Interview

Der Sozialdienst leistet Arbeit an der Basis

Der Sozialdienst leistet Arbeit an der Basis

Der Sozialdienst leistet Arbeit an der Basis

Apenrade/Aabenraa
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Hans Grundt und Gösta Toft – natürlich im Sonnenblumenfeld. Foto: Karin Riggelsen

Doppelinterview mit Sozialdienst-Geschäftsführer Hans Grundt und dem Vorsitzenden Gösta Toft.

Der Sozialdienst für Nordschleswig muss sich stets der gesellschaftlichen Entwicklung anpassen, aber das ist nicht einfach in einer Gesellschaft, die sich ständig und markant verändert, erklären Geschäftsführer Hans Grundt und Vorsitzender Gösta Toft im Doppelinterview. Die Minderheit gewinnt an Wert, wenn der Sozialdienst in einer Kombination aus Ehrenamt und Hauptamt Leuten unterstützen und helfen kann, glaubt Grundt, seit 15 Jahren Geschäftsfühtrer beim Sozialdienst:  „Das ist wertvoll für die Gemeinschaft.“ Sein Vorsitzender Gösta Toft ergänzt: „Was der Sozialdienst leistet, ist Basisarbeit in der Minderheit.“

Grundt und Toft sehen auch in Zukunft vier Säulen in der Arbeit des Sozialdienstes: die Familienberatung, die 15 örtlichen Vereine, das Haus Quickborn als Begegnungsstätte und Treffpunkt sowie  die Geschäftsstelle. „Unsere Eckpfeiler funktionieren wirklich, und wir sind gut aufgestellt. Nimmt man aber einen dieser Eckpfeiler raus, bekämen wir Schwierigkeiten, denn sie hängen auch zusammen“, sagt Gösta Toft.  „Die Familienberatung ist zum Beispiel auch für die örtlichen Vereine da. Das Haus Quickborn ist für unsere Aktivitäten  wichtig.“

Die persönlichen Probleme der Mitglieder sind heute allerdings vielschichtiger als früher. „Wir haben schon immer viele Gespräche geführt, aber heute müssen unsere Kontakte zu Einzelpersonen oder Familien vertieft werden, und die Beratung muss weitaus qualifizierter sein als früher“, sagt Hans Grundt, der seit 15 Jahren Geschäftsführer beim Sozialdienst ist. „Alle können – unabhängig vom Alter – in Schwierigkeiten geraten – sei es nach einer Scheidung oder dem Verlust der Arbeit – und somit in eine Situation geraten, in der sie von uns Hilfe brauchen“, meint  Grundt.

Durch die Arbeitsmenge und Intensität  wächst auch der Druck auf die Familienberaterinnen des Sozialdienstes. Sie müssen sich fachlich und persönlich noch mehr einbringen als früher, und das bringt laut dem Geschäftsführer manchmal Mitarbeiter bis an ihre Grenzen. „Es ist harte Arbeit, mit den Problemen anderer Menschen ständig konfrontiert zu werden, und manchmal löst die Arbeit auch private Reaktionen aus, und die Arbeit kommt wie ein Bumerang zurück“, erklärt Grundt, der  mit großem Respekt und Anerkennung über die Arbeit seiner Mitarbeiter spricht.

Der Sozialdienst nutzt die Möglichkeit der internen Supervision, damit die Mitarbeiter nicht ständig die Arbeit und somit die Probleme der Mitglieder mit sich im Kopf rumtragen. „Man kann meinen, dass diese Zeit von der eigentlichen Arbeit mit den Mitgliedern abgeht, aber zum Schutz der Mitarbeiter ist die Zeit gut investiert“, so Grundt.

Neue Strukturen

Nicht nur die Probleme sind komplexer. Gleichzeitig  erlebt der Sozialdienst, wie die Kommunen und andere Behörden in den vergangenen Jahren Aufgaben zentralisieren, ohne diese zu koordinieren. „Eine Person ist eine Einheit und nicht nach dem kommunalen System aufgegliedert. Das macht die Arbeit für unsere Familienberaterinnen nicht leichter. Es gibt zwar Bürgerratgeber in den Kommunen, aber nicht genug, und unsere Familienberaterinnen müssen daher viele Fäden in der Hand halten, um die Probleme von Personen und Familien zu lösen“, erklärt Grundt.

Die Kommunalreform 2007 brachte auch andere Schwierigkeiten mit sich: Viele der Experten vor Ort wechselten die Plätze. Aufgabenbereiche änderten sich, und die Abstände wurden größer. „Viele unserer Kontakte verschwanden, und die Zusammenarbeit wurde unpersönlicher – früher kannten wir viele der Mitarbeiter, doch heute sprechen wir  selten mit denselben Personen, weil ständig gewechselt wird“, sagt Hans Grundt.

Es gab allerdings auch Vorteile durch die Kommunalreform: „Wir brauchen  jetzt nicht den Kontakt zu 23 Kommunen, sondern nur zu 4 und das erleichtert auch einiges.“

Neue Lösungen

In die Amtszeit von Hans Grundt fiel auch die große Einsparrunde der deutschen Minderheit 2011. Der Sozialdienst musste damals eine Stelle als Familienberaterin streichen. „Es sagt sich von selbst, dass dies nicht leicht war, weil die Probleme und Herausforderungen unserer Mitglieder, wie gesagt, immer komplizierter werden und damit auch zeitintensiver“, sagt Grundt. „Wir müssen daher mehr in Gruppen denken, das heißt, einige Probleme – zum Beispiel im Bereich Familien und Schule – in der Gruppe lösen und somit mehrere Eltern einbinden. Das ist nicht leicht, weil es natürlich Berührungsängste gibt, wenn man seine Schwierigkeiten mit anderen diskutieren muss. Wir sind eine kleine Minderheit, und viele mögen es nicht offen zeigen, dass sie Probleme haben. Aber es zeigt  eben auch, dass man nicht allein ist, und dass andere vielleicht die gleichen Probleme haben.“
Auch das Besuchsfreunde-Projekt ist ein Beispiel, wie der Sozialdienst versucht, neue Lösungen zu finden. Die Familienberaterinnen können nicht immer und überall dort sein, wo man sie gerne haben möchte. „Daher sind die ehrenamtlichen Besuchsfreunde eine gute Lösung, um der Vereinsamung der Menschen vorzubeugen“, erklärt der Geschäftsführer.

Sind die Mitglieder des Sozialdienstes Nordschleswig ein Spiegel der Gesellschaft, oder haben sie andere Schwierigkeiten als die dänische Mehrheitsbevölkerung?
„Wir sind schon ein Spiegel der Gesellschaft,  aber wir haben natürlich auch eine Reihe von Schwierigkeiten, die damit zusammenhängen, dass einige unserer Mitglieder über die Grenze hinweg arbeiten oder liiert sind. Das wirft andere Problematiken auf. Außerdem haben wir auch unseren Anteil an Flüchtlingen, die durch die Schulen der Minderheit mit dem Sozialdienst Kontakt aufnehmen – wir sagen zu diesen Gruppen nicht nein, sondern jeder, der Mitglied sein will, kann es werden. Aber wir stellen auch die Bedingung, dass man nicht nur den Sozialdienst wählt, sondern dass man damit auch die Minderheit wählt“, so Grundt. „Wir sind eben für alle da, denn alle können auch in die Situation kommen, dass sie Probleme bekommen. Die Arbeit über viele Jahrzehnte hat uns gezeigt, dass es fast in jeder Familie irgendwann Probleme gibt – auch wenn die Fassade stimmt.“ Gösta Toft hebt die soziale Aufgabe des Sozialdienstes vor und ergänzt: „Wir können nicht Gewinnmaximierung betreiben. Es geht  nicht um Einnahmen, sondern darum, den Leuten zu helfen.“

Weiterentwickeln

„Wir sind auch kein Seniorendienst, sondern eben ein Sozialdienst für alle Altersgruppen“, sagt Gösta Toft. „Wir wollen allerdings den Blick noch mehr schärfen für junge Leute. Zum Beispiel bei der Schuldenberatung. Wie können wir  hier jungen Familien zur Seite stehen?“ Überhaupt müsse  sich der Sozialdienst laufend weiterentwickeln. „Aber wir müssen uns auch weiterentwickeln“, sagt Grundt, der vor allem Möglichkeiten in der ortsübergreifenden Zusammenarbeit sieht: Wenn ein Verein nicht genügend Teilnehmer zusammenbekommt, dann lässt es sich vielleicht mit einem Nachbarverein machen. „Wir müssen viel mehr in diese Richtung denken, um uns gegenseitig zu unterstützen.“

Grundt denkt auch über neue Wege beim  Generationenwechsel in den Vereinen und im Verband nach. „Vielleicht müssen wir die ehrenamtliche Arbeit anders organisieren. Statt Leute jahrelang in die Vorstandsarbeit einzubinden, müssen wir projektorientierter denken und Leute für einzelne Aufgaben heran holen. Damit können wir einen aktuellen Bedarf lösen und Ehrenamtlern zwischendurch auch eine Pause geben, damit sie nicht ausbrennen. So könnten wir vielleicht auch jüngere Leute für die Arbeit im Sozialdienst aktivieren. Die Frage ist natürlich, ob wir uns trauen, diesen großen Schritt zu gehen und bestehende Strukturen aufzulösen“, sagt Grundt. Der Vorsitzende des Sozialdienstes ist noch nicht ganz so weit. „Ich bin ein Anhänger dessen, dass Leute Verantwortung übernehmen und dass man sich verpflichtet. Für die kontinuierliche Arbeit ist das ein Vorteil, und zum Glück haben wir richttig viele Mitglieder, die immer noch gern einen Einsatz leisten“, sagt Toft. Erste Schritte habe der Sozialdienst allerdings auch schon in die andere Richtung gemacht, indem es inzwischen nicht nur feste, sondern auch Ad-hoc-Ausschüsse gibt.

Was wünscht ihr euch für die kommenden Jahre für den Sozialdienst? „Wir wollen eine noch engere Zusammenarbeit mit den anderen Verbänden in der Minderheit, wir benötigen mehr Personal und eine Aufstockung unserer finanziellen Mittel, um die Aufgaben der Zukunft zu bewältigen“, sagt Hans Grundt. In der Gesellschaft sieht er in diesen Jahren den Bedarf, die Menschlichkeit mehr ins Zentrum zu bringen. „Wir müssen wieder den Mensch als Wertbegriff entdecken und einsehen, dass nicht alles in Finanzen umgerechnet werden kann.“

Als Beispiel nennt er die Anforderungen  an Jugendliche: „Sie brauchen hohe Noten, müssen schnell durch das Ausbildungssystem und dürfen sich keine Schlenker erlauben. Das stresst die jungen Leute ungemein, und das erleben wir auch im Sozialdienst, wo wir immer mehr mit Jugendlichen arbeiten, die ein Burnout erleben. Das darf in dem Alter gar nicht sein“, sagt Hans Grundt.

Präsenz wichtig

Für Gösta Toft ist eine der größten Herausforderungen die Vermarktung  der guten Arbeit, die der Sozialdienst leistet, und die Kommunikation mit den Mitgliedern. „Wir sind da nicht besonders gut aufgesattelt und müssen uns in dem Bereich neue Gedanken machen – gerne in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden in der Minderheit. Wenn wir mehr Geld hätten, wäre das eine unserer Prioritäten, aber leider können wir derzeit nicht viel machen. Wir müssen unseren Internetauftritt modernisieren und auch in den sozialen Medien aktiver werden. Wenn wir bei den digitalen Medien nicht dabei sind, dann bekommen wir bald ein Problem. Wir brauchen vor allem den Kontakt zu den 50- bis 70-Jährigen. Da gibt es viele Möglichkeiten, aber das ist  nicht umsonst“, sagt Toft.

Ein weiterer Bereich, in dem sich der Sozialdienst laut Toft entwickeln will, ist der Gesundheitsbereich: „Nach dem Krieg leistete der Sozialdienst echte soziale Hilfestellung. Dann setzten wir mehr auf Gesundheit und Pflege und heute auf Familie und Beratung. Jetzt haben sich die Zeiten wieder gewandelt, und wir müssen  einen Schritt „zurück“ gehen. Die moderne Gesellschaft und das heutige Gesundheitssystem stellen uns vor neue Herausforderungen: Es wird  immer wichtiger, vorzubeugen, sich richtig zu ernähren, sich fit zu halten und in Bewegung zu bleiben. Auf dem Gebiet müssen wir uns auch entwickeln.“

Viele Ideen

Überhaupt gibt es viele Themen, die für den Sozialdienst relevant sind, meint der Vorsitzende. „Wir haben eine alternde Bevölkerung, die andere Erwartungen hat als bisherige Generationen. Diesen Herausforderungen müssen wir uns  stellen. Wir müssen nach vorn schauen und sehen, in welche Richtung der Sozialdienst sich entwickeln soll“, sagt Toft, der  hofft, dass das Jubiläum  dazu beitragen kann, dass der Stellenwert der sozialen Arbeit in der Minderheit deutlich und anerkannt wird.
„Viele  wissen gar nicht, dass wir in der Minderheit dieses Angebot haben. Vieles bleibt unerkannt, weil wir Einzelpersonen oder Familien in Krisen und schwierigen Situationen helfen. Das wird natürlich nicht an die große Glocke gehängt oder in den Medien ausposaunt, aber dadurch ist ein Großteil unserer Arbeit vielen nicht bekannt“, sagt Gösta Toft.

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