Umwelt und Natur

Forschende: Seegras ist kein Rettungsanker fürs Klima

Forschende: Seegras ist kein Rettungsanker fürs Klima

Forschende: Seegras ist kein Rettungsanker fürs Klima

Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Seegras
Seegras wurde bereits als Klimaretter gefeiert, kann laut einer Forschendengruppe aber nur unter bestimmten Bedingungen wirklich helfen. Foto: Benjamin L. Jones/Unsplash

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die erhoffte Rettung fürs Klima sind Seegraswiesen nicht. Dennoch plädiert eine Gruppe dänischer Forscherinnen und Forscher dafür, die Grundlagen an Land so zu verändern, dass eine große „Aufforstung“ unter Wasser gelingt. Dazu sei es unter anderem nötig, den Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft sofort zu reduzieren.

Tang und Seegras sollen die Förden in Nordschleswig retten, doch Forschende der Universität Aarhus haben nun herausgefunden, dass Seegras doch nicht so viel Kohlenstoff binden kann, wie vermutet. Somit ist die Pflanze offenbar nur bedingt geeignet, CO₂-Bilanz und Klima zu verbessern. Das geht aus einer Pressemitteilung des Instituts für Ökowissenschaften der Universität Aarhus hervor.

Zwei Tage lang hatte das Institut im Mai mit 28 dänischen Forschenden und administrativen Angestellten diskutiert, die sich mit Algen, Seegras und der Umwandlung von Kohlenstoff und Stickstoff im Meer beschäftigen. Im Kern ging es darum, ob die Pflanzen eine entscheidende Rolle bei der Ablagerung von Kohlenstoff und Stickstoff in unseren Fjorden und Küstengebieten spielen.

Hintergrund ist eine Reihe Zeitungsüberschriften, die Seegras als Klimaretter propagieren – etwa „Die blauen Wälder können mehr binden als Dänemarks CO₂-Emission“. Ein Artikel mit dem Titel erschien am 12. September 2022 in der Zeitung „Børsen“, wobei sich die „blauen Wälder“ auf Seegraswiesen in Küstengewässer beziehen. 

Die Forschendengruppe will laut Pressemitteilung mit den falschesten Behauptungen aufräumen. Sie sagen: Seegraswiesen sind keine große CO₂-Falle. 

CO₂-Speicherung klappt nur bedingt

So sei es etwa falsch, so die Forschenden, dass Tang und Seegras organischen Kohlenstoffdioxid in der Wurzelzone anreichern und quasi „dauerhaft vergraben“. „Leider ist dies nicht der Fall“, erklärt Professor Bo Barker Jørgensen vom Fachbereich Biologie der Universität Aarhus laut Pressemitteilung. Er forscht seit mehr als 40 Jahren zu diesem Thema. Barker Jørgensen sagt, dass das organische Material, das in dem sauerstofffreien Teil des Meeresbodens vergraben ist, von Bakterien verstoffwechselt wird, die ohne Sauerstoff atmen. Stattdessen würden die Bakterien beispielsweise Nitrat, Sulfat und Eisen verwenden, wenn sie organisches Material abbauen.

„Wenn sich das Seegras zersetzt, werde der größte Teil des gebundenen CO₂ in der Folge wieder freigesetzt, sodass die Pflanzen den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre netto nicht verändern werden“, so der Forscher.

Nur wenn sich das Seegras auf größere Flächen ausbreitet, könnten die Pflanzen über eine kürzere Anzahl von Jahren mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnehmen, als wieder freigesetzt wird. Dies ähnele dem Konzept, das an Land als „Aufforstung“ bekannt ist. Im Meer sei die „Aufforstung“ jedoch sehr kurzlebig. 

Den Förden geht es schlecht: Das Archivbild aus dem Jahr 2020 zeigt ein Fischsterben in Apenrade aufgrund von Sauerstoffmangel. Foto: Aabenraa Kommune

Umwelteinflüsse können Freisetzung sogar ankurbeln

In ähnlicher Weise wirke Seegras als Quelle für die Freisetzung von CO₂ in die Atmosphäre, wenn die Seegrasfläche abnimmt, z. B. aufgrund von Sauerstoffmangel, trübem Wasser, Hafenerweiterungen oder ähnlichem.

Ein zweiter Punkt in der Debatte um die CO₂-Speicherung sei die Verwechslung von „Vorrat“ und „Raten“, so die Forschenden. „Die CO₂-Menge, die Dänemark pro Jahr in die Atmosphäre abgibt, ist eine Rate, und es ist verwirrend, diese Rate mit dem Kohlenstoffvorrat zu vergleichen, der bereits im Meeresboden vergraben ist“, betont Bo Barker Jørgensen.

Verwechslung von Einheiten

Im Zusammenhang mit dem Klima sei die „Rate“ – also die Menge an CO₂, die Seegras pro Zeit aufnimmt und abgibt – von Bedeutung. Diese Rate könne mit den jährlichen CO₂-Emissionen Dänemarks verglichen werden. Der Kohlenstoffvorrat hingegen sei das Ergebnis vergangener Zugänge und Verluste von Kohlenstoff. „Er ist kein Maß für das, was heute geschieht“, so der Forscher.

Bo Barker Jørgensen kritisiert eine Reihe wichtiger Websites verschiedener Organisationen, etwa die Gesellschaft für Naturschutz (Danmarks Naturfredningsforening), den World Wildlife Fund WWF und die Denkfabrik Hav (Tænketanken Hav). „Sie machen leider irreführende Aussagen über die Fähigkeit von Seegras, Kohlenstoff zu binden.“

Die Forschendengruppe will nun die Initiative ergreifen, um die Aussagen korrigieren zu lassen. Zudem will sie sich kritisch mit verschiedenen Aussagen in der wissenschaftlichen Literatur auseinandersetzen, die leider missverstanden werden können. 

Mit steigenden Temperaturen werden sich die Probleme in den kommenden Jahren nur noch verschärfen.

Karen Timmermann

Seegras und Tang müssen wieder wachsen

„Wir müssen weniger Nährstoffe vom Land einleiten, um das Wachstum von Seegras und Tang zu fördern“, so die Forschenden. Denn obwohl die Pflanzen nicht der große Klimaretter sind, seien sie wichtig für eine Reihe anderer Zusammenhänge im Ozean – etwa die Artenvielfalt. Viele kleine Tiere ernährten sich von den Blättern, und kleine Fische suchten in Seegras- und Seetangbänken Schutz und Unterschlupf, so die Forschenden.

„Leider hat die Verbreitung der Pflanzen drastisch abgenommen und ist weit von ihrem früheren Dasein entfernt.“ Die Forschendengruppe ist sich daher einig, dass dringend daran gearbeitet werden müsse, die Pflanzen auf eine möglichst große Fläche zu bringen.

Nährstoffeinträge der Landwirtschaft zurückfahren

Die Gruppe betont geeint, dass die Einleitung von Nährstoffen in die Meeresumwelt deutlich und schnell reduziert und der Einsatz von Grundschleppnetzen in den Küstengewässern beendet werden muss, damit die Bedingungen für das Wiederanwachsen der Pflanzen geeignet sind. Dänemark müsse „echte und gezielte“ Maßnahmen ergreifen, um die Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft zu reduzieren. 

„Wir müssen es jetzt tun“, so die Forschenden. Die Meeresumwelt sei in einem kritischen Zustand. „Mit steigenden Temperaturen werden sich die Probleme in den kommenden Jahren nur noch verschärfen“, sagt Karen Timmermann von der Abteilung für aquatische Ressourcen der Technischen Universität Dänemark (DTU) laut Meldung.

Seegraswiese
Seegraswiesen können Kohlenstoff binden und speichern, so die bislang einhellige Meinung. Foto: Benjamin L. Jones/Unsplash

Es ist leicht, große Seegrasflächen zu zerstören, aber es ist schwierig, geeignete Flächen zu finden, auf denen Seegras überleben kann.

Mogens Flindt

Leitlinien zur Anpflanzung von Seegras

Seit einigen Jahren arbeitet eine Forschungsgruppe an der Universität Süddänemark (SDU) daran, eine wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung der Frage zu schaffen, ob die Anpflanzung von Seegras in Gebieten, in denen es zuvor gewachsen ist, von Vorteil ist.

„Grundsätzlich können wir sagen, dass es entscheidend ist, dass die Nährstoffbelastung reduziert wird, das Wasser klar ist und der Meeresboden die richtigen Eigenschaften aufweist, bevor Seegras gepflanzt wird“, erklärt Mogens Flindt vom Fachbereich Biologie der SDU. Gemeinsam mit dem Zentrum für marine Naturwiederherstellung (center for Marin Naturgenopretning) hat die SDU Leitlinien für die Bepflanzungsarbeiten entwickelt.

„Es ist leicht, große Seegrasflächen zu zerstören, aber es ist schwierig, geeignete Flächen zu finden, auf denen Seegras überleben kann“, betont Mogens Flindt, der ohne Berücksichtigung der Leitlinien „Wildwest-Bedingungen“ fürchtet.

Seegraswiesen müssen bislang nicht überwacht werden

Wenn man große Flächen bepflanze, müssten viele Triebe aus den natürlichen Seegraswiesen geerntet werden. Außerdem gebe es oft keine klaren Vorgaben, dass die Anpflanzungen zu lebensfähigen Seegraswiesen führen müssen. Es bestehe auch keine Verpflichtung, die Entwicklung in den Jahren nach der Wiederherstellung zu überwachen, so Flindt. „Stellt sich heraus, dass die Neupflanzung misslingt, ist eigentlich kein Ausgleich geleistet worden. Ganz im Gegenteil.“

„Es ist wichtig, dass gründlich geprüft wird, ob die natürlichen Seegraswiesen diese Ernte verkraften können, und dass die Aktivitäten im ganzen Land sorgfältig verfolgt werden. Uns fehlen einfach Ergebnisse, die zeigen, ob gepflanztes Seegras mehrere Jahre lang überlebt“, sagt Kaj Sand-Jensen vom Fachbereich Biologie der Universität Kopenhagen.

Projekte laufen auch in Nordschleswig an

Die zahlreichen Initiativen zur Anpflanzung von Seegras, die in vielen verschiedenen Zusammenhängen laufen, sind ein Zeichen dafür, dass viele Menschen aktiv etwas für die Verbesserung der Meeresumwelt tun wollen. Auch in Nordschleswig sollen in den Förden von Hadersleben (Haderslev), Apenrade (Aabenraa) und Flensburg (Flensborg) Seegraswiesen entstehen. 

Mehr Schutz für das Meer muss an Land passieren

Die Forschenden sind sich weitgehend einig, dass die Anpflanzung von Seegras andere Initiativen zur Verbesserung der Umwelt nicht ersetzen kann. Es sei wichtig zu betonen, dass die Anpflanzung von Seegras nicht als „Greenwashing“ eingesetzt wird.

„Es ist absolut entscheidend, dass wir sehr schnell erhebliche Anstrengungen an Land unternehmen“, fügt Karen Timmermann hinzu. Die aktive Anpflanzung von Seegras allein könne die Meeresumwelt nicht retten.

Mehr lesen

Leitartikel

Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
„Ja zu Tempo 30 innerorts: Warum wir auf die Fakten hören sollten“