Interview zur Windenergie in SH

Energiewende-Experte Lars Waldmann: „Der Norden wird viele Ansiedlungen bekommen“

Energiewende-Experte: „Der Norden wird viele Ansiedlungen bekommen“

Experte: „Der Norden wird viele Ansiedlungen bekommen“

SHZ
Husum
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Unternehmensberater Lars Waldmann ist auf Themen der Energiewende spezialisiert. Foto: Carlo Jolly/shz.de

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Die wachsende Offshore-Windenergie wird Schleswig-Holstein schon in wenigen Jahren Standortvorteile bringen, ist der Flensburger Unternehmensberater überzeugt.

Der Soziologe und Ökonom Lars Waldmann (52) und seine Beratungsfirma ew-con arbeiten für Unternehmen – vom Start-up bis zum Konzern sowie für Organisationen und Regierungen – national und weltweit. Mit dem gebürtigen Bayern, der von 2002 bis 2012 in der Solarsparte von RWE bei Schott Solar tätig war und der heute in Flensburg lebt, sprach Carlo Jolly vor der Messe Husum-Wind, die am Dienstag beginnt.

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Herr Waldmann, trotz Paris-Abkommen, Verfassungsgerichtsurteil und einem ganz frischen Bericht Weltklimaratsbericht: Warum kommt der Ausbau der erneuerbaren Energien und besonders der Windenergie nicht wirklich voran?

Einfach gesagt, ist es der politische Wille. Seit zehn Jahren ist klar, dass uns nur zwei Energieträger in eine 100 Prozent erneuerbare Zukunft tragen können: Sonne und Wind. Die Ausschreibungspraxis hat aber dazu geführt, dass wir Windkraft nur an den allerbesten Standorten ausgebaut haben. Das hat den Netzausbau potenziert und Infrastrukturen überreizt – etwa in Brandenburg. Dort sind institutionelle Windparks entstanden, die Widerstände in der Bevölkerung aufgebaut haben. Und diese Widerstände sind im Berliner Wirtschaftsministerium gerne aufgegriffen worden. Dort saßen die Bremser.

In Schleswig-Holstein war die Akzeptanz durch die Bürgerwindparkbewegung und die guten Standorte immer besser. Trotzdem stockt auch hier die Entwicklung.

Wir haben einen Fadenriss in der Planung...


...in Schleswig-Holstein durch das Windenergie-Moratorium nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Schleswig 2015, das Planungsfehler offengelegt hatte.

Ein guter Windpark braucht drei bis fünf Jahre. Weil hier vor fünf Jahren ein Leerlaufen der Projekte trotz Warnungen aus der Branche hingenommen wurde, ist es logisch, dass wir große Probleme in der Windbranche bekamen. Mit der neuen Bundesregierung wird sich das ändern, ganz gleich, wer an die Macht kommt.

Mit dem Arbeitsplatzargument wurde bis zuletzt der Stellenerhalt in der Braunkohle gerechtfertigt. Die Windbranche hat aber seit 2016/17 ein Drittel ihrer 160000 Jobs verloren.

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Damals arbeiteten in der Lausitz noch 7000 Personen in der Braunkohle, mit der Steinkohle waren es 2017 vielleicht noch 12000. Wir sprechen von einer sehr überschaubaren Zahl, die von den Gewerkschaften stark geschützt wurden. Bei den Erneuerbaren hatten schon seit jeher zu wenige Player gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter. Damit war für die Gewerkschaft kein Auftrag da.

Die IG Metall ist keine schwache Gewerkschaft.

Bei RWE und später Schott Solar 2012 hatten wir 500 gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter in der Solarbranche – 500 von 30000. Jetzt, mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, liest man auch Klimaschutzprogramme bei den konservativen Parteien.


Was heißt das für den Norden?

Schleswig-Holstein hat einen hervorragenden Vorteil, weil wir durch die Netznutzung ein Strompreisgefälle bekommen werden.

Wir haben aber in Schleswig-Holstein die höchsten Strompreise.

Ja, weil der Netzausbau neu ist und auf die Netznutzer regional umgelegt wird, ebenso wie die Abregelungskosten der nicht abtransportierten Windenergie. Eine Reform der Netzentgelte ist zwingend.

Was heißt das für die neue Bundesregierung?

Sie hat den ganz klaren Auftrag zu einer Netzentgeltregulierungsreform mit mehr Flexibilität im Netz. Das wird auch von der Industrie eingefordert. Mit dem C02-Preis, den Netzentgelten und der Frage, ob ich direkt Verträge mit einer Windmühle schließen kann, habe ich plötzlich attraktive Industriestrompreise. Wir werden in Schleswig-Holstein viele Industrieansiedlungen bekommen.


An der Westküste?

Einmal an der Westküste, weil Raum da ist, aber wir brauchen auch die Fachkräfte von der Ostseeküste und dem gesamten Kieler Raum. Zusammen mit den Hochschulen der Region gibt es ein Anforderungsgemisch, das wir nur in Schleswig-Holstein anbieten können. Ich vergleiche das mit der Aufbruchstimmung im Agrarland Bayern nach 1945 mit Optoelektronik und Siemens. Das hat aus einem Bauern- ein Hightechland gemacht.

Was wäre die Entsprechung?

Wir brauchen 30 Gigawatt Offshore-Energie bis 2030. Wir sind jetzt bei 7 Gigawatt. Wir starten also von einem niedrigen Level. Sie müssen sich vorstellen: Es geht um eine Verfünffachung innerhalb von neun Jahren. Es geht um Schiffbau, Sensorik, maritime Lehrstühle. Navigation ist etwa an der Hochschule Flensburg ein großes Thema. Davon wird es mehr geben.

Wo wird die Rolle des Wasserstoffs liegen?

Wir brauchen Wasserstoff langfristig. Deshalb müssen wir ihn entwickeln, aber unsere Probleme in den nächsten 15 Jahren weitgehend ohne Wasserstoff lösen. Wasserstoff brauchen wir für den Wärmesektor, wenn wir in 15 Jahren aus dem Gas rauswollen.

Welches Signal könnte von Husum ausgehen?

Die Signale einer Messe wie Husum, auf die die Welt schaut, müssen wir nutzen, um auch bundesweit klarzumachen, welche Chancen wir haben, einfach, weil hier das Stromangebot so groß ist. Elon Musk wird sich noch wundern, wie wenig Strom er für seine Tesla-Fabrik in Brandenburg geliefert bekommen kann, weil Berlin alles absaugt.

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