Fehrmarnbelt

160 Beteiligte und Zuschauer bei Mammutprozess

160 Beteiligte und Zuschauer bei Mammutprozess

160 Beteiligte und Zuschauer bei Mammutprozess

SHZ
Leipzig
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Der geplante Ostseetunnel als feste Fehmarnbeltquerung bleibt unter Befürwortern und Gegnern hoch umstritten. Foto: ICONO A/S/Femern A/S/dpa

Dienstag hat der Prozess zum Fehmarnbelt-Tunnel begonnen- Es steht viel auf dem Plan. Umso dringlicher der Appell des Richters zur Wahrung der Kürze: „Sonst werden wir hier ewig nicht fertig.“

Eines der größten Infrastrukturprojekte in Europa steht vor dem Bundesverwaltungsgericht auf dem juristischen Prüfstand. Die Leipziger Richter verhandeln seit Dienstag die ersten von insgesamt sieben Klagen gegen das deutsch-dänische Milliardenprojekt eines Ostseetunnels im Fehmarnbelt zwischen Deutschland und Dänemark. 

Zum Auftakt der mündlichen Verhandlung über Klagen zweier Umweltverbände und mehrerer Fährunternehmen ging es vor allem um Verhandlungsfragen.

Der 9. Senat hat bis zu sieben Verhandlungstage für die ersten Klagen eingeplant. „Wir haben hier eine Fülle von Fragen zu besprechen“, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Bier. Zu den Umweltauswirkungen und den Verkehrsprognosen sollen zahlreiche Sachverständige gehört werden. Er werde versuchen, die verschiedenen Punkte möglichst kurz anzusprechen. „Ich appelliere an alle, das ebenso zu tun. Sonst werden wir hier ewig nicht fertig.“  

Ich appelliere an alle, das ebenso zu tun. Sonst werden wir hier ewig nicht fertigWolfgang Bier, Vorsitzender Richter

Bedenken äußerte das Gericht zur Zulässigkeit der Klage der Rederei AB Nordö-Link. Das Unternehmen betreibt eine Fährverbindung zwischen Travemünde und Malmö, in einiger Entfernung vom geplanten Tunnel. Die Frage ist, inwieweit Rechte der Reederei durch das Projekt verletzt werden. Sicher gebe es „mittelbare Auswirkungen“, aber es müsse eine Grenze geben, wer klagebefugt ist. „Wir haben Bedenken, dass die Grenze hier eingehalten ist“, sagte Bier.

Verlegt in die Kongresshalle

Wegen der Corona-Pandemie verhandelt der Senat nicht im historischen Gerichtsgebäude, sondern in der Kongresshalle in Leipzig. Nur so waren die 160 Beteiligten und die Zuschauer gemäß den Hygienevorgaben unterzubringen. Vor Beginn protestierten Umweltschützer am Dienstagmorgen gegen den umstrittenen Tunnelbau. Das Bündnis Beltretter forderte auf Transparenten einen Stopp des Projekts.

Der 18 Kilometer lange Ostseetunnel soll Puttgarden auf Fehmarn und Rødby auf Lolland verbinden. Durch den Tunnel am Meeresboden sollen sowohl Autos als auch Züge fahren, was die Fahrzeiten und -wege erheblich verkürzen würde. Gebaut und betrieben würde der Tunnel von Dänemark. Die dänische Projektgesellschaft Femern A/S bezifferte die Kosten für den umstrittenen Bau auf 7,1 Milliarden Euro - gerechnet mit dem Preisniveau von 2016. Für den Tunnelabschnitt in Dänemark besteht schon seit 2015 Baurecht.

Wer will was?

Deutschland trägt nur die Kosten für den Ausbau der Hinterlandanbindung und den Ersatz der Fehmarnsundbrücke, die Schleswig-Holsteins Festland mit der Ostseeinsel verbindet. Die Bahn beziffert die Kosten auf 3,5 Milliarden Euro – inklusive 1,1 Milliarden Risikopuffer.

Der Naturschutzbund Nabu und das Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbeltquerung sehen gravierende Auswirkungen auf das Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt sowie benachbarte Vogelschutzgebiete. Zudem bezweifeln sie grundsätzlich den Verkehrsbedarf des Milliardenprojekts. Die Fährunternehmen fürchten den Verlust von Arbeitsplätzen. Der Nabu hat knapp 100.000 Unterschriften gegen das aus seiner Sicht überdimensionierte Projekt gesammelt.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte angesichts des Verfahrens eine Reform des Umwelt- und Planungsrechts. „Die Hauptursachen für überlange Planungs- und Genehmigungsverfahren liegen im Umwelt- und Planungsrecht sowie in einer Übererfüllung europäischer Vorgaben“, sagte der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. Die Verkehrsinfrastruktur sei früher Ansatzpunkt für Konjunkturprogramme gewesen. 

„Heute dagegen vergeht so viel Zeit, bis das Geld tatsächlich auf die Straße kommt, dass ein präzises Setzen konjunktureller Stimuli kaum möglich ist.“ Nach den Klagen der Umweltverbände und der Reederei steht in Leipzig im Oktober noch eine zweite Runde mit Klagen der Stadt Fehmarn sowie eines Landwirts an. Wann das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil sprechen wird, ist noch offen. In der Regel legt der Senat am Ende der mündlichen Verhandlung einen Verkündungstermin fest.(Az. BVerwG 9 A 7.19 u.a.) Der Tunnel soll 2029 fertig sein.

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Leitartikel

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
„Europäischer Erdrutsch“