Politik

Aminata Touré über Brokstedt: „Ich war völlig erschüttert“

Aminata Touré über Brokstedt: „Ich war völlig erschüttert“

Aminata Touré über Brokstedt: „Ich war völlig erschüttert“

Stefan Hans Kläsener/shz.de
Kiel
Zuletzt aktualisiert um:
Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré spricht im Interview über die Messerattacke von Brokstedt. Foto: Marcus Dewanger

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Aminata Touré (30) ist seit noch nicht einmal einem Jahr Sozial- und Integrationsministerin für Schleswig-Holstein. Im Interview erzählt sie, wie sie den Messerangriff von Brokstedt erlebt hat und was die Politik nun tun muss.

Frau Touré, der Messerangriff von Brokstedt, bei dem zwei junge Menschen ihr Leben verloren haben, hat sehr viele Menschen in Schleswig-Holstein angefasst. Es gab schnell viele Gerüchte und eine unklare Motivlage. Die Aufarbeitung dauert an. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack hat uns kürzlich im Interview erzählt, wie sehr sie die Ereignisse beschäftigen und emotional berühren...

Aminata Touré: Das habe ich natürlich auch gelesen, und habe vom ersten Tag an mit großem Respekt gesehen, wie sie mit der Situation umgegangen ist: sehr abwägend, sehr empathisch, was das für die Betroffenen und die Einsatzkräfte bedeutet. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass das die schwerste Woche im Amt der Innenministerin war. Sie war vor Ort und hat alles gesehen. Der furchtbarste Tag war es natürlich für die Familien der Betroffenen, das wollen mir mal voranstellen...

Wie haben Sie von der Nachricht erfahren, dass in Brokstedt etwas Schlimmes passiert ist?

Touré: Ich war an dem Tag eigentlich krank, aber als ich von der schrecklichen Tat erfuhr, habe ich mich sofort mit meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Landesregierung und meinen engen Mitarbeitenden im Ministerium zusammengeschaltet. Ich war völlig erschüttert. Am nächsten Tag hatten wir dann im Landeshaus die Gedenkminute und dann den Gedenkgottesdienst in Brokstedt, wo auch Helferinnen und Helfer sowie Freundinnen und Freunde waren. Man hat viele Termine als Politikerin, bei denen man angespannt ist, aber diese Erlebnisse sind fernab von allem. Sie machen einen traurig.

Jetzt wird diskutiert, wie es überhaupt zu der Tat kommen konnte. Was ist denn staatlicherseits falsch gelaufen?

Touré: Es ist inzwischen klar, dass da Fehler passiert sind. Ich bin darum sehr positiv davon überrascht, dass alle in Politik und Behörden darauf schauen, wie wir die Prozesse in der Zukunft verbessern können. Das hat ja auch der FDP-Abgeordnete Bernd Buchholz gesagt, dass es sich vermutlich nicht hätte verhindern lassen, auch wenn alles reibungslos gelaufen wäre auf der Behördenseite.

Aber damit können wir uns ja nicht zufriedengeben...

Touré: Nein, wir müssen darauf schauen, was mit den Menschen passiert. Es gibt Mitteilungs- und Informationspflichten, und dann kann man sagen, ich habe die Mail abgeschickt und damit ist mein Verantwortungsbereich vorbei. Aber eigentlich geht es um die Frage: Was passiert in der Realität? Das ist der Fokus, auf den wir blicken müssen: Was passiert mit Menschen, die aus der U- oder Strafhaft entlassen werden? Da müssen die Behörden besser zusammenarbeiten, das kann man zentral aus dem Ereignis herausziehen.

Hatten Sie vor dem Ereignis den Eindruck, dass das System belastbar ist, was Informations- und Mitteilungspflichten angeht?

Touré: Das eine ist der länderübergreifende Informationsaustausch, das andere der Austausch unter den Behörden selbst. Bestimmte Prozesse, für die auch ich verantwortlich bin, sind überlastet. Die Zuwanderungsbehörden benötigen mehr Personal, und das alles vor dem Hintergrund eines Fachkräftemangels.

Es gab aber sehr schnell nach dem Vorfall einen zweiten Vorwurf, neben dem der überlasteten Behörden: Was geschieht, wenn ein Mensch aus diesem System herausfällt? Wenn er vor eine Gefängnistür tritt, ihm Hilfsangebote gemacht werden, er aber nicht zugreift? Wieso passiert dann nichts?

Touré: Das ist die zentrale Frage, und das ist auch das, was das Justizministerium in seinem Verantwortungsbereich stark nach vorne gestellt hat. Es müssen ja gar nicht so furchtbare Dinge wie in Brokstedt passieren, damit sich etwas ändert. Das große Thema ist die Resozialisierung, dafür haben wir ein entsprechendes Gesetz. Aber was mir wichtig ist, sich die Dinge jetzt mit Ernsthaftigkeit anzuschauen und nicht aus einer Hektik heraus.

Das ist aber schwer vermittelbar in einer solchen Situation, um Zeit für eine Analyse zu bitten...

Touré: Es gibt ja Antworten, die wir in der vergangenen Woche gegeben haben. Beispielsweise, dass wir bei straffällig gewordenen Flüchtlingen auf schnellere Rückführung dringen können, dass wir den Opferschutz weiter stärken wollen, dass wir die Sicherheit in der Bahn erhöhen wollen, die behördlichen Prozesse optimieren wollen und vieles mehr. Mir ist nur wichtig, dass wir neben den kurzfristigen Maßnahmen auch langfristig schauen, wo wir Dinge optimieren müssen.

Neben Brokstedt ist auch Neumünster besonders von der Trauer betroffen, weil dort die beiden Opfer und viele andere Zuggäste zur Schule gegangen sind. Sie sind selbst in Neumünster geboren, haben eine besondere Beziehung zu der Stadt. Hat Sie das noch einmal persönlicher getroffen?

Touré: Natürlich. Man kennt die betroffene Schule, wenn man in Neumünster groß geworden ist. Man fährt da oft vorbei. Ich bin schon oft an der Schule gewesen und habe mit Klassen gesprochen. Dass eine Tat so nah dran passiert, dann auch noch in einem Zug, in dem man selbst ständig fährt, mit dem Familienmitglieder und Freunde regelmäßig fahren, das macht etwas mit einem. Das Gefühl ist: Es hätte jeden von uns treffen können. Das nimmt einen mit, wenn man in der Gedenkfeier von Brokstedt oder vergangenen Sonntag in Neumünster war. Das ist das eigene Zuhause!

Manche Menschen fragen sich jetzt. Bin ich an gewissen Orten in Schleswig-Holstein noch sicher. Bin ich sicher im Zug?

Touré: Die Reaktionen der Menschen sind sehr unterschiedlich. Deswegen fand ich sehr gut, dass die Innenministerin für ein besseres objektives Sicherheitsgefühl angeregt hat, mit mehr Videokameras, mehr Sicherheitspersonal oder einem Panikknopf in den Zügen zu reagieren. Aber wenn es um das subjektive Sicherheitsgefühl geht, unterscheidet sich das, je nachdem, in welche gesellschaftliche Gruppe man guckt. Beispielsweise das Sicherheitsgefühl von Frauen generell an Bahnhöfen oder dunklen Orten.

Mehr lesen

Kulturkommentar

Meinung
Bjarne Wulf Praktikant
„Gewöhnungsbedürftig entschleunigend: Dänische Straßen “