Leitartikel

„Deutsches Menü: Mehr als Schnitzel“

Deutsches Menü: Mehr als Schnitzel

Deutsches Menü: Mehr als Schnitzel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Ob Olaf Scholz oder nun Armin Laschet künftig für das Menü Deutschland verantwortlich zeichnet, ist zwar nicht unwichtig, entscheidend ist jedoch für die Dänen Berechenbarkeit nach innen und nach außen, meint Seniorkorrespondent Siegfried Matlok.

Als dieser Journalist vor vielen Jahren zum Ausgang der Bundestagswahl zwischen den Kanzlerkandidaten Helmut Schmidt (SPD) und Franz-Josef Strauß (CDU/CSU) den konservativen Parteivorsitzenden Poul Schlüter nach seinem Favoriten befragte, antwortete Schlüter ohne zu zögern: Sozialdemokrat Helmut Schmidt! Solche klaren Antworten erhält man in diesen Tagen nicht in Gesprächen mit dänischen Politikern, da herrschen Ungewissheit und Spannung.

Warum sollten sie sich übrigens in Prognosen sicherer auf ein Endergebnis festlegen können als die noch unentschlossenen deutschen Wähler? Hauptsache ist für die Dänen, dass Deutschland nach der Wahl eine neue Regierung bekommt, die einerseits ökonomische Stabilität mit wichtigen Reformschritten verbindet und zugleich noch mehr europäische Verantwortung übernimmt. Dahinter steckt natürlich auch rot-weißes Eigeninteresse, denn nicht weniger als die Hälfte aller 800.000 Beschäftigten im Exportgewerbe dieses Landes gehen auf das Konto Deutschland. Die meisten Firmen dieses Landes – das gilt besonders für Nordschleswig – sind eben lukrativ im Außenhandel mit Deutschland aktiv.

Und wenn es noch eines unmissverständlichen Beweises für die stetig gewachsene deutsche Gewichtung bedurft hätte, dann ist es die aktuelle Meldung, dass Königin Margrethe im November mit Kronprinz Frederik einen Staatsbesuch in Deutschland ablegen wird. Staatsbesuche sind ja nicht wie in Zeiten von Christian X. familiäre Besuche bei Kaiser Wilhelm und dessen aus Augustenburg stammender Kaiserin Auguste Victoria, sondern sie dienen handfesten Interessen. Sie sind auch längst nicht mehr eine alleinige Entscheidung des Königshauses. Staatsbesuche werden zuvor mit der Regierung außenpolitisch abgestimmt.

Deutschland gleich in der Nachwahlperiode zu besuchen – Königin kulturell, Kronprinz kommerziell – macht guten Sinn, obwohl man ja auch in Kopenhagen nicht sicher sein kann, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits eine neue Koalitions-Regierung oder ob man wieder mit einer geschäftsführenden Kanzlerin Merkel auf eine alte Bekannte trifft? Aber dänische Firmen – große wie kleine – frohlocken und erwarten nicht unrealistisch, dass sie bei deutschen Defiziten im Bereich Klima, Digitales, Gesundheitswesen einiges für sich herausholen können. 

Mit anderen Worten ein strategischer Staatsbesuch, der allerdings bestätigt, was auch in Verbindung mit dem 100-jährigen Jubiläum der Grenzziehung von 1920 durch Königin Margrethe und Bundespräsident Steinmeier in diesem Jahr gemeinsam so eindrucksvoll bekundet wurde: Freundschaft wie nie zuvor seit 1864 auf der Grundlage einer hohen Interessen-Parallelität. 

Dass die deutsch-dänischen Beziehungen, wie auch manche Umfragen dokumentieren, jene Qualitäten des gegenseitigen Vertrauens erreicht haben, ist auf so vieles und auf so viele zurückzuführen – vor allem dank kluger Mehrheits-Vertreter, aber auch der beiden Minderheiten in unseren Ländern. Einen Wandel hat es auch dadurch erfahren, dass seit einigen Jahrzehnten auf höchster Regierungsebene die Verbesserung der Zusammenarbeit nicht von ideologisch gleicher  Parteipräferenz in Kopenhagen und Bonn/Berlin abhängig gewesen ist.

Und natürlich sind in diesem Kontext auch die 16 Jahre mit Bundeskanzlerin Angela Merkel wahrlich nicht zu unterschätzen – im Gegenteil: Ihr Kurs mag innenpolitisch umstritten gewesen sein, und Deutschland braucht nach dieser Ära 16 auch Um- und Aufbruch, aber nicht nur in Dänemark wird ihr vor allem ihre Art und Weise, wie sie pragmatisch-moderat und ohne mannchauvinistisches Gehabe EU-Europa in schwersten Krisen zusammengehalten hat, als historisches Verdienst hoch angerechnet. Ängste und Sorgen vor Deutschland, die ja auch noch 1990 nach der deutschen Einheit zu verspüren waren, sind verflogen, die Deutschen sind inzwischen so beliebt und willkommen, wie man es noch vor wenigen Jahren kaum für möglich gehalten hätte, und in Kopenhagen wird Deutschland 2021 nicht zuletzt auch nach dem Brexit als (Rettungs-)Anker in einem unsicher gewordenen Hafen betrachtet. 

Deutschland (Ausnahme aber nicht nur Berlin!) ist den meisten Dänen, insbesondere in den jüngeren Jahrgängen, noch heute oft nicht sexy genug. „Altinget“ schrieb zum Beispiel in einem Wahlkommentar, das Duell um das Kanzleramt sei ein Duell zwischen „Herrn Langweilig und Frau Langweilig“, der frühere Kopenhagener Oberbürgermeister Frank Jensen charakterisierte seinen ehemaligen Hamburger Stadtkollegen Scholz treffend mit den Worten: Kein Showman! Schon gar nicht nach dänischen Maßstäben, und eine bekannte dänische Fernseh-Kommentatorin meinte sogar, die Entscheidung in Deutschland sei so aufregend wie die Wahl zwischen „zwei Schnitzeln“.

Ob Olaf Scholz oder nun Armin Laschet künftig für das Menü Deutschland verantwortlich zeichnet, ist zwar nicht unwichtig, denn nicht nur die deutschen Geschmäcker sind unterschiedlich. Entscheidend ist jedoch für die Dänen, dass das Resultat am Ende jenes Gütezeichen „Made in Germany“ verkörpert, das jahrzehntelang Deutschlands Ansehen auch in Dänemark stetig verbessert hat: Berechenbarkeit nach innen und nach außen  – im Dienste und zum Wohle Europas! 

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