Weltkulturerbe Christiansfeld
Verfall auf dem Gottesacker: Schönheit der Vergänglichkeit
Verfall auf dem Gottesacker: Schönheit der Vergänglichkeit
Verfall auf dem Gottesacker: Schönheit der Vergänglichkeit
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Vor 250 Jahren ließ sich die Herrnhuter Brüdergemeine in Christiansfeld nieder. Heute zählt ihre Gemeinde etwa 350 Mitglieder. Der Gottesacker der Brüdergemeine ist Teil des Weltkulturerbes, auf dem bis heute Gemeindeglieder zur letzten Ruhe gebettet werden – und auf dem die jahrhundertealten Grabsteine in Ruhe und Frieden verwittern dürfen.
Friedlich ist es auf dem Gottesacker, „Gudsageren“, wie der Friedhof der Herrnhuter Brüdergemeine in Christiansfeld auf Dänisch heißt. Die Wintersonne taucht den Gottesacker in ein freundliches Licht. Einige Spaziergänger flanieren über die Anlage. Immer mehr Besuchende entdecken die Stadt der Herrnhuter auch außerhalb der Hochsaison für sich.
Mehr Gäste außerhalb der Hochsaison
„Seit die UNESCO Christiansfeld zum Weltkulturerbe ernannt hat, kommen auch im Winterhalbjahr mehr Gäste. Etwa 30.000 sind es im Jahr“, sagt Jørgen Bøytler. Er ist seit vielen Jahren Pastor der Herrnhuter Brüdergemeine in Christiansfeld.
Gottesacker ein beliebtes Ausflugsziel
Auch der Friedhof ist für Einheimische und Gäste ein beliebtes Ausflugsziel. Vor drei Jahren konnte die Brüdergemeine die historische Anlage nach einer umfassenden Restaurierung wiedereröffnen. Acht bis neun Millionen Kronen hat allein die Instandsetzung des Gottesackers verschlungen. Die alten Linden mussten aus Altersgründen gefällt werden – und renommierte Fachleute haben mit Rat und Tat dazu beigetragen, dass der Gottesacker sich heute als Teil des Welterbes in neuem Licht präsentiert.
Schön praktisch: Grabplatten in der geneigten Ebene
Unleserlich sind die Schriftzüge auf vielen der Grabsteine geworden. An den Sandsteinplatten nagt der Zahn der Zeit. Und das sei gut so – so solle es sein, betont Pastor Jørgen Bøytler: „Es zeigt die Schönheit, die dem Zerfall innewohnt.“
Vandalen auf dem Gottesacker
Sandstein verwittert mit der Zeit. Um diesen Prozess zu verlangsamen, sind sie in einer geneigten Ebene in das Erdreich eingelassen, sodass Regenwasser ablaufen kann. Einige Grabsteine hat der Frost gesprengt – ein paar andere sind von Vandalen zerstört worden.
Die Brüdergemeine hat versucht zu „kitten“, was zu retten ist, und einzelne Teile wieder zusammengefügt, so gut es eben geht. Nicht mehr und nicht weniger.
Ansonsten aber lässt die Brüdergemeine die Grabsteine auf ihrem Gottesacker in Ruhe und Frieden ruhen. Das mag manchem ungewöhnlich erscheinen: „Ich habe nur positive Kommentare zu hören bekommen“, sagt der Pastor.
Ein Spiegel jahrhundertealter Kirchenordnung
Ein- bis dreimal im Jahr nimmt er die Bestattung eines Gemeindegliedes vor: „Es gibt auch Jahre, in denen niemand beerdigt wird“, erzählt der Pastor während eines Gangs über den Gottesacker. Etwa 350 Mitglieder gehören heute zu seiner Gemeinde, der einzigen Herrnhuter Brüdergemeine in Dänemark.
Ihr Friedhof spiegelt zugleich die Kirchenordnung wider, die die Brüdergemeine seit einem Vierteljahrtausend prägt: Im rechten Viertel wurden die Frauen bestattet und links die Männer. Im hinteren Teil der Anlage werden die Verstorbenen der vergangenen Jahrzehnte zur letzten Ruhe gebettet.
Alles hat seine Zeit
Es gibt einen weiteren Grund, weshalb die Sandsteinplatten in Ruhe gelassen werden: „Wie auf jüdischen Friedhöfen gibt es bei der Brüdergemeine keine Grabauflösung“, erläutert der Pastor. Alles hat seine Zeit – und dazu gehört die Vergänglichkeit.
Seit der Restaurierung der Anlage liegen alle Grabplatten wieder an ihrem angestammten Platz – und auch ihre Anordnung hat System: Was, in eine Richtung betrachtet, leicht chaotisch anmuten mag, hinterlässt aus einem anderen Winkel einen gänzlich anderen Eindruck. Dann liegen die Platten in Reih und Glied: „Also richtig deutsch“, sagt Jørgen Bøytler mit einem Lächeln.
Denn Ordnung muss sein. Ihr Sinn für Ordnung hat die Herrnhuter Ende des 18. Jahrhunderts aus Herrnhut in der Oberlausitz in den Norden nach Christiansfeld begleitet.
Davon zeugt nicht zuletzt der Gottesacker mit seiner strengen Symmetrie. Dennoch macht die Brüdergemeine Zugeständnisse an die „Neuzeit“: Wem der Gottesacker heute eher wie eine Gotteswiese erscheint, sieht nicht verkehrt: „Früher war der Friedhof schwarz – heute ist er grün“, sagt der Pastor.
Heute wächst zwischen den Grabstätten das Gras, aber es wuchert nicht: „Wir mähen den Rasen im Sommer in größeren zeitlichen Abständen; zwischen den Grabplatten wird noch seltener gemäht.“
Neues Konzept mit weniger Benzin und ohne Pflanzengift
Das hat zwei Gründe. Zum einen finanzielle, zum anderen möchte die Brüdergemeine der Biodiversität auf dem Gottesacker neue Impulse geben. So wird die Anlage von einem kleinen „Wald“ umkränzt, der im Großen und Ganzen sich selbst überlassen bleibt. Alte Baumstämme verrotten dort und werden zum Lebensraum für Insekten.
Das Konzept für den Gottesacker sei wohlüberlegt, betont Bøytler. Und: Es erfordert weniger Benzin fürs Rasenmähen und keine Spritzmittel.
All dies sei ganz im Sinne der Herrnhuter: „Der Friedhof ist ein Acker Gottes – die Menschen, die dort ihre letzte Ruhe finden, sind seine Saat – bildlich gesprochen. Daher stammt die Bezeichnung Gottesacker“, erläutert Pastor Bøytler.
Der berühmte Gottesacker in Christiansfeld ist – zumindest mit Blick auf seine Restaurierung – ein abgeschlossenes Kapitel. Im 250. Jahr ihres Bestehens warten weitere Projekte auf die Brüdergemeine. Die romantische Gartenanlage Christinero ist eines davon: „Eine Instandsetzung würde etwa zwölf Millionen Kronen kosten“, sagt der Pastor – und er fügt hinzu, dass sich die Brüdergemeine bei verschiedenen Stiftungen bereits um eine Förderung beworben habe.
Es wäre ein schönes Geschenk zum 250. Geburtstag.