Leitartikel

Bitte mehr Fehler machen

Bitte mehr Fehler machen

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Apenrade/Aabenraa
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Foto: Abigail Keenan/Unsplash

An amerikanischen Hochschulen ist es heute schon verbreitet, dass den Studierenden das Scheitern beigebracht wird – während in Dänemark mehr als jemals zuvor auf Noten geachtet wird. Doch Fehler und Scheitern gehören dazu – und nur wer sich traut, etwas zu riskieren, kann neue Wege gehen, meint Cornelius von Tiedemann.

„Ich hoffe, dass ihr im kommenden Jahr viele Fehler machen werdet!" Das hat der Schriftsteller Neil Gaiman einmal in einer Neujahrsrede gesagt. Nicht, weil er böswillig ist – im Gegenteil. Gaiman hält, schrieb er später, Fehler für interessant, erstaunlich, ja, glorreich und fantastisch. Nur wer Fehler mache, meint er, mache die Welt zu einem interessanteren Ort – auch für sich selbst.

Ob Dänemarks neuer Ausbildungs- und Forschungsminister Tommy Ahlers Neil Gaiman liest, ist nicht bekannt. Doch er sieht die Sache mit dem „Scheitern als Chance“ offenbar ganz ähnlich. Schließlich rief er jetzt dazu auf, mit der „Nullfehlerkultur“ aufzuräumen.

Schon sein Vorgänger im Ministersessel, Søren Pind, der seine politische Karriere kürzlich aufgab, sprach zuletzt immer häufiger von einem viel zu hohen Erwartungs- und Leistungsdruck, der auf den Schultern der Kinder und Jugendlichen in Dänemark laste. Ob er aufgab, weil er letztlich einsah, dass vielleicht die eigene Wettbewerbs-Ideologie zu dieser Entwicklung beigetragen hat? Wie auch immer – es ist doch erbaulich zu sehen, dass auch der Nachfolger Pinds ein Freigeist ist, der Dinge beim Namen nennt.

Das war gewiss auch das, was Regierungschef Lars Løkke Rasmussen sich von dem gebürtigen Haderslebener, der in Aggerschau aufwuchs, erwartete, als er den aus der Fernsehsendung Løvens Hule (Höhle des Löwen) bekannten Unternehmer zum Minister – und zum Venstre-Parteimitglied – machte.

An amerikanischen Hochschulen ist es heute schon verbreitet, dass den Studierenden das Scheitern beigebracht wird – während in Dänemark mehr als jemals zuvor auf Noten geachtet wird. Die Zugangsvoraussetzungen an den Unis steigen, und wer heute an der Uni mit „gut“ beurteilt wird, empfindet das häufig als Versagen – schließlich gilt es doch, überall „sehr gut“ zu sein.

Ahlers schlägt nun vor, dass es auch an den dänischen Hochschulen Grundkurse geben soll, in denen den jungen Studierenden die Angst vorm Fehlermachen genommen wird. Denn nur wer damit umgehen kann zu scheitern, riskiert auch mal etwas, wagt einen Schritt, vor dem andere vielleicht zurückschrecken.

Für uns alle wäre es gewiss hilfreich, wenn wir lernten, Fehler als Notwendigkeit und nicht als Schande zu begreifen. Nur darf damit nicht erst an den Universitäten begonnen werden. Ahlers Initiative, wird sie denn umgesetzt, ist ein erster wichtiger Schritt, eine gesunde Reaktion auf den teils ungesunden Druck, der heute auf jungen Menschen lastet. Weitere Schritte sollten folgen – politisch, in der Wirtschaft und bei jedem Einzelnen. Nicht, um aus Dänemark ein Land der Versager zu machen – sondern damit es ein Land der Mutigen bleibt. Denn wer wagt, der gewinnt am Ende. Und wenn es „nur“ eine Erfahrung ist.

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