Sylt

Probleme mit Wanderdüne bei List – ein Tunnel könnte helfen

Probleme mit Wanderdüne bei List – ein Tunnel könnte helfen

Probleme mit Wanderdüne bei List – ein Tunnel könnte helfen

Lea Sarah Pischel/shz.de
List
Zuletzt aktualisiert um:
 Die Wanderdüne in List mit Blick in Richtung Süden von Sylt. Foto: dpa/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Seit 100 Jahren steht die Wanderdüne bei List unter Naturschutz. Die gigantischen Sandmassen auf Sylt werden aber bald zu einem Problem für Menschen auf der Insel. Warum ein Tunnel helfen, aber auch für Streit auf der Insel sorgen könnte.

Unzählige Kubikmeter Sand schieben sich langsam aber stetig weiter zur Straße, der wichtigen Landesstraße 24, die Westerland mit dem Inselnorden verbindet. Inzwischen ist die Wanderdüne in List nur noch 83 Meter von der Fahrbahn der Listlandstraße entfernt. Das hatten Messungen des zuständigen Landesbetriebes für Straßenbau und Verkehr (LBV.SH) im November ergeben. Weide- und Ackerflächen und sogar Häuser waren im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit – also um 1800 – unter den Dünen begraben worden und Straßen mussten versetzt werden.

Letzteres könnte sich bald wiederholen: „Bei einer durchschnittlichen Wandergeschwindigkeit von vier Metern pro Jahr bleiben rund 19 Jahre, bis die Wanderdüne die L24 überdecken wird“, sagte ein Sprecher der Behörde auf Nachfrage von shz.de. Einfach so entfernen, oder gar wegschieben lässt sich der rund 38 Meter hohe Sandberg, im Gebiet zwischen List und Ellenbogen, aber nicht. Denn das größte zusammenhängende Wanderdünengebiet Europas steht seit 100 Jahren unter Naturschutz.

„Die Düne wurde auch auf Initiative der Landschaftsmaler unter Naturschutz gestellt: Sie wollten die Szenerie für die Nachwelt erhalten“, sagt Karsten Reise, langjähriger Chef der Wattenmeerstation am Alfred-Wegener-Institut in List und Meeresbiologe mit großer Liebe zu Dünen. Um Pflanzen oder brütende Vögel sei es den Malern, einige von ihnen aus der damaligen Kampener Künstlerkolonie, im Jahr 1923 nicht gegangen. Sondern nur darum, die imposante Landschaft zu erhalten, sagt der 76-Jährige.

Die Schaffung eines so großen Naturschutzgebietes war damals außergewöhnlich und nicht ganz uneigennützig: Denn mit den Bildern der Lister Dünenlandschaft ließ sich besonders bei Städtern und den Sylt-Urlaubern gutes Geld verdienen.

Die Sylter haben auch heute ein zwiespältiges Verhältnis zu ihren Dünen, sagt er. Noch vor rund 50 Jahren gab es auf Sylt bis zu 50 Wanderdünen – jetzt ruhen viele. Um Häuser, Menschen und Straßen zu schützen, waren die Dünen bepflanzt worden. Drei Dünen sind geblieben: Bundesweit seien es die einzigen, die noch frei wandern dürfen, sagt Reise. Eine von ihnen steht am dichtesten an der Straße und droht, diese unter sich zu begraben. Er rechnet damit, dass es noch rund 50 Jahre dauert, bis die größte der drei Wanderdünen die Straße erreicht hat. „Die Düne wandert ja nicht den direkten, kürzesten Weg, sondern bewegt sich leicht schräg auf die Straße zu“, sagt Reise.

Als Eigentümerin der zweispurigen Straße will der Landesbetrieb jetzt mögliche Maßnahmen prüfen, damit dessen zweispurige Fahrbahn nicht unter Sand begraben wird. Die Listlandstraße gilt als Teil der Landstraße 24 Richtung Westerland als elementare Lebensader für die rund 1560 Lister sowie Tausende Urlauber – sowie jene, die mit der Fähre im nördlichsten Inselort ankommen und von dort ihre Feriendomizile in den anderen Inselgemeinden ansteuern. 

Sylt: Tunnel könnte für Streit zwischen Wirtschaft und Naturschutz sorgen

„Es werden zur Zeit Gespräche terminiert. Im Dialog mit den anderen Beteiligten – untere Naturschutzbehörde, Gemeinde – werden mittelfristig die möglichen Maßnahmen zusammengestellt und erörtert“, teilte ein LBV.SH-Sprecher mit.

Die Lösungsvorschläge reichen demnach von einer Bepflanzung, bis hin zu einer Verlegung der Straße auf die Rückseite der Düne. Aber auch über einen Tunnel – der sogenannten Einhausung, wie es im Fachjargon heißt – wird nachgedacht. „Auch wenn in diesem Fall die Straße wahrscheinlich nicht tiefergelegt wird, sondern gegebenenfalls ein oberirdisches Schutzbauwerk die Straße schützen wird, das dann von der Düne „überwandert“ werden kann, ohne den Verkehr zu gefährden“, schreibt der Sprecher.

Nach Abschluss der Gespräche werden die möglichen Maßnahmen zusammengestellt und geprüft, ob sie wirksam und umsetzbar sind. Einen genauen Zeitplan konnte der Sprecher auf Nachfrage nicht nennen.

Zeitdruck bestünde bislang auch nicht, sagte Sven Lappoehn, Geschäftsführer des Kultur- und Heimatvereins Sölring Foriining, der unter anderem das Naturschutzgebiet Nord-Sylt betreut. Als jetzt federführende Instanz, die Gespräche für mögliche Lösungen anschiebt, sieht er den LBV.SH aber dennoch. „Ich sehe den Bedarf, dass man darüber nachdenken sollte und die Verantwortlichen von Land, Kreis und Kommune sowie die Naturschutz-Verbände an einen Tisch holt.“ Denn bis eine Lösung gefunden und umgesetzt ist, könne es bis zu zehn Jahre dauern, schätzt er.

„Vor allem, wenn der Wind von Südwest kommt und es trocken ist, wandert die Düne weiter“, sagt der 53-Jährige. Es können bis zu 10 Meter im Jahr sein, im Schnitt waren es in den vergangenen Jahren drei bis vier Meter. Den genauen Weg können Sylter und Gäste im Erlebniszentrum Naturgewalten in List nachverfolgen, wo die Wanderung der Düne im Rahmen eines Fotoprojekts seit 2007 einmal in der Woche dokumentiert wird. Aber niemand kann vorhersagen, wie sich der Klimawandel auf die Geschwindigkeit der Düne auswirkt.

Die Idee für den Tunnel hatte Karsten Reise schon vor rund 15 Jahren ins Spiel gebracht. Es sei die „dünenfreundlichste Lösung“, sagt der. Die Düne könnte dann weiter wandern und der Sand würde sich im besten Fall an der Ostseite anlagern und dort das Ufer zum Watt stabilisieren. „Der Tunnel mit einem Kuppelbau, der aus Stahlsegmenten über die Straße gesetzt wird, wäre ein Alleinstellungsmerkmal für Sylt – und könnte flexibel nach Bedarf vergrößert werden“, sagt der Wissenschaftler.

Sylt: Tunnel kostet mehrere Millionen Euro

Andere Maßnahmen hält er für eher ungünstig: „Heute sehen wir es als verkehrt an, die Dünen zu stabilisieren, denn wenn wir sie fest bepflanzen, droht auch die vollkommene Verwaldung mit Bäumen und höheren Sträuchern“, sagt der Dünen-Experte. Die jetzt von vielen geliebte offene Sylter Dünenlandschaft wäre dann passé. Schon jetzt ist es immer wieder nötig, einige Stellen zu „Enkrusseln“ – also unliebsamen Bewuchs zu entfernen, um zu verhindern, dass bestimmte Gewächse zu sehr wuchern.

Wie Lappoehn hält auch Reise es für sinnvoll, schon jetzt mit der Planung des gigantischen Vorhabens zu beginnen. Auch, um die Finanzierung des Projekts sowie die Bauvoranfrage für einen Tunnel beim zuständigen Bauamt zu klären. Dazu, wie der Tunnel aussehen soll, gibt es verschiedene Überlegungen: Für die zweispurige Straße mit Radweg hatte Projektentwickler Gerhard Koerver vom Hildener Planungsbüro Concept bei einem Termin in List zuletzt einen gewölbten Tunnel in offener Bauweise vorgeschlagen, über den die Düne dann langsam wandern könnte. Bei einer Länge von 500 Metern schätzt er die Kosten für das Bauwerk auf 13 bis 15 Millionen Euro.

Sylt: Ronald Benck hält Tunnel für unrealistisch

Einen Tunnel, der die Straße vor Sand stoppt, gefällt Ronald Benck nicht. Das sei sowohl optisch nicht schön und auch zu teuer, sagte der Lister Bürgermeister (CDU) am Montag auf Nachfrage von shz.de. Zudem befürchtet er, dass beim Bau des Tunnels der Bereich rechts und links der Straße zerstört wird. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Land das macht“, sagte er. Das bestätigt der LBV.SH-Sprecher auf Nachfrage: „Die Realisierung eines Tunnels (oder Einhausung) ist zum jetzigen Zeitpunkt als eher unwahrscheinlich anzusehen.“

Angst davor, dass sein Dorf verschüttet wird, hat Benck bisher nicht. „Wir haben ja noch Zeit – es macht aber natürlich Sinn, sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Das ist nun Aufgabe des Landes“, sagt er. Die Bepflanzung der Düne sei dabei die kostengünstigste Variante.

Er favorisiert daher die Idee, den Sand der Düne zur Straßenseite abzutragen und auf der anderen, der westlichen Seite, wieder anzulagern: „Damit kann man die Düne stoppen, aber sie wandert trotzdem weiter“, sagt Benck. Die Gemeindevertretung habe sich noch nicht final mit der Wanderdüne befasst, sagt der CDU-Politiker.

Ihren Traum von der weiter wandernden Düne wollen die Tunnelbefürworter aber trotz der Kritik nicht einfach so ziehen lassen: „Die Frage ist, überlässt man die Wanderdüne der Natur oder managt man sie“, sagt Sven Lappoehn von Söl‘ring Foriining. Der Verein ist für die naturnahe Variante und gegen Bepflanzung, um die „letzte Wanderdüne dieser Art zu erhalten“.

Ein Tunnel würde dafür sorgen, dass man für immer Ruhe hat, auch wenn die Folgekosten für Wartungen und mögliche Reparaturen bisher nicht kalkulierbar seien, gibt der Sylter zu. Aber dennoch ist er überzeugt von der Idee: „Es wäre das erste Mal, dass ein Tunnel gebaut wird, bevor der Berg kommt. Das wäre ein neues Alleinstellungsmerkmal für Sylt“, sagt Lappoehn mit einem Augenzwinkern.

Mehr lesen

Leserinnenbeitrag

Gudrun Struve, Heimatwanderclub
„Wanderung am Gendarmenpfad“