, ist jetzt in London gefragt, vor allem ein Verständnis im Mutterland der Demokratie, dass Demokratie just Kompromissbereitschaft voraussetzt.

In diesem Sinne wäre etwas dänische Nachhilfe im Umgang miteinander für die Briten zurzeit wichtiger als nur der tägliche Bacon aus Dänemark! 

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