Deutsche Minderheit

Autorin Judith Hermann: „Dänen sind die idealen Leser“

Autorin Judith Hermann: „Dänen sind die idealen Leser“

Autorin Judith Hermann: „Dänen sind die idealen Leser“

Der Nordschleswiger
Der Nordschleswiger
Tingleff/Tinglev
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Schriftstellerin Judith Hermann spricht über ihr Werk „Sommerhaus, später“. Foto: Claudia Knauer

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Bei einer Lesung in der Deutschen Nachschule Tingleff hat die Schriftstellerin darüber gesprochen, wieso ihre Werke in Dänemark so gut ankommen und was es braucht, um selbst ein Buch zu schreiben. Das Interesse war vor allem bei den Schülerinnen und Schülern groß.

Ihre Hände sind ausdauernd in Bewegung. Ihre Stimme verleiht ihren Texten Tiefe und Lebendigkeit. Ihre kargen, spröden Sätze entfalten ein ganzes Universum. Judith Hermann, vielfach ausgezeichnete und in 26 Sprachen – darunter Chinesisch und Ukrainisch – übersetzte Schriftstellerin, sorgte Mittwochabend in der voll besetzten Aula der deutschen Nachschule in Tingleff für einen literarisch-kulturellen Höhepunkt.

Hermanns Geschichten kommen in Dänemark gut an

Auf Anregung der Deutschlehrerin Ulrike Petersen hatten die Literatur-AG im Kulturausschuss des Bundes Deutscher Nordschleswiger und der Verband deutscher Büchereien die Autorin nach Nordschleswig eingeladen. Das passte hervorragend zu ihren Erfahrungen mit dem Norden, denn „Dänen sind die idealen Leser“, stellte Judith Hermann in der Diskussion fest. „Sie schätzen Kurzgeschichten, anders als in Deutschland, wo das weniger verbreitet ist. Kurzgeschichten müssen in ‚slow motion‘ genossen werden. Das können die Dänen.“

Außerdem passe ihre schnörkellose Sprache gut zum Skandinavischen. Für die Novellensammlung „Letti-Park“ wurde sie 2018 mit dem Blixen-Preis ausgezeichnet. Alle ihre Werke wurden von dem Übersetzerduo Judyta Preis und Jørgen Herman Monrad ins Dänische übertragen. Eine Arbeit, mit der Judith Hermann mehr als zufrieden ist, denn die Wichtigkeit der Übersetzerarbeit ist gar nicht zu überschätzen. „In einem Wort liegt eine Welt“, erklärte sie.

Das Publikum, darunter viele, die Hermanns Werke in der dänischen Übersetzung gelesen haben, stellte engagiert und wohlvorbereitet seine Fragen. Viele kamen von den Nachschülerinnen und -schülern, die sich im Unterricht mit ihren Kurzgeschichten, vor allem ihrem preisgekrönten Debütwerk „Sommerhaus, später“, beschäftigen. Ohne Scheu und auf Augenhöhe mit ihrem Publikum sprach Judith Hermann vom autobiografischen Kern vieler Erzählungen und davon, dass sie ihre Figur Sonja in „Sommerhaus, später“ so agieren lässt, wie sie selbst gerne gewesen wäre: konsequent und autonom.

Diese Fähigkeiten braucht es, um ein Buch zu schreiben

Auf die Frage eines jungen Mannes, der selbst Schriftsteller werden möchte, erläuterte sie ausführlich, was dazu gehört: Die Fähigkeit, ein asoziales Leben zu führen, weil zum Schreiben viel Einsamkeit gehört. Das Lesen vieler Bücher, um immer wieder die Sprache zu schulen, die wie ein Instrument stetig gepflegt werden muss. „Die Literatur der Welt ist ein Schatz“, so ihre Aufforderung, immer wieder zum Buch zu greifen. Dann braucht man gute Nerven und Durchhaltevermögen, auch um Kritiken auszuhalten. Begegnungen mit Menschen sind unerlässlich, denn Wahrnehmung und das Studium eines Gegenübers von vonnöten.

„Es ist eine große Freiheit, aber sie hat ihren Preis“, lautete eine Quintessenz. Wer schreibt, muss auch Worte und Sätze streichen können, denn im „doppelten Boden, in dem, was zwischen den Zeilen steht“, entfaltet sich die Geschichte ebenfalls. Die Leserin, der Leser muss das Gestrichene mit spüren, so Hermann. Außerdem hatte sie ganz pragmatische Ratschläge parat: Lasst das Telefon aus, schaut auf die Leute und sprecht beim Schreiben auch gerne laut mit euch selbst.

Viele ihrer Begegnungen hatte Judith Hermann in Berlin, wo sie auch als Kellnerin und in einer Zigarettenfabrik jobbte – eine Erfahrung, die sich in „Daheim“, ihrem zweiten und jüngsten Roman, wiederfindet. Mittlerweile lebt sie in Friesland und genießt die Inspiration eines weiten Himmels und einer leeren Landschaft. Auch das lässt sich in „Daheim“ lesen.

Großes Interesse aus der deutschen Nachschule

Wie sehr die Erzählungen auch die jungen Menschen erreichen, zeigte sich beim Überreichen eines Gastgeschenks durch eine Schülerin: „Danke für deine tollen Geschichten, die immer wieder für spannende Diskussionen und Gespräche sorgen“, erklärte sie. Und das zeichnet einen wirklich großen Text aus: Der Erzählband „Sommerhaus, später“ wurde 1998 veröffentlicht. 2022 ist er immer noch aktuell, auch wenn Genderfragen damals noch keine Rolle spielten. Die verpasste Liebe ist zeitlos – vor allem in einer Sprache wie Judith Hermanns.

Die lange Schlange beim Signieren der Bücher zeigte deutlich die Wertschätzung der Schriftstellerin.
 

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Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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