100 Jahre Grenzziehung

Maler Christopher Lehmpfuhl und sein besonderer Blick auf die deutsch-dänische Grenze

Maler Christopher Lehmpfuhl hat einen besonderen Blick

Maler Christopher Lehmpfuhl hat einen besonderen Blick

shz.de/Martin Schulte
Flensburg
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Christopher Lehmpfuhl an der Grenze Rosenkranz. Foto: Michael Staudt

Christopher Lehmpfuhl hat sich auf eine ungewöhnliche Reise anlässlich der deutsch-dänischen Grenzziehung vor 100 Jahren begeben.

Der Mann in der grauen Jogginghose zieht die Blicke auf sich. Einige Spaziergänger recken die Hälse und versuchen aus der Distanz zu erkennen, was er dort treibt, andere sind weniger zurückhaltend. Sie kommen näher und sprechen den Maler, der inmitten seiner großen Farbeimer sitzt, direkt an. Christopher Lehmpfuhl kennt das. Er blickt dann freundlich hoch und antwortet kurz. Seine Aufmerksamkeit aber gilt der Leinwand, die auf seinen Knien liegt und der Landschaft um ihn herum. „Ich möchte einfangen, was die Besonderheit dieses Ortes ausmacht“, sagt Lehmpfuhl.

Dass der Maler in der freien Wildbahn meist selbst zum Exponat wird, ist vor allem seiner besonderen Arbeitsweise geschuldet: Lehmpfuhl greift die Farbe mit der rechten Hand, trägt sie dick auf die Leinwand auf und wischt die Finger, bevor sie in den nächsten Farbklumpen greifen, an seiner Hose oder Jacke ab. Manchmal wirft er die Farbe geradezu auf die Leinwand. Ein spektakulärer Anblick inmitten der idyllischen, an diesem windstillen Tag fast schon zu gemütlichen Fördelandschaft. 

Malreise unter blauem Himmel

Es ist ein sonniger Freitag Ende Mai an der Flensburger Schusterkate, dort wo eine kleine Brücke die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark markiert. Hier beginnt der Berliner Maler unter einem fast wolkenlosen, blauen Frühsommer-Himmel seine besondere Malreise. 

Zwei Tage lang wird Christopher Lehmpfuhl an der deutsch-dänischen Grenze die Landschaft porträtieren, Orte in beiden Ländern besuchen, die auf typische Art und Weise für die friedliche Grenzziehung vor 100 Jahren stehen. Er wird an diesen Orten malen und die Leser des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages haben dann im Spätsommer die Möglichkeit, diese Bilder zu kaufen.

Genauer Blick: Christopher Lehmpfuhl bei der Schusterkate. Foto: Martin Schulte

Lehmpfuhls Bilder sind allesamt Unikate und Belege einer einzigartigen Zeit, denn das Grenzprojekt, das im vergangenen Jahr mit dem Maler verabredet wurde, ist mitten in eine Phase gefallen, in der wegen der Corona-Krise genau diese Grenze geschlossen ist.

Auch die Brücke an der Schusterkate darf an diesem Maitag nicht passiert werden. Der Weg nach Dänemark ist durch einen rot-weißen Schlagbaum versperrt. Während ein Entenpaar auf der Förde unbekümmert – und vermutlich in einer rechtlichen Grauzone – von der deutschen auf die dänische Seite schwimmt, überlegen zwei Wanderer mit Rucksack am Ende der Brücke, was sie jetzt tun sollen. Schließlich klettern sie über den Schlagbaum und gehen weiter. 

Aus der Krise entsteht etwas Neues

„Verrückte Situation, oder?“ fragt Christopher Lehmpfuhl. Der Blick in Richtung des Schlagbaums ist das erste Motiv, das er gewählt hat. Seine Frage ist eher rhetorischer Natur – denn es ist natürlich eine verrückte Zeit. Eine Zeit, die auch die Motivwahl Lehmpfuhls beeinflusst. „Als Künstler möchte ich mit meiner Arbeit natürlich auch Stellung beziehen zu dem, was um mich herum passiert“, sagt er. 

„Skandinavische Flaggen in Rosenkranz“ Foto: Christopher Lehmpfuhl

Lehmpfuhl hat die Phase des Lockdowns in Berlin als eine schwierige Zeit empfunden. Maler – Realisten besonders – möchten raus, um ihre Motive zu finden und ihre Energie in Kunst zu verwandeln. Lehmpfuhl musste viele Wochen lang in seinem Berliner Haus verbringen, also hat er Aquarelle gemalt. Eine andere Arbeitsweise, die nicht so raumgreifend ist. Keine beschränkte Kunst, aber eine für den beschränkten Raum. „Ich hätte mich ohne die Beschränkungen während der Corona-Zeit nie so intensiv mit der Aquarell-Technik befassen können. So furchtbar diese Krise ist, für mich entsteht auch etwas Neues daraus – in Berlin und auch hier.“

Hier, das ist die Förde, und da hat sich der Maler schon dem zweiten Motiv zugewandt. Ein Blick durch die Äste einer windgeformten Eiche in Richtung deutsches Ufer. Dann folgt ein Bild mit dem alten Grenzstein, der vorhin noch teilweise im Schatten lag. „Aber jetzt ist das Licht richtig“, sagt Lehmpfuhl, der sehr konzentriert – und überraschend zügig arbeitet. 

Dänisches Haus, Schusterkate Foto: Christopher Lehmpfuhl

Manchmal greift er in die Farben, ohne hinzusehen, ein über die Jahre geübter Automatismus. Noch ein Motiv mit dem Hafen, dann folgt der erste Ortswechsel. Lehmpfuhl fährt die Farbeimer mit der Sackkarre in Richtung seines Mercedes Sprinters, der unschwer als der eines Malers erkennbar ist. Rund um die Türgriffe sind zahlreiche Farbspuren verteilt. 

Die Fahrt geht von Flensburg in Richtung Westen, zum Grenzübergang in Rosenkranz beim Ruttebüller See. Hier herrscht eine sonderbare Stimmung. Die schmale Straße, die von Deutschland nach Dänemark führt, ist mit großen, rot-weißen Plastikzäunen abgesperrt, Kameras überwachen den Übergang.

Seltsame Leere in Rosenkranz

Auf der dänischen Seite fahren Kinder mit dem Fahrrad bis zum Zaun und dann wieder zurück – immer wieder. Auch die wenigen Einwohner von Rosenkranz müssen auf ihrer Seite der Grenze bleiben. Ein Schild bestätigt das Offensichtliche: Durchfahrt verboten. Jemand hat mit dickem Filzer DDR in die Mitte des Schildes geschrieben.

Dick aufgetragen: Der Maler bei der Arbeit in Rosenkranz. Foto: Martin Schulte

Der Wind, der um die Häuser pfeift, unterstreicht die seltsame Leere dieser Szenerie. „Was für ein Anblick“, sagt Lehmpfuhl und fängt sofort an zu malen. Konzentriert wandert der Blick zwischen Leinwand und den skandinavischen Fahnen, die er sich als Motiv gewählt hat, hin und her. Wenn er so in sich gekehrt arbeitet, wird deutlich, was für ein physischer Maler Christopher Lehmpfuhl ist. Und je mehr ihn das Motiv herausfordert, desto stiller wird er. Drei Bilder später endet der erste Tag um kurz vor 22 Uhr. Der Maler ist müde – wenig verwunderlich nach dem imposanten Tagwerk von acht Ölbildern.

Mit Sondergenehmigung nach Dänemark

Am nächsten Morgen geht es früh und mit einer Sondergenehmigung über die dänische Grenze. Das erste Ziel ist der Strand bei Sønderhav, gegenüber der Ochseninseln. 

Die Förde reflektiert das Sonnenlicht, noch ist kaum ein Mensch unterwegs. Christopher Lehmpfuhl ist in seiner Malerkluft viel zu dick angezogen, er zieht die Sackkarre mit den schweren Farbeimern durch den tiefen Sand, fast bis an die Wasserkante.

Malen im Sand mit Blick auf die Ochseninseln. Foto: Michael Staudt

Dort malt er die Inseln, das Wasser, das Licht, Boote und Bäume, die Häuser. Grenzbilder ohne sichtbare Grenzen. „Ich liebe es, im Norden zu sein. Alles hier oben strahlt diese unglaubliche Lebensqualität aus“, sagt Lehmpfuhl, der eine enge Verbindung zu Dänemark und Schleswig-Holstein hat – ein Grund, warum ihm das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte auf Schloss Gottorf im kommenden Jahr eine große Retrospektive widmen wird. 

„Grenzübergang, Schusterkate“ Foto: Christopher Lehmpfuhl

Der nächste Halt auf dänischer Seite ist Kegnæs, die Halbinsel bei Sonderburg. Zu Füßen des Leuchtturms, der über der Küste thront, liegt ein geschichtsträchtiger Strand, an dem 1864 die dänischen Truppen vor der Schlacht von Düppel gesammelt wurden. Heute ist der Strand vor allem ein einsamer und malerischer Ort – im besten Wortsinne. Während die Segelboote in der Bucht ankern, sitzt Christopher Lehmpfuhl in voller Montur im heißen Sand und malt die Küstenlinie. „Hier könnte ich noch länger bleiben“, sagt der Maler, der vom Licht an diesem Ort fasziniert ist. Zwei Kinder kommen mit ihrer Oma an den Strand. Für einen langen Moment starren sie mit offenem Mund in Richtung des Malers, der seine Kleidung mit Farben beschmiert. Dann legen sie sich in den Schatten einer Linde.

15 Bilder und neue Ideen

Lehmpfuhl packt da schon wieder ein, die letzte Station dieser Reise ist der Idstedt-Löwe auf dem Flensburger Museumsberg. Die monumentale Skulptur erinnert an den Sieg der Dänen über die Schleswig-Holsteiner in der Schlacht bei Idstedt im Jahr 1850.

Das letzte Motiv: Der Idstedt-Löwe in Flensburg. Foto: Michael Staudt

„Ein Symbol, das aus der Zeit gefallen ist“, sagt Lehmpfuhl und malt den Löwen auf seinem Sockel bewusst abstrakt. Auch hier wird wieder die Einstellung des Künstlers sichtbar, eine Kommentierung im Bild. „Die Kunst sollte die Menschen immer zusammenbringen. Deshalb war mir dieses Grenz-Projekt auch so wichtig“, sagt er, während er das letzte Bild zum Transporter trägt. 

Die Sonne steht schon tief, die Arbeit des Grenzmalers ist getan. Seine graue Jogginghose, die längst ein eigenes Gemälde ist, liegt im Heck des Wagens. Christopher Lehmpfuhl bricht in Richtung Berlin auf, mit 15 Bildern im Gepäck – und ein paar neuen, deutlich sichtbaren Fingerabdrücken auf den Türen seines Transporters. 

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