Grenzschließung

„Was hat das noch mit Europa zu tun?“

„Was hat das noch mit Europa zu tun?“

„Was hat das noch mit Europa zu tun?“

Ruttebüll/Rudbøl
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Die Grenze zwischen den Dörfern Ruttebüll und Rosenkranz ist seit dem 14. März 2020 als Maßnahme gegen die Corona-Pandemie geschlossen. Foto: Karin Riggelsen

Die Einwohner der Grenzdörfer Ruttebüll und Rosenkranz sind nach drei Monaten Grenzsperrung als Anti-Corona-Maßnahme empört über die weiter nicht absehbare Wiedervereinigung mit ihren deutschen oder dänischen Nachbarn. Gegenseitige Besuche in den Grenzdörfern sind nur per 30 Kilometer Umweg möglich.

„Alle meine Fahrradgruppen aus Deutschland haben ihre Buchungen abgesagt. Auch Wanderer kommen nicht. Die Sechs-Tage-Buchungsregel ist doch lächerlich“, regt sich die Inhaberin der Jugendherberge „Rudbøl Hostel“ im dänischen Grenzdorf Ruttebüll, Kirsten Bossen, im Gespräch mit dem „Nordschleswiger“ über die inzwischen über drei Monate andauernde Sperrung des Grenzüberganges auf. Der Übergang verbindet seit der Grenzziehung 1920 das seitdem dänische Dorf mit dem sich direkt an die Bebauung Ruttebülls anschließende deutsche Dorf Rosenkranz.

Familienbesuche erschwert

„Wenn ich meine Schwester in Rosenkranz besuchen will, geht das nur mit einem über 30 Kilometer langen Umweg über den einzigen offenen Grenzübergang an der Westküste in Seth/Sæd“, berichtet Kirsten Bossen, deren Schwester Silvia Brodersen wenige Hundert Meter von der Jugendherberge entfernt direkt neben der deutsch-dänischen Grenze in Rosenkranz den deutschen Grenzkrug betreibt. „Wir haben uns nur am Zaun treffen können“, so Kirsten Bossen, die per Telefon die Schwester zum Interview mit dem „Nordschleswiger“ an den Grenzzaun dirigierte.

Kirsten Bossen hofft als Inhaberin der Ruttebüller Jugendherberge auf eine baldige Grenzöffnung auch in Ruttebüll. Besonders viele Fahrradtouristen haben ihre Buchungen storniert. Foto: Karin Riggelsen

Zweifel an Europa

„Was hat das noch mit Europa zu tun“, so Silvia Brodersen sichtlich erbost, denn ihre Gaststätte leidet besonders schwer unter der abgesperrten Grenze, deren mit Grenzzsteinen sichtbar gemachter Verlauf teilweise mitten auf der Straße neben dem Krug seit 1920 eine Besucherattraktion darstellt. „90 Prozent meiner Gäste kommen aus Dänemark“, berichtet sie. Bis zum Beitritt Dänemarks zum Vertrag von Schengen im Jahre 2001 blieb der Schlagbaum zwischen Ruttebüll/Rosenkranz täglich von 22 Uhr abends bis 8 Uhr morgens unten. 

Gerade auch zur Freude der Grenznachbarn in Nordschleswig und Südtondern ermöglichte der Schengenvertrag freien Grenzübertritt rund um die Uhr. War bei vielen Gasthausbesuchern vor 2001 die Schließung gefürchtet, herrscht nunmehr seit über einem Vierteljahr „Dauerpolizeistunde“.

Jens Hansen aus Rodenäs hat Genehmigung mit seinem Traktor die Grenze zu passieren. Ebenso wie Clara Christensen erhielt er Kenntnis vom Code des Schlagbaumschlosses. Foto: Karin Riggelsen

Kurzfristig freie Fahrt

Mit einem Augenzwinkern berichten Ruttebüller und Rosenkranzer, dass am vergangenen Wochenende plötzlich mehrere deutsche Autos von Rosenkranz nach Ruttebüll gefahren waren. Die dänische Polizeistreife, die kurz danach eintraf, wurde gefragt, ob jetzt die Grenze geöffnet worden sei. Doch dem war nicht so. Die Ordnungshüter nahmen den Schlagbaum rasch in Augenschein und stellten fest, dass irgend jemand wohl mit einem Bolzenschneider für freie Fahrt gesorgt hatte. Die Grenzlücke wurde rasch geschlossen.

Paul Wendicke ist seit 26 Jahren Inhaber des Ruttebüller Grenzkrugs, der auch Ferienwohnungen, Campingplatz und Hütten umfasst. Bis zu 230 Gäste kann der Betrieb beherbergen. Foto: Karin Riggelsen

 

 

Elektronische Überwachungstechnik

Ob das Konsequenzen nach sich zieht, ist nicht bekannt, denn immerhin ist nach der Wiederaufnahme dänischer Grenzkontrollen seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 auch der kleine Grenzübergang Ruttebüll/Rosenkranz mit elektronischer Kennzeichenregistrierung und Videoüberwachung ausgerüstet worden. Ob diese aktuell eingesetzt wird, ist nicht bekannt. Anwohner hatten ja auch spekuliert, ob die moderne Technik nicht eingesetzt werden könnte, um einen „kleinen Grenzverkehr“ wenigstens für Fußgänger oder Radfahrer im Bereich von Ruttebüll zuzulassen. Die Anwohner betonen, dass sie es nicht riskieren, trotz der Sperrung ins jeweilige Nachbarland zu spazieren.

(Von links) Silvia Brodersen und Jan Faltings (mit Sohn Johann auf dem Arm) leben auf der deutschen Seite der Grenze in Rosenkranz während wenige Meter von diesen entfernt Clara Christensen und Thomas Georg Nielsen auf der dänischen Seite in Ruttebüll wohnen. Foto: Karin Riggelsen

 „Ich habe bei Absagen deutscher Gäste gehört, dass diese keine Lust haben, bei ihrer Fahrt nach Dänemark mit Fahrtziel Ruttebüll den großen Umweg über die Bundesstraße 5 und den Übergang Seth/Sæd zu fahren“, so Kirsten Bossen, die auch darauf verweist, dass für viele Urlauber auf dänischer Seite der Grenze im Bereich Hoyer/Ruttebüll Ausflüge auf die Nordfriesischen Inseln und Halligen auf dem Programm stehen.

 

Grenzladen für immer dicht

„Unser Grenzladen in Rosenkranz hat einige Wochen nach der Grenzschließung bereits für immer seine Türen geschlossen“, berichtet sie und verweist auf viele weitere wirtschaftliche Langzeitfolgen für die Gewerbetreibenden, je länger die Grenzsperrung andauert.

Thomas Georg Nielsen ist in Ruttebüll als Kunsthandwerker tätig. Der Landwirt fabriziert aus Binsen des Ruttebüller Sees viele Gegenstände. Die Flechtarbeiten waren einst eine wichtige Einnahmequelle der Bewohner des heutigen Grenzdorfes. Foto: Karin Riggelsen

 

Grenzpendler leiden

Vor allem deutsche Pendler aus dem Kreis Nordfriesland kreuzen die deutsch-dänische Grenze im Bereich der seit 14. März blockierten Übergänge Aventoft/Møllehus, Ruttebüll und Sieltoft, um Arbeitsplätze in Dänemark zu erreichen. Viele sind seit der Grenzschließung im Zuge der Coronakrise zu sehr langen Umwegen gezwungen. In der Kommune Tondern machen sich Sorgen breit, dass das Interesse der deutschen Grenzpendler an Tätigkeiten in Dänemark nachlassen könnte, wenn sich die verlängerten An- und Abfahrten weiter in die Länge ziehen.

Vor diesem Hintergrund hatten nordschleswigsche Bürgermeister bereits gleich nach der Grenzschließung gewarnt, dass viele Einrichtungen und Betriebe ohne die mehreren Tausend deutschen Grenzpendler nicht funktionieren würden. Deren Passage wurde bei Beginn der Coronakrise sichergestellt. Aber der Zwang zu Umwegen könnte es für viele interessanter machen, sich eine Arbeit in Wohnortnähe zu suchen. 

Foto: Karin Riggelsen
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