VOICES - MINDERHEITEN WELTWEIT

„Sudan – Der vergessene Bürgerkrieg“

Sudan – Der vergessene Bürgerkrieg

Sudan – Der vergessene Bürgerkrieg

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Berlin
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Im Sudan wird gemordet, geplündert und vergewaltigt. Die Weltgemeinschaft schaut weg, während sich ein Völkermord entfaltet, schreibt Jan Diedrichsen in seiner aktuellen Kolumne „Voices – Minderheiten weltweit“.

Sieben Monate nach Beginn des sudanesischen Bürgerkriegs sind die Bedingungen für viele Menschen in der Hauptstadt Khartum schlimmer denn je. Niemand im Sudan hat erwartet, dass der Krieg, der zwischen der Armee und der paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF) ausgebrochen ist, fast fünf Monate andauern würde, ohne dass ein Ende in Sicht wäre.

Menschenrechtsaktivisten und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten, dass in den Kriegsgebieten in der Hauptstadt Khartum und in den Bundesstaaten Darfur und Kordofan weiterhin Gräueltaten verübt werden, darunter Morde, Plünderungen und Vergewaltigungen.

Dutzende Mitarbeitende von Hilfsorganisationen und Menschenrechtsaktivisten wurden getötet oder verletzt; Büros der UN sowie von Hilfsorganisationen wurden geplündert.

Abdul-Aziz Hussein – dessen Name zu seiner Sicherheit geändert wurde – beschloss im April in Khartum zu bleiben. „Wir werden immer noch belagert, und die Kämpfe haben nicht aufgehört“, sagt er der BBC. „Die RSF sind in das Gebiet eingedrungen und haben Chaos angerichtet, während die Armee ihre Stellungen in der Nachbarschaft beschießt. Der Tod kann jeden Moment kommen.“ Schätzungsweise 5.000 Sudanesen wurden bereits im Kreuzfeuer zwischen den beiden sich bekämpfenden Militärs getötet, und viele weitere wurden verletzt.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern möchte der 45-jährige Lehrer nun unbedingt weg. Vergangenen Monat hätten sie es fast geschafft, aber die Kämpfe um ihr Haus im Vorort Kalakla waren zu heftig. Die Gegend ist jetzt eine Geisterstadt, die Familie hat seit zwei Tagen nichts mehr gegessen und selbst Wasser ist schwer zu finden. Elektrizität, sagt Abdul-Aziz Hussein, ist ein seltener Luxus.

Vor zwanzig Jahren verwandelten Banden der berüchtigten Dschandschawid-Milizen Sudans weitläufige westliche Region Darfur in das, was als der erste Völkermord des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird. Heute sind Plünderungen, Vergewaltigungen und Massentötungen durch eine der paramilitärischen Fraktionen in Sudans siebenmonatigem blutigen Bürgerkrieg, die Rapid Support Forces (RSF), eine Nachfolgegruppe der Dschandschawid, in die verarmte Region zurückgekehrt.

Anfang dieses Monats wurden mehr als 800 Menschen getötet, als die RSF und verbündete arabische Kämpfer die Armeegarnison in der Hauptstadt von West-Darfur, El Geneina, überrannten. Die Gruppe hat nun drei der fünf Landeshauptstädte von Darfur eingenommen. Der Vormarsch hat zwei Rebellengruppen aus Darfur dazu veranlasst, sich den Kämpfen anzuschließen und sich für die sudanesische Armee zu engagieren, obwohl sie sich seit Langem über die Ausgrenzung der schwarzafrikanischen Gemeinschaften in der Region durch die arabisch dominierte Regierung beschweren. Die Eroberung der gesamten Region durch die RSF scheint jedoch nach wie vor wahrscheinlich.

Die RSF spaltete sich vor sieben Monaten von der Armee geführten Regierung ab und stürzte das Land in einen Bürgerkrieg. Es gibt immer wieder Berichte, wonach ihre Soldaten in zahlreiche Morde an Zivilisten und Vergewaltigungen verwickelt waren. Im Juli leitete der Internationale Strafgerichtshof eine Untersuchung über mögliche Kriegsverbrechen in Darfur ein.

Der Konflikt fordert im ganzen Land einen verheerenden Tribut. Bis heute sollen rund 10.400 Menschen ums Leben gekommen sein, fünf Millionen der 46 Millionen Einwohner wurden vertrieben, 1,2 Millionen flohen ins Ausland, vor allem in den Tschad, den Südsudan und nach Ägypten. Die UNO schätzt, dass die Hälfte der Bevölkerung Hilfe braucht, um zu überleben.

Internationale Bemühungen unter der Führung der USA und Saudi-Arabiens, einen Waffenstillstand auszuhandeln, sind gescheitert, während Berichten zufolge beide Seiten Waffen und Unterstützung von außen erhalten, die RSF von den Vereinigten Arabischen Emiraten und die Armee von Ägypten. Wieder einmal sieht die Welt untätig zu, wie sich ein Völkermord entfaltet.

Mehr lesen
Gabriel N. Toggenburg

Minderheiten in Europa

„Das Minority Safepack ist kein Stück Butter mit kurzem Verfallsdatum“

Triest/Trieste/Trst Während Frankreichs korsische Bevölkerung Autonomie erhält, kämpfen LGTBIQ-Gemeinschaften in Ungarn gegen diskriminierende Gesetze. Der EU-Jurist Gabriel Toggenburg erklärt im Gespräch mit Bojan Brezigar von der slowenischen Tageszeitung „Primorski Dnevnik“ aus Triest (Italien), wie Initiativen wie „Minority Safepack“ und EU-Rechtsprechungen für ein gerechteres Europa sorgen könnten.

VOICES - MINDERHEITEN WELTWEIT

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
„30 Jahre nach dem Genozid: Ruanda als europäisches ,Asylzentrum'?“

Wort Zum Sonntag

Anke Krauskopf
Anke Krauskopf
„Was hat eigentlich eine leckere Brezel mit Beten zu tun?“

Diese Woche In Kopenhagen

Walter Turnowsky ist unser Korrespondent in Kopenhagen
Walter Turnowsky Korrespondent in Kopenhagen
„Die unaufgeregte Diskussion über den historischen Beschluss zur Abtreibung“