Leitartikel

„Die Minderheit lebt – und liegt nicht auf dem Sterbebett“

Die Minderheit lebt – und liegt nicht auf dem Sterbebett

Die Minderheit lebt – und liegt nicht auf dem Sterbebett

Nordschleswig/Sønderjylland
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die deutsche Minderheit in Nordschleswig wird sterben. Das glaubt der frühere Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, Hans Heinrich Hansen. Chefredakteur Gwyn Nissen sieht dagegen eine vitale und zukunftsorientierte Minderheit, die überleben wird.

Wenn der frühere Hauptvorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, also des Dachverbandes der deutschen Minderheit in Nordschleswig, Hans Heinrich Hansen, etwas sagt, dann sollte man die Ohren spitzen und zuhören. Nicht nur aus Respekt vor dem inzwischen 86-Jährigen, sondern weil er stets ein gutes Gespür und ein großes Interesse für Minderheiten hat.

Nicht nur für die eigene, die deutsche Minderheit in Nordschleswig, sondern auch für die Minderheiten in Europa, für die er von 2007 bis 2016 Präsident war bei der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten war.

Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, mit Hans Heinrich Hansen beim jährlichen FUEN-Kongress in Husum zu reden. Hansen ist immer noch enttäuscht darüber, dass die EU-Kommission sich nicht der Rechte der Minderheiten annehmen will. Die damalige Minority Safe Pack Initiative hatte unter Hansens Präsidentschaft über eine Million Unterschriften gesammelt – doch die EU winkt immer noch ab.

Vielleicht stammt daher auch der Pessimismus, den Hans Heinrich Hansen im Interview mit unserem Kollegen Hatto Schmidt von der Midas (dem Zusammenschluss europäischer Minderheiten-Medien) zum Ausdruck gebracht hat: Hier bedauert Hansen den aufblühenden Nationalismus, der es den Minderheiten in Europa schwierig mache, und schaut mit Sorge auf die eigene Minderheit:

„Im Falle unserer Minderheit kommt ja noch ein weiteres Problem dazu, dass nämlich die deutsche Minderheit als Umgangssprache vielfach einen dänischen Dialekt benutzt, Sønderjysk, also Südjütisch. Ein Professor, der in Kiel Historiker war, hat einmal gesagt: Ein deutscher Nordschleswiger ist einer, der auf Sønderjysk erklärt, warum er ein Deutscher ist. Ich habe in meiner Zeit als Hauptvorsitzender deshalb immer gesagt: Deutsch sprechen, denn die Sprache ist ein wesentliches Identitätsmerkmal.“ 

Hans Heinrich Hansen schlussfolgert zudem: „Kleine Minderheiten, solche in der Größe wie unsere in Nordschleswig, werden keine Chance haben zu überleben. Nur größere, wie die deutschsprachige in Südtirol, haben eine Chance.“ 

Es gibt viele Gründe, in diesen Jahren pessimistisch zu sein, wenn es um die europäischen Minderheiten geht. Fast überall gibt es einen politischen Rechtsruck, und Minderheiten müssen sich der Mehrheit fügen – oder werden sogar unterdrückt. Beispiele gibt es dafür genug.

Diese Sorgen hat die deutsche Minderheit in Nordschleswig allerdings nicht – sie stirbt keinen langsamen Tod. Sie hat sich aber verändert und ist ganz gewiss nicht die Kern-Minderheit, der Hans Heinrich Hansen einmal vorstand. Aber die deutsche Minderheit 2025 lebt – sie ist vital, und sie setzt sich mit sich selbst auseinander. Erfindet sich zwar nicht ganz neu, aber die deutschen Vereine, Institutionen und Verbände in Nordschleswig wissen, dass sie sich weiterentwickeln müssen – um eben nicht zu sterben.

Der Jugendverband entwickelt sich stetig und hat das Knivsbergfest revitalisiert, der Sozialdienst beschäftigt sich mit der eigenen Zukunft und bewegt sich in eine neue Richtung, „Der Nordschleswiger“ hat sich zu einem modernen Online-Medium entwickelt, die Nachschule in Tingleff ist stärker denn je, der Bund Deutscher Nordschleswiger traut sich an schwierige Themen wie Vergangenheit und Identität ran, das Deutsche Museum ist neu gestaltet, die Minderheit nimmt an der grünen Umstellung teil, es gibt Visionen für einen neuen Campus in Apenrade, Führungskräfte werden intern ausgebildet, und politisch hat die Minderheit in Jørgen Popp Petersen ihren ersten Bürgermeister der neueren Zeit bekommen.

Wenn all diese Dinge nicht geschehen würden, hätte Hans Heinrich Hansen recht: Dann würde die deutsche Minderheit langsam aber sicher sterben. Aber diese und viele andere Aktivitäten sind eben der Beweis dafür, dass die deutsche Minderheit in Nordschleswig lebt. Und nicht nur das: Sie entwickelt sich mit der Zeit.

Übrigens, auch was die Sprache angeht, denn der Ansatz, dass wir als Minderheit nur überleben können, wenn alle ausschließlich Deutsch reden, ist veraltet. Der Deutsche Schul- und Sprachverein hat heute eine neue, forschungsbasierte Sprachenpolitik, in der es darum geht, beide Sprachen zu unterstützen und zweisprachig aufzuwachsen. Es sei ein Mythos, so Professorin Camilla Hansen, die eng mit dem DSSV zusammenarbeitet, dass Lehrkräfte nur eine Sprache verwenden und Sprachen nicht gemischt werden dürften.

So ändern sich die Zeiten, und so verändert sich auch die deutsche Minderheit in Nordschleswig. Auch dank eines fortschrittlich denkenden Hans Heinrich Hansen, der seine Minderheit in ein neues Zeitalter geführt hat, auf das seine Nachfolgerinnen und Nachfolger heute aufbauen können. 

Denn genau das tun sie: Sie bauen auf dem Fundament früherer Generationen auf, bringen die Minderheit weiter und sorgen dafür, dass sie lebt.  

 

 

Mehr lesen