Deutsche Minderheit
Vorruhestand für Helga Jørgensen nach über vier Jahrzehnten
Vorruhestand für Helga Jørgensen nach über vier Jahrzehnten
Vorruhestand für Helga Jørgensen nach über vier Jahrzehnten
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Helga Jørgensen hat sich dazu entschlossen, aus dem Berufsleben auszuscheiden. Die Sekretärin des Deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig wird gegen Ende dieses Monats 64. Ihr neuer Lebensabschnitt beginnt am 1. Januar 2022, fast auf den Tag genau 44 Jahre nach ihrem Dienstantritt. Sie blickt im Interview zurück-und nach vorne.
Der Wechsel in den Vorruhestand ist selbstbestimmt und gut vorbereitet, erzählt Helga Jørgensen. Sie habe den Deutschen Schul- und Sprachverein für Nordschleswig (DSSV) frühzeitig in ihre Pläne eingeweiht.
Nadine Ehrenbrusthoff sichert die Nachfolge
Helga Jørgensen hat die letzten fünf Wochen ihres Dienstes Nadine Ehrenbrusthoff an ihrer Seite gehabt. Die Apenraderin folgt Helga Jørgensen auf ihrem Posten. Ehrenbrusthoff nimmt nach dem Jahreswechsel wie ihre Vorgängerin als Sachbearbeiterin Sekretariatsfunktionen wahr und bearbeitet eigenverantwortlich Aufgaben des Sekretariats. Anfragen zu Personalangelegenheiten im schulpädagogischen Bereich sind des Weiteren dem Aufgabenbereich zugeordnet.
Weichen rechtzeitig stellen
„Wenn man in das Alter kommt, muss man zusehen, dass man überlegt, was man macht und wie man es macht“, sagt Helga Jørgensen. Die Rothenkrugerin (Rødekro) feiert gegen Ende dieses Monats ihren 64. Geburtstag. Sie wechselt am 1. Januar 2022 in den Vorruhestand.
„Das ist unglaublich. Ich hatte meinen ersten Arbeitstag am 2. Januar 1978. Das werden dann 44 Jahre. Ganz wenige bleiben so lange an einem Arbeitsplatz. Ich habe es bestimmt nicht bereut. Ich bin Sekretärin und so ein bisschen Mädchen für alles gewesen“, sagt Helga Jørgensen und lacht herzlich.
Das „junge Ding“ hielt dem DSSV die Treue
Helga Jørgensen erinnert sich noch gut an ihren Einstieg beim DSSV. Die gebürtige Rapstedterin hatte gerade ihren 20. Geburtstag gefeiert, als sie 1978 ein Teil des damals fünfköpfigen Teams der Geschäftsstelle wurde.
„Ich verstehe gar nicht, dass der DSSV sich traute, mich junges Ding einzustellen. Die anderen Mitarbeiter gehörten der Eltern- und Großelterngeneration an“, sagt Helga Jørgensen. Aber sie sei von Anfang an herzlich aufgenommen worden, und ihre Vorgängerin Ingeborg Berg gab ihr nützliches Fachwissen mit auf den Weg, bevor sie auf sich selbst gestellt wurde.
Das ist unglaublich. Ich hatte meinen ersten Arbeitstag am 2. Januar 1978. Das werden dann 44 Jahre. Ganz wenige bleiben so lange an einem Arbeitsplatz. Ich habe es bestimmt nicht bereut. Ich bin Sekretärin und so ein bisschen Mädchen für alles gewesen.
Helga Jørgensen, scheidende DSSV-Mitarbeiterin
Von der Rechtsanwaltskanzlei ins Schulamt
Helga Jørgensen ist in der deutschen Minderheit aufgewachsen. Nach dem Schulbesuch in Rapstedt (Ravsted) und Tingleff (Tinglev) wechselte sie an die Handelsschule in Tondern (Tønder). Danach machte sie ihre Lehre als Bürokraft in einer Rechtsanwaltskanzlei in Lügumkloster (Løgumkloster). „Zum 1. August 1977 war ich fertig. Dann hatte ich erst mal Sommerferien“, erinnert sich Helga Jørgensen, die schon damals mit ihrem Freund und späteren Ehemann Helmut Jørgensen in Rothenkrug wohnte. Auf ihrer Suche nach einem neuen Job bewarb sie sich im Herbst 1977 erfolgreich auf eine Stelle beim Schulamt, das zu dem Zeitpunkt Schulrat Peter Jessen Sönnichsen leitete.
Nützliches Wissen für die Sekretärin
Die Arbeit beim Schulamt habe sie beruflich gefordert, blickt Helga Jørgensen zurück. „Das war ein Riesensprung von der Arbeit in der Kanzlei. Aber die Erfahrungen, die ich von da mitbrachte, haben mir alle Jahre beim DSSV geholfen“, unterstreicht sie. Während ihrer Lehrzeit lernte sie, wie man Akten führt und mit Dokumenten umgeht.
Die Treppe knirscht noch immer
1978 hatte der DSSV seine Geschäftsräume am Jürgensgaard (Jørgensgaard) in Apenrade. Dort hatte der Deutsche Kindergarten Jürgensgaard schon damals seinen Hort, und inzwischen nutzt der Kindergarten das ganze Haus.
Das Schulamt hatte seine Geschäftsräume im ersten Stock. Als der Kindergarten vor einigen Jahren nach einem umfassenden Umbau zu einem Tag der offenen Tür einlud, nutzte Helga Jørgensen die Möglichkeit, ihren einstigen Arbeitsplatz zu besuchen. „Die Treppe zum ersten Stock knirscht noch genauso wie damals“, lacht Jørgensen.
Sparsam gewirtschaftet
„Als ich anfing, gab es kein Geld für die Geschäftsstelle. Wir konnten nichts anschaffen und unsere Räumlichkeiten renovieren. Wir haben sehr sparsam gewirtschaftet. Das Geld ging an die Schulen“, sagt Jørgensen. Das habe sie aber nicht gestört. Die bescheidene junge Frau freute sich darüber, wenn ab und an ein neuer Bürostuhl oder eine moderne Schreibmaschine angeschafft werden konnte. Im Winter ließ sich die Heizung nicht richtig aufdrehen. „Das Haus war nicht isoliert. Ich habe oft mit Mantel am Schreibtisch gesessen“, lacht Helga Jørgensen.
Akustischer Rahmen: Kinderstimmen
„Es war eine gute Zeit am Jürgensgaard. Und als wir 1994 in große und moderne Räumlichkeiten an die Ramsharde zogen, vermisste ich die unmittelbare Nähe zum Kindergarten“, sagt Helga Jørgensen. Sie habe genossen, den Stimmen der Kinder auf dem Spielplatz zuzuhören.
Dieser akustische Rahmen wurde erneut ein Teil ihres Arbeitsalltags, als der Schul- und Sprachverein in den Neubau des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) an der Apenrader Westerstraße (Vestergade) zog. „Seitdem habe ich den Deutschen Kindergarten Dronning Margrethesvej in unmittelbarer Nähe“, sagt Helga Jørgensen.
Der dritte Umzug ging in das Haus Nordschleswig
Nach der Errichtung des Hauses Nordschleswig, das Dienstleistungszentrum der deutschen Verbände und Vereine, wurde der DSSV ein Teil der Gemeinschaft. „Wir sind 2006 eingezogen“, erinnert sich Helga Jørgensen an den dritten Umzug in ihrer beruflichen Zugehörigkeit zum DSSV.
Schul- und Sprachverein der größte Verband
Der DSSV erhielt seinen Standort in dem neu gebauten Trakt. „Da hatten wir wieder ganz neue Räume, und vor allen Dingen hatten wir alle Verbände ganz in der Nähe und wir haben ein richtig gutes Miteinander hier“, freut sich Jørgensen. Mit über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, verteilt auf das Deutsche Gymnasium für Nordschleswig (DGN), 13 Schulen und 19 Kindergärten sowie den insgesamt 16 Mitarbeitern der Geschäftsstelle, ist der DSSV der größte Verband unter dem Dach des BDN.
Großer Verwaltungsapparat
„Ich kümmere mich ganz viel um das, was mit den Schulen zu tun hat“, so Jørgensen. Sie sei unter anderem dabei, wenn neue Lehrkräfte angestellt werden. Bei diesem Vorgang werde ein großer Verwaltungsapparat in Gang gesetzt, denn der DSSV beschäftigt oft Lehrkräfte, die Beamte des Landes Schleswig-Holstein sind. „Da sind beamtenrechtliche Dinge, die wir befolgen müssen. Ungefähr 85 Prozent unserer ca. 250 Lehrer sind verbeamtet“, überlegt Helga Jørgensen.
Dienstweg muss eingehalten werden
Mittlerweile seien keine Lehrer mehr im Dienst, die bei Helga Jørgensens Einstieg beim DSSV arbeiteten. Helga Jørgensen habe die Jahre über regen telefonischen Kontakt zu den Lehrerinnen und Lehrern und deren Schulleitung gehabt. Wenn Beamte eine Frage zu ihrem Status haben, müsse diese über die Schulleitung an das Schulamt herangetragen werden. „Wenn man verbeamtet ist, muss man den Dienstweg einhalten“, weiß die erfahrene Sachbearbeiterin.
Einzigartige Konstellation
Die Lehrerinnen und Lehrer an den deutschen Schulen in Nordschleswig sind vom DSSV angestellt und werden auch vom Schulamt entlohnt. Die meisten Lehrenden wohnen in Nordschleswig und sind beurlaubt aus dem Schuldienst des Landes Schleswig-Holstein. „Das ist einzigartig. Wir haben einen Sonderstatus, die Arbeitsvorgänge, die ich mache, kann man nirgendwo lernen“, unterstreicht Helga Jørgensen.
In der Corona-Krise beantwortete Helga Jørgensen viele Anfragen von Leuten, die überlegten, ihren Lebensmittelpunkt von Deutschland nach Dänemark zu verlegen. Dabei sei sie so manches Mal auf Menschen gestoßen, die „denken, dass wir hier in Nordschleswig eine deutsche Enklave sind. Aber wir müssen uns auch nach dänischen Gesetzen richten“, unterstreicht die scheidende DSSV-Mitarbeiterin. Sie freue sich einerseits über steigende Resonanz für die Einrichtungen der Minderheit, aber das große Interesse habe beispielsweise in Sonderburg (Sønderborg) Platzmangel an der Deutschen Schule (DSS) ausgelöst. „Die sind voll bis unters Dach. Aber das ist fast ein Luxusproblem“, stellt Helga Jørgensen fest.
Kontaktpflege durch Lebensbescheinigung
Eine ihrer breitflächig zusammengestellten Arbeitsaufgaben ist auch die Betreuung der Beamten im Ruhestand. Diese müssen jährlich eine Lebensbescheinigung bei ministerieller Stelle in Kiel einreichen. „Das ist eine richtig schöne Aufgabe“, freut sich Jørgensen über den Kontakt zu ehemaligen Kollegen.
Arbeitsaufgaben in vielen Bereichen
Neben Verwaltungsaufgaben der Lehrkräfte leitet Helga Jørgensen unter anderem das Archiv des Schulamtes. Der DSSV blickte im August 2020 auf sein 75-jähriges Bestehen zurück. Das Archiv des Schulamtes kann bis ins Gründungsjahr zurückverfolgt werden. In Zusammenarbeit mit Hauke Grella, Leiter des Deutschen Museum Nordschleswig, werden die ältesten Archivstücke ins Museum nach Sonderburg verlegt, wo sie bis auf Weiteres unter Verschluss bleiben.
„Und dann bin ich zuständig für den Jahresbericht des DSSV“, erinnert sich Helga Jørgensen an eine weitere Arbeitsaufgabe. Bis der traditionsreiche Deutsche Volkskalender für Nordschleswig 2011 eingestellt wurde, hatte sie auch die Verantwortung für den Versand des Jahrbuches. Stattdessen betreut Helga Jørgensen die DSSV-Homepage.
Qualitätszeit mit dem Enkelkind
„Ich gehe gerne und freue mich. Das ist der richtige Entschluss zum richtigen Zeitpunkt gewesen. Das wird positiv, da habe ich gar keine Zweifel“, versichert die Vorruheständlerin in spe. Einen festen Plan für den Alltag ohne Arbeit habe sie nicht gemacht. „Ich arbeite, seit ich 17 bin. Das ist eine lange Zeit. Ich glaube, ich kann sagen, dass ich meine Bürgerpflicht erfüllt habe. Jetzt möchte ich meinen Ruhestand genießen. Ich werde mich auf jeden Fall viel mit meinem Enkel beschäftigen“, weiß die frischgebackene Großmutter.
Sie ist auch gern sportlich unterwegs mit dem Fahrrad oder per pedes. Sie zählt des Weiteren Handarbeiten, Malen und Reisen zusammen mit ihrem Mann zu ihren Hobbys. Ihr Interesse für die Familienforschung entdeckte sie bei ihrer Arbeit, als sie vor vielen Jahren für Hans Friedrich J. Hansen dessen Buchmanuskript zur „Schulgeschichte des Kirchspiels Tingleff“ für den Druck erfasste.