Großer Corona-Ausbruch

Tote im Tarper Seniorenheim: Pflegerinnen erheben schwere Vorwürfe

Tote im Tarper Seniorenheim: Pflegerinnen erheben schwere Vorwürfe

Tote in Seniorenheim: Pflegerinnen erheben schwere Vorwürfe

SHZ
Tarp
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Mehrere Bewohner sind in den vergangenen Tagen im Heim gestorben. Foto: Axel Heimken / SHZ

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Wochenlang haben sie mit viel zu wenig Personal die Bewohner betreut, berichten Pflegerinnen aus Tarp. Der Corona-Ausbruch habe das Problem weiter verschärft.

„Das Personal ist nach und nach weggebrochen“, sagt die Pflegerin. Und versprochene Hilfe sei keine gekommen. Mehrere Pflegerinnen und Pflegehelferinnen aus dem Seniorenheim in Tarp erheben nach dem verheerenden Corona-Ausbruch mit mindestens sieben Corona-Toten sowie weiteren Verstorbenen schwere Vorwürfe gegen den Pflegeheim-Betreiber Cura. Sie sind sich sicher: Die fatalen Folgen hängen auch mit der Unterbesetzung zusammen.

Die Pflegerinnen möchten anonym bleiben. Doch schweigen möchten sie nicht mehr. Das Personalproblem habe schon vor dem Corona-Ausbruch bestanden. Der aber habe alles verschärft.

Ende Januar habe es angefangen mit einer Seniorin, die infiziert aus einer Klinik zurückgekommen sei. Eine demente Frau, erklärt eine der Pflegerinnen. „Sie lief immer wieder aus dem Isolationszimmer heraus. Irgendwann kriegte man sie gar nicht mehr zu handeln.“ Also lief sie durchs ganze Haus, so die Pflegerinnen.

65 Bewohner und 25 Mitarbeiter infizierten sich, ergab die PCR-Reihen-Testung. Und die nicht infizierten Mitarbeiter mussten unter immer schwereren Bedingungen arbeiten.

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Stundenlang im Kot gelegen

Spätestens ab da sei es „unmenschlich“ geworden, wie es eine der Pflegerinnen in einer hilfesuchenden Mail ausdrückt. Die Frauen berichten davon, dass die Morgen- und Mittagsmedizin bis zum frühen Nachmittag nicht verteilt worden sei und abgeschlossen im Schrank stand, darunter Insulin für Diabetes-Patienten. Von trockenen Mündern und Menschen, die stundenlang in ihrem Kot liegengelassen worden sein sollen. Offenbar gab es auch Norovirus-Fälle im Heim. Eine Frau sei wundgelegen gewesen. Eine Person, so berichten sie, sei in Scherben liegend gefunden worden.

„Dann war da die Woche, als wir um 4.30 Uhr angefangen haben“, erzählt eine Pflegerin. Überstunden vor Schichtbeginn – „damit wir es schaffen, die Bewohner zu waschen und einzucremen“. Mitarbeiter seien zum Teil alleine für einen kompletten Wohnbereich zuständig gewesen und dafür, das Essen und Trinken auszuteilen. Eine Angehörige berichtet, was das für Folgen haben kann. Ihr Vater habe lange nichts zu trinken bekommen – und auch bei ihm wurde das Bett voller Stuhlgang vorgefunden.


Die Pflegekräfte hätten immer wieder bei Cura auf Probleme aufmerksam gemacht, doch passiert sei nichts. Stattdessen lückenhafte Dienstpläne, spontane Schicht-Einteilungen. „Die Dokumentation war wichtiger“, kritisiert eine Pflegerin. „Es kamen Leute um die Computerarbeit zu machen, nicht die Pflege.“

Cura: Keine Einschränkungen in der Pflege


Das Unternehmen teilte am Freitag auf Nachfrage mit, dass „es in unserem Cura-Seniorencentrum Tarp zu keinen Einschränkungen in der Pflege kommt, da wir zahlreiche Unterstützung von anderen Cura-Häusern erhalten haben. Daher besteht eine gute Personalsituation vor Ort und wir versorgen ca. 80 Bewohner mit rund 30 Mitarbeitern.“


Ein Hausarzt hingegen, der regelmäßig in dem Heim ist, bestätigt unwürdige Zustände. Auch er möchte anonym bleiben, der Name ist der Redaktion bekannt. „Ich würde nicht ausschließen, dass durch Pflegemangel Leute zu Tode gekommen sind“, sagt er. Der Arzt vermutet, dass der Träger seit drei Monaten das Personal absichtlich reduziert habe. Das Unternehmen habe versucht, die Personallücken mit Unterstützung von außerhalb zu schließen. Doch die kannten sich im Heim nicht aus.

Offenbar wechselten sowohl die Heimleitung als auch die Pflegedienstleitungen – diese hätten „resiginiert“, so die Pflegerinnen. Das Unternehmen Cura stand für eine weitere Stellungnahme zu den konkreten Vorwürfen bis Mittwochabend nicht zur Verfügung. Viel zu spät, so die Pflegerinnen, reagierte die Heimaufsicht. Inzwischen hilft die Bundeswehr zumindest bei der Essensausgabe. Doch die eigentlichen Pflegeaufgaben dürfen sie nicht übernehmen.

Weiterlesen: Zwei weitere Tote im Tarper Heim – Bundeswehr hilft bei der Pflege

Siebter Corona-Toter

Am Mittwoch wurde der siebte Corona-Tote bekannt, eine 80-jährige Person. Laut Kreis Schleswig-Flensburg waren alle Verstorbenen geboostert. Die Pflegerinnen und der Hausarzt sind sich hingegen sicher, dass einer ungeimpft war.

Warum es zu der eklatanten Personalsituation gekommen ist, bleibt unklar. Die Pflegerinnen vermuten, dass das Unternehmen habe sparen wollen. Die meisten möchten nun den Arbeitsplatz wechseln. „Ich mache das seit 30 Jahren, das habe ich so aber noch nie erlebt“, sagt eine Pflegehelferin. „Ich kann das nicht mit meinem Pflegeherzen vereinbaren.“

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