Nordfriesland

Theodor Storm und das einstige „Schloss“ in Arlewatt

Theodor Storm und das einstige „Schloss“ in Arlewatt

Theodor Storm und das einstige „Schloss“ in Arlewatt

Prof. Dr. Thomas Steensen / SHZ
Nordfriesland
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So sah Arlewatthof gegen Ende des 16. Jahrhunderts aus, dargestellt auf einer Stammtafel des Adelsgeschlechts der Rantzaus. Foto: Abteilung für Regionalgeschichte, Universität Kiel

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Ein Schloss an der Arlau? Wie die Bauern frei wurden und das kleine Arlewatt den Weg in die Welt der Literatur fand und was Nordfrieslands Nationaldichter Theodor Storm daraus gemacht hat, beschreibt Prof. Dr. Thomas Steensen.

Mitten in Nordfriesland liegt an dem Flüsschen Arlau das kleine Dorf Arlewatt. Spektakuläres strömt es nicht aus. Und doch spiegelt sich hier Besonderes aus der Geschichte Nordfrieslands. Zudem hat es den Weg in die Welt der Literatur gefunden.

Die Bauern in Nordfriesland waren von jeher frei, sie lebten und arbeiteten auf eigenem Land. Das feudale System der Gutsherrschaft mit Leibeigenen setzte sich hier nicht durch. Es gab nur wenige Ausnahmen. Eine davon bildete der in Arlewatt gelegene Gutshof. Manchmal ist von einem „Schloss“ die Rede, aber das erscheint übertrieben, hier residierte auch kein Regent des Landes. Doch wurden schon im Mittelalter „Herren“ von Arlewatt genannt, die dann wohl gegen Ende des 15. Jahrhunderts ihren Wohlstand in Szene setzten und ein ansehnliches Herrenhaus errichteten.

Belegt sind die adligen Familien Frese, Ratlow, Rantzau und Ahlefeldt. Die Ländereien des Guts lagen weit verstreut. Der Besitz von Arlewatt war mit dem Patronatsrecht der zwei Kilometer östlich gelegenen kleinen Kirche in Olderup verbunden, einer der ältesten in Nordfriesland. In einem Gruftgewölbe fanden dort einige Ahlefeldts ihre letzte Ruhe, Wappensteine in der Kirche erinnern daran.

Das Gut wird verkauft

Die Ahlefeldts verkauften das Gut 1627 an Augusta, Witwe des Herzogs Johann Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf, die im Schloss vor Husum residierte. Später ging es in den Besitz der Herzogin Maria Elisabeth über. Der „Herzoginnenweg“ kündet noch davon. Nachdem das Herzogtum Schleswig 1721 ganz an den dänischen König gefallen war, gehörte das Gut der dänischen Krone.

Wie auf adligen Gütern üblich herrschte auf Arlewatthof die Leibeigenschaft. Die Bauern waren zu Frondiensten verpflichtet, durften nicht vom Gutshof wegziehen, unterlagen der Gerichtsbarkeit ihres Herrn und mussten sogar seine Erlaubnis einholen, wenn sie heiraten wollten. Die für uns heute selbstverständlichen Menschenrechte galten also nur stark eingeschränkt. Im Gegenzug musste der Gutsherr in Notfällen Hilfe leisten und zumindest für ein lebensnotwendiges Auskommen sorgen.

Bauern setzen sich zur Wehr

Die unmittelbare Nachbarschaft zu den freien friesischen Bauern im damaligen Amt Husum brachte es jedoch mit sich, dass das adlige Feudalsystem auf Arlewatthof nicht so krass umgesetzt wurde wie etwa in den Gutsdistrikten an der Ostküste Schleswig-Holsteins. Als aber 1708 ein neuer Verwalter ein strengeres Regiment einführen wollte, setzten sich die Bauern des Guts zur Wehr. Sie stellten ihre Pflugeisen auf den Gutshof ab und traten sogar in den Streik. Auf Geheiß einer landesherrlichen Kommission mussten sie jedoch ihre Widersetzlichkeit aufgeben und einzeln durch Handschlag ihre Unterwerfung bekunden.

Die Haupträdelsführer wurden aufs Schloss Gottorf zitiert, wo man ihnen wegen ihres „Unfugs“ Verweise erteilte, einer wurde in Haft genommen. Auch weiterhin klagten die Arlewatter und Olderuper Bauern über „harte Proceduren als Schläge, Gefängniß Speisung mit Wasser und Brod, hohe Geld Straffe umb geringer oder gar keiner Ursache willen“.

Land wird in Parzellen aufgeteilt

Das 18. Jahrhundert war die Epoche der Aufklärung. Die Leibeigenschaft erschien nun vielen als menschenunwürdig. Zudem wollte man im Zeichen der Vernunft durch Reformen das wirtschaftliche Leben ankurbeln. Bauern mit eigenem Land würden für höhere Erträge sorgen. Diese neue Auffassung wurde in Arlewatt bereits im Sommer 1772 zur Realität. Das Land des Gutes, insgesamt 565 Hektar, wurde nun in 14 „Parzellen“ aufgeteilt und zum Kauf angeboten. Jeder Käufer verpflichtete sich, auf seinem Stück Land ein Haus zu errichten.

Man kann sagen, dass damals, vor zweieinhalb Jahrhunderten, die Geburtsstunde des heutigen Dorfes Arlewatt schlug. Allerdings erwarben nicht nur Bauern aus Arlewatt und Olderup die Landstücke, sondern auch auswärtige Investoren. Die damalige „Parzellierung“ zeigt sich noch heute im Landschaftsbild durch die in der Folge angelegten Knicks, Gräben und Feldwege. Die Landaufteilung wurde in Arlewatt recht früh vorgenommen. Das Gut Lütjenhorn bei Achtrup im Nordosten Nordfrieslands zum Beispiel folgte 1789. Erst 1804 wurde dann feierlich verkündet: „Die Leibeigenschaft ist in Unsern Herzogtümern Schleswig und Holstein gänzlich und auf immer abgeschafft, ohne irgendeine Ausnahme.“

Vom Arlewatthof ist nichts mehr zu sehen

Auch wenn die Bauern nun überall ihre persönliche Freiheit gewannen, verbesserte sich nicht unbedingt ihre wirtschaftliche Lage. Von dem eigentlichen „Arlewatthof“, manchmal als Schloss bezeichnet, ist heute nichts mehr zu sehen. Bisher meinte man, dass es auf der sogenannten Borgkoppel hundert Meter westlich des heutigen Haubargs gelegen habe. Doch zeigten geophysikalische Untersuchungen, die der Historiker Stefan Magnussen von der Abteilung für Regionalgeschichte an der Universität Kiel vor wenigen Jahren gemeinsam mit dem Archäologen René Ohlrau vornahm, dass hier nie ein Gebäude stand. Das bestätigte auch eine kurze Zeit später durchgeführt Untersuchung durch das Archäologische Landesamt.

Kartusche aus Sandstein

Magnussen konnte es dann unmittelbar am heutigen Flussbett der Arlau verorten. An das Gut Arlewatt erinnert der schöne Haubarg, dessen Maueranker am Schweifgiebel auf das Jahr 1735 verweisen. Aber wohl schon vorher stand hier ein solches Gebäude. Diese stattliche Bauernhausform ist ansonsten fast nur von der Halbinsel Eiderstedt bekannt.

Über dem Eingang prangt ein Überrest des einstigen Herrenhauses: eine Kartusche aus Sandstein mit den Buchstaben „ME“ für die Herzogin Maria Elisabeth samt ihrer Krone und der Jahreszahl 1664. Wahrscheinlich nahm sie damals Baumaßnahmen am Herrenhaus vor. Auch die großen Granitquader als Grundsteine stammen wohl von dem „Schloss“. Wann genau das prächtige Gebäude verschwunden ist und auf welche Weise, liegt im Nebel der Geschichte. Vielleicht brannte es ab, vermutlich wurde es abgetragen, als der Haubarg errichtet wurde.

Zur Chronik von Grieshuus

Als Theodor Storm 1884 seine Novelle „Zur Chronik von Grieshuus“ schrieb, dachte er wohl an Arlewatthof. Schon als Schüler unternahm er von Husum aus oft Wanderungen in die Umgebung, die weite Heidelandschaft faszinierte ihn. In seiner Novelle beschreibt er, wie er an einem Oktobertag eine seltsame Entdeckung macht: Er meint, „den Rest eines turmartigen Mauerwerks zu gewahren“, erkennt aber: „Nur meine Phantasie hatte sich dort den Turm erbaut: Nicht jetzt, einst, sagte ich mir, hatte ein derartiges Gemäuer dort gestanden ...“

Storm erwähnt Arlewatthof mit keinem Wort, sondern lässt alles auf „Grieshuus“ geschehen, wie das Gut manchmal auch im Volksmund genannt wurde. Aufgrund der von ihm beschriebenen Lage kann es sich nur um dieses Herrenhaus gehandelt haben. Ein Vorfahr von ihm, Ingwer Woldsen, war Pächter des Guts gewesen. Der Sage nach soll er nach der Sturmflut von 1634 in einem hölzernen Gefäß die Arlau hinaufgetrieben worden sein. Beim Gutshof habe man ihn gefunden und gerettet.

Düstere Storm-Novelle

Storm verknüpfte, wie auch in anderen seiner „Chroniknovellen“, Fiktion mit Fakten, Fantasie mit Wirklichkeit, wobei die dichterische Freiheit die Oberhand behielt. In düsteren Farben beschreibt er den Verfall des dort herrschenden Geschlechts. Junker Hinrich gerät mit seinem Zwillingsbruder Detlev in Streit über das Erbe. In seinem Jähzorn erschlägt Hinrich seinen Bruder auf der Heide. Unter mysteriösen Umständen verliert er Jahrzehnte später an derselben Stelle bei einem Ritt das Leben. Sein Sohn löst sich vom Erbe und gründet eine bürgerliche Familie. Die Wölfe dort werden ausgerottet, die „Rieseneichen“ gerodet, „Grieshuus“ abgebrochen. Damit kündigt sich in Storms Novelle eine neue Zeit an – wie sie vor 250 Jahren hier in Arlewatt Realität wurde.

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Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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