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Demenz: „Hier sind Gefühle und Innenleben gefragt“

Demenz: „Hier sind Gefühle und Innenleben gefragt“

Demenz: „Hier sind Gefühle und Innenleben gefragt“

Kivsberg/Knivsbjerg
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Der an Demenz erkrankte André, verkörpert von Helmuth Petersen, bringt seine Mitmenschen immer wieder an den Rand des Wahnsinns. Am Mittwoch fand die Generalprobe für das Theaterstück „Vater“ statt. Foto: Karin Riggelsen

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„Ich freue mich darauf, jetzt das auf die Bühne zu bringen, womit ich auf meinem Küchenfußboden gearbeitet habe“, sagt Helmuth Petersen. Am Freitag steht er erstmals in seiner Charakterrolle als dementer André auf der Bühne in der Bildungsstätte Knivsberg. Im Interview gibt er Einblicke in die Gedanken, die er sich in Verbindung mit dem Stück macht.

Am Freitag hat das Theaterstück „Vater“ der Gruppe „TheaterDrang“ auf dem Knivsberg Premiere. In dem Stück geht es um das Thema Demenz. Die Hauptrolle des 80-jährigen André verkörpert Helmuth Petersen. Im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“ spricht der Sonderburger bei sich zu Hause in der Küche über das schwierige Thema „Demenz“ und die mit der Rolle verbundenen Herausforderungen.

Helmuth Petersen, wie ist dein Verhältnis zum Thema Demenz?

„Ich habe drei Personen im Familien- und Freundeskreis gekannt, die dement waren. Ich habe das miterlebt, allerdings lebt von denen heute keiner mehr. Und ich habe gelernt, dass die Erkrankung eher für mich und die Umwelt schrecklich ist als für die Dementen, weil sie es in der Form nicht wahrnehmen. Die sind, wie sie sind, aber ruhen damit irgendwie auch in sich selbst. Denn so sind sie, sie denken gar nicht darüber nach, dass das vielleicht Auswirkungen hat auf die Leute, die sie umgeben. Das ist also etwas, das für die Umgebung etwas sehr Schwieriges ist, mit dem sie umgehen müssen. In dem Stück trifft es die Tochter und den Schwiegersohn, die sich mit dem dementen Mann auseinandersetzen müssen und von dem sie nie wissen, wo sie ihn haben. Ist er böse, oder ist er gerade gut aufgelegt, oder was ist mit ihm? Dazu kommen dann noch Verwicklungen, die er vergessen hat in Bezug auf seine Tochter, die gestorben ist, das hat er nicht mehr drauf. Ich denke, dass es aus meiner Warte gesehen ein Stück ist, das dazu anregen möchte, darüber nachzudenken, wie man mit Demenz umgehen kann.“

Das Stück

„Vater“ von Florian Zeller.

Die Laiengruppe „TheaterDrang“ probt seit August 2022 jeden Mittwoch auf dem Knivsberg.

Das Stück wird am Freitag, 3., und am Sonnabend, 4. März 2023, jeweils ab 19 Uhr auf dem Knivsberg aufgeführt.

Karten an der Abendkasse, Erwachsene 75 Kronen/10 Euro. Schülerinnen und Schüler sowie Studierende und Auszubildende: freier Eintritt.

Weitere Informationen auf der Facebook-Seite von „TheaterDrang“

Siehst du in unserer Gesellschaft einen Mangel, wie man heute mit dementen Menschen umgeht?

„Es geht nicht nur um Demente, was die Pflege betrifft. Es geht auch um Einsamkeit. Ich kann sehr gut einsam sein, weil ich mich noch bewegen kann und die ganze Nachbarschaft auch täglich vorbeikommt. Ich habe immer Gesellschaft. Aber ich sehe dann die, die Pflegebedarf haben und die nicht in ihrem eigenen Zuhause sein können, die sind einsam.“

Wie ist es, sich schauspielerisch mit über 70 Jahren weiterzuentwickeln?

„Hier sind Gefühle und Innenleben gefragt. Hier soll Literatur verkörpert werden, der Verfasser hat Personen mit einem Innenleben gezeichnet, und dieses Innenleben gilt es zu erfassen, aufzugreifen und dann auch nach außen weiterzugeben. Das kannst du erst, wenn du das Gefühl hast, diese Person zu sein. Vorher geht das überhaupt nicht. Wenn ich mich nicht in die Rolle eines Dementen versetzen kann, kann ich auch nicht vermitteln, welche Wellentäler er durchläuft.“

Es geht nicht nur um Demente, was die Pflege betrifft. Es geht auch um Einsamkeit.

Helmuth Petersen alias André, Hauptdarsteller

Warum ist es dir so wichtig, dieses Mal eine Person zu spielen, die etwa deinem Alter entspricht?

„Ich hatte noch nie eine Rolle, wo man sagen kann, hier ist ein 77- bis 80-Jähriger, der auch dieses Alter vertreten muss, beziehungsweise jetzt in sich selbst hineinhorchen und fragen muss, wie fühlst du das jetzt. Du bist jetzt da angekommen, wo du das Alter hast, das du dir immer gewünscht hast, und jetzt musst du versuchen, darauf basierend dann auch die entscheidenden Eigenschaften weiterzuvermitteln. Daran habe ich viel mit mir selbst gearbeitet und versucht, der Person eine Glaubwürdigkeit zu geben. Ich habe die Herausforderung gesucht, einen Charakter darstellen zu dürfen, in eine Figur schlüpfen zu dürfen, von der charaktermäßig etwas abverlangt wird.“

Hauptdarsteller Helmuth Petersen

Helmuth Petersen wird 1945 in Apenrade geboren und wächst auch dort auf.

Erste Theatererfahrungen sammelt er bereits als Schüler. 1964 Abitur, danach Militär in Dänemark und Studium in Flensburg.

1968 Lehrer für Dänisch und Sport als Hauptfächer an der Deutschen Privatschule Apenrade. Während seiner Tätigkeit als Lehrer in Apenrade hat er in der Laienspielgruppe „Heimatbühne“ mitgewirkt. 1984 übernimmt er die Leitung der Theatergruppe am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig.

1989 Wechsel an die Deutsche Schule Sonderburg, dort ist er bis 2008 als Schulleiter tätig.

Seit 1992 spielt er Kabarett und verkörpert mit „Fidde“ seine populärste Figur. Seit 2015 ist er zudem Mitglied bei „TheaterDrang“.

Ist das die Herausforderung der Rolle?

„Das ist für mich die Herausforderung, ja. Das charaktermäßig darzustellen, dass es glaubwürdig wird. Glaubwürdigkeit spielt eine sehr große Rolle. Glaubwürdig zu sein für die Leute da unten, dass sie mir das auch abnehmen, dass ich der Demente bin, der sich durch das Stück von anfänglicher Demenz bis hin zu tatsächlicher Demenz entwickelt.“

Du sagst, du baust dabei auf die Erfahrung, die du aus deinen 78 Lebensjahren ziehen kannst. Das muss dir doch eine große Bereicherung, eine größere Intensität, eine größere Befriedigung vermitteln?

„Es gibt mir eine ausgesprochen große Befriedigung, ja. Ich bin sehr zufrieden, ich bin glücklich mit der Rolle. Ich gehe zu jeder Probe froh hin und freue mich darauf, jetzt das auf die Bühne zu bringen, womit ich in der Zwischenzeit auf meinem Küchenfußboden gearbeitet habe.“

Das heißt, die Intensität ist viel höher?

„Ja. Die Intensität ist höher, auch die Authentizität, glaube ich.“

Ich habe alle diese Facetten miterlebt, die Höhen und Tiefen, alle diese gefühlsmäßigen Wandlungen und Wellungen, die da durchscheinen, habe ich erlebt.

Helmuth Petersen alias André, Hauptdarsteller

Also man könnte sagen, Helmuth Petersen hat es nach 30, 40 Jahren Laienschauspiel geschafft, im Alter mehr Authentizität zu erreichen?

„Das müssen eigentlich andere beurteilen, aber von meiner Warte aus glaube ich, es so sagen zu können.“

Fühlst du dich denn selbst authentischer?

„Ich fühle mich ehrlicher in der Rolle, ja, das tue ich. Und das kann man auch mit Authentizität bezeichnen.“

Wie hast du dich auf das Thema „Demenz“ vorbereitet, sodass du es überzeugend darstellen kannst?

„Erstens hoffe ich, dass ich es überzeugend darstellen kann, und zweitens habe ich, wie bereits gesagt, einige Fälle in meiner Umgebung gehabt. Da wurde die Frau eines guten Freundes dement, und wenn ich die besuchte, saß sie nur noch an der Fensterbank oder stand an der Wand und lächelte immer, sie war sehr milde. Andere waren hingegen sofort auf 180 und haben über alles und jeden geschimpft. Einige haben geweint. Also, ich habe alle diese Facetten miterlebt, die Höhen und Tiefen, alle diese gefühlsmäßigen Wandlungen und Wellungen, die da durchscheinen, habe ich erlebt. Ich habe mich auf diese Rolle vorbereitet, indem ich wirklich gründlich gelesen habe, und zwar Szene für Szene. Hier bin ich eher traurig und dort eher böse, bei dieser Person sehe ich schwarz, und hier habe ich Angst. Ich habe auch die Regieanmerkungen des Verfassers gründlich gelesen, und daran sowie an die Anweisungen unserer Regisseurin Hannah Dobiaschowski habe ich mich gehalten.“

Da macht die Rolle also etwas ganz Bestimmtes mit dir?

„Das ist eine Gefühlsrolle. Die macht was mit deinem Gefühlsleben. Das ist ganz klar. Wenn du das nicht nachempfinden könntest, wenn du das nicht fühlen könntest, könntest du die Rolle auch gar nicht spielen, dann würde es etwas Steifes werden. Da muss Fleisch drin sein.“

Hier gibst du also einiges von dir selbst, von deiner Persönlichkeit, von deiner Zerbrechlichkeit preis?

„Selbstsicherheit gewinnt man ja mit dem Alter. Ich wage heute, Dinge auf der Bühne zu machen, die ich früher vielleicht nicht gewagt hätte. Weil man vielleicht früher auch die Angst hatte, auf der Bühne lächerlich zu wirken. Die Angst habe ich nicht mehr. Wenn ich lächerlich sein soll auf der Bühne, dann muss ich ja lächerlich sein. Das werde ich auch in diesem Stück einmal sein, weil es so ernst ist, da sind einige kleine Sequenzen, wo man gerne mal lachen kann, auch weil André sich einfach freut über einige Dinge. Diese Sachen, davor habe ich keine Angst mehr, nein.“

Ich habe keine Angst vor dem Tod, weil ich dann denke, wie schön ein Schlaf ist, wenn man ausgelaugt ist und dann wirklich schlafen kann.

Helmuth Petersen alias André, Hauptdarsteller

Hat sich dadurch denn noch eine neue Dimension in Helmuth Petersen eröffnet, durch dieses Gefühlsleben?

„Wenn du jetzt Dimension meinst in Bezug auf mein sonstiges Leben außerhalb der Theaterwelt, nein, das kann ich nicht sagen. Nein, ich glaube, wenn dieses Stück fertig ist und wir es gespielt haben, werde ich einen Monat brauchen, wo ich die Person noch in mir trage, und dann wird sie langsam verschwinden, so wie eine gute Freundschaft, die du hast und die dann nach Amerika auswandert, und du siehst sie dann nicht mehr, sie verbleicht zusehends. So wird es bei mir bestimmt auch sein bei dieser Rolle, da bin ich ziemlich sicher.“

Und damit bist du auch einverstanden?

„Ja. Das muss ich auch sein. Sonst lebe ich nachher ja selbst in einer Scheinwelt, die nicht meine ist.“

Was bleibt dir dann, nachdem die Rolle verblichen ist?

„Wenn es gut läuft, die Befriedigung, dass ich etwas gemacht habe, wovon ich immer geträumt habe. Einen Charakter darzustellen, der den Leuten hoffentlich auch etwas gegeben hat, die Augen geöffnet hat.“

André verdächtigt seine Tochter, etwas im Schilde zu führen. Die Laienschauspielgruppe der deutschen Minderheit hat das Stück seit August 2022 geprobt. Foto: Karin Riggelsen

Helmuth, das Stück geht um Demenz und damit auch um das Alter. Das ist ja eine typische Alterskrankheit. Wie ist es für dich selbst, alt zu werden? Hat das Stück deine Sichtweise auf das Altwerden verändert?

„Nein. Ich sage mal ganz profan, Alter ist eine Zahl, und ich fühle mich nicht alt und bin noch wunderbar in physischer Verfassung. Ich kann noch sehr gut auswendig lernen, mein Kopf ist noch klar, ich mache sehr viele Kreuzworträtsel und so weiter, ich versuche, mich beim Fitness auf Trab zu halten – ich fühle mich gut.“

Das heißt, du denkst nicht anders über die Endlichkeit des Lebens durch dieses Stück nach, als du vorher darüber nachgedacht hast?

„Jetzt bringst du mich zum Nachdenken, ob das jetzt vorher schon da war. Bei mir ist weniger und weniger Angst vor dem Tode da. Ich habe keine Angst vor dem Tod, weil ich dann denke, wie schön ein Schlaf ist, wenn man ausgelaugt ist und dann wirklich schlafen kann, oder wenn man mal Schmerzen hat. Ich stelle mir den Tod eigentlich nur als einen erlösenden Schlaf vor. Dazu bin ich gekommen, aber ich kann dir nicht sagen, dass das durch dieses Stück entstanden ist.“

Hast du einen Wunsch für André?

„Ich habe den Wunsch für André, dass besseres Verständnis für die Krankheit Demenz erweckt wird. Dass er zwar einer ist, der die Leute mit seiner Art zum Wahnsinn treiben kann, aber dass es seine Krankheit ist, die ihn steuert und dazu bringt, und dafür muss man Verständnis aufbringen. Das erfordert aber auch sehr viel von seiner Umwelt und den Leuten, die ihn umgeben. Und ob man das immer verlangen kann, ich glaube, da gehört eine sehr umfassende und gute Ausbildung dazu, um auch damit umgehen zu können. Das ist mein Wunsch für André, dass demente Leute so gut wie überhaupt möglich in dieser Demenz betreut werden, aber auch selbst damit umgehen und froh sind in ihrer Krankheit, von der sie selbst ja gar nicht so viel mitkriegen, und sie dann am Ende ihres Lebensweges noch ein würdiges Leben haben können.“

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