Leitartikel

„Sonderburg schlürft voran“

Sonderburg schlürft voran

Sonderburg schlürft voran

Apenrade/Aabenraa
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Dass Sonderburg erster Standort in Nordschleswig für eine Filiale der größten nordischen Café-Kette wird, überrascht Cornelius von Tiedemann nicht. Die Stadt am Alsensund sei nun endgültig in der globalisierten Welt angekommen, meint er.

In Sonderburg hat der nordische „Starbucks“-Verdränger „Espresso House“ seine erste Filiale auf nordschleswigschem Boden eröffnet. Mehr als 400 Cafés der Kette gibt es in Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark und Deutschland bereits (neun in Hamburg, vier in Berlin).
Erst jetzt wird in Nordschleswig eines eröffnet. Natürlich, möchte man fast sagen, in Sonderburg.

Ist das nun erschreckend, weil die Macher der Kette aus der schonischen Universitätsstadt Lund erst jetzt den Schritt nach Nordschleswig wagen – oder weil Nordschleswig jetzt endgültig dem globalen Mainstream anheimgefallen ist?

Oder ist es ein gutes Signal, weil Sonderburg sich einmal mehr als für internationale Unternehmen attraktiver regionaler Vorreiter herausgestellt hat – oder auch einfach, weil wir in Nordschleswig jetzt auch in den Genuss kommen, richtiges (schwedo-) amerikanisches Coffeehouse-Gefühl erleben zu können?

Fest steht: Der „Coffeehouse effect“ (Café-Effekt) ist ein seit Jahren von Soziologen und Psychologen, aber auch von Stadtentwicklern und Stadtteilaktivisten aufmerksam verfolgtes Phänomen.

Dass wir dieses jetzt auch in Nordschleswig begrüßen können, zeigt, dass es „Provinz“, so, wie es früher einmal war, heute nicht mehr gibt.

Dass wir allerdings erst jetzt und erst ein einziges solches internationales Ketten-Café haben, zeigt, dass es bei aller Annäherung eben doch noch Unterschiede gibt. Die Schicht von Menschen, die ihre Tätigkeit (ob nun bezahlt oder nicht) am Laptop ausübt und das Café als Arbeitsplatz nutzt – die ist in Nordschleswig noch sehr dünn und am ehesten noch am Universitätsstandort Sonderburg zu beobachten.

Cafétische, sogar mit toller Aussicht, stehen auch im Alsion oder im Multikulturhaus. Und auch dort gibt es kostenlose Internetverbindungen und dazu noch jede Menge Bücher und anderen Service. Und viele nutzen das. Doch für die Café-Generation ist nicht unbedingt die Ruhe, der Rückzug entscheidendes Argument – sondern sie sucht im Gegenteil gerade den Betrieb, das Lebendige, auch den Lärm eines Cafés.

Viele  arbeiten heute nicht mehr nach bestimmten Arbeitszeitvorgaben (höchstens gibt es Abgabetermine), sie arbeiten ortsunabhängig und je nach Bedarf allein oder in kleineren Gruppen. Die Caféketten vermitteln ihnen das dazu passende Ambiente und sind voll darauf eingestellt, die Bedürfnisse der „digitalen Arbeiterschaft“ zu bedienen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Arbeit als Gast in diesem teils turbulenten Café-Umfeld die Hirnaktivität anregen kann. Und dass, wenn eine Gewöhnung eingesetzt hat, das Hirn das Café als Ort kreativer Entfaltung erkennt und dort entsprechend aktiv wird.  

Dass eines dieser Ketten-Cafés dem anderen dabei fast aufs Haar gleicht, ist nicht nur dem Kostenmanagement geschuldet. Wie bei den großen Hotelketten, die vor allem von Geschäftsreisenden leben, geht es darum, dass die Kunden sich überall, ganz egal wo im Land, wo auf der Welt, gleichermaßen zu Hause in ihrem „Büro“ fühlen.

Das Café aus früheren Zeiten, das ein ausgesprochener Freizeitort war, ein Ort der Geselligkeit, oft auch ein Ort regionaler oder lokaler Identität, hat sich also heute vielfach zum austauschbaren Arbeitsort gewandelt. Auch das Pflegen sozialer Kontakte („Netzwerken“) gehört für viele zu diesem fließenden Übergang, der heute zwischen Arbeits- und Freizeit besteht, dazu.

Mit dem Einzug der ersten großen Café-Kette in Nordschleswig kann sich also auch die moderne Café-Generation bei uns in der Provinz heimisch fühlen. Doch die Wissenschaft hat nicht nur herausgefunden, dass Café-Atmosphäre das Hirn anregt. Sie hat auch herausgefunden, dass sich Stadtteile verändern, wenn eine Caféketten-Filiale dort eröffnet. Die Cafés sind Teil der in Hamburg, London und San Francisco beklagten „Gentrifizierung“, wo alteingesessene Bewohner durch Besserverdienende verdrängt werden.

Ob die Cafés Ursache oder Folge des Phänomens sind, ist nicht belegt. Und noch ist bezahlbarer Wohnraum in Nordschleswig kein wirkliches Problem. Hier wird sich vielmehr über jeden gefreut, der hierherzieht oder hierbleibt. Auch wenn es nur eines von Hunderten Cafés auf dieser Welt mit dem Namen „Espresso House“ ist.

 

 

 

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