Leitartikel

„Klimaproteste: Von neuen Wegen und Sackgassen“

Klimaproteste: Von neuen Wegen und Sackgassen

Klimaproteste: Von neuen Wegen und Sackgassen

Apenrade/Aabenraa
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Während „Fridays for Future“ immer seltener die Schlagzeilen beherrscht, machen Gruppierungen wie die „Letzte Generation“ in Deutschland und „Die Notbremse“ in Dänemark noch auf sich aufmerksam, weil sie Straßen blockieren. Warum sie damit den Zorn auf sich ziehen und die Klimaaktivisti in Deutschland nun umdenken, kommentiert Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.

Über viele Monate machten die sogenannten „Klimakleber“ von der „Letzten Generation“ in Deutschland durch Straßenblockaden auf sich aufmerksam. Dabei klebten sich Aktivistinnen und Aktivisten mit Sekundenkleber auf Kreuzungen oder Autobahnauffahrten fest. Im Januar kündigte die Gruppe dann an, künftig auf „ungehorsame Versammlungen“ zu setzen und nicht länger Straßen zu blockieren. 

In Dänemark macht seit Herbst 2023 eine ganz ähnliche Gruppierung auf sich aufmerksam, die sich „Notbremse“ (Nødbremsen) nennt. Sie wollen mit Straßenblockaden ebenfalls auf den drohenden Klimakollaps aufmerksam machen. Dabei kämpfen sie in allererster Linie gegen den Bau neuer und den Ausbau bestehender Autobahnen.

Was beide Gruppierungen eint, ist der Hass, der ihnen entgegengebracht wird. Mit ihrem Protest hindern sie normale Bürgerinnen und Bürger daran, ihrem Alltag nachzukommen. Bei ihrer jüngsten Aktion an einer Autobahnauffahrt in Hvidovre zerrten in erster Linie wütende Männer die Aktivistinnen und Aktivisten von der Straße und beschimpften sie auf das Übelste. Ein Bild, das über Monate auch in Deutschland zu beobachten war, wo es sogar zu körperlicher Gewalt gegen einige Blockierende kam. 

Auch auf der Facebookseite der „Notbremsen“ sammeln sich fiese Kommentare. „Klimaidioten, ihr gehört alle eingesperrt“ liest man dort zum Beispiel unter den Bewertungen. In den deutschen Medien und der Politik wurden die Aktivisti ebenfalls zum Feindbild aufgebaut. Von „Klimaklebern“, einer „Klima-RAF“ oder „Klima-Gören“ war zu lesen und zu hören.

Dabei wollen beide Gruppen mit ihren Aktionen lediglich auf die Dringlichkeit aufmerksam machen, den Kampf gegen die Klimakrise entschlossen anzugehen und ihren Forderungen Gehör verschaffen. Der zivile Ungehorsam sorgt dafür, dass es auch Menschen in ihrem Alltag mitbekommen – direkt auf der Straße. 

Gerade im Straßenverkehr zeigt sich allerdings, wie kurz die Zündschnur bei einigen Menschen geworden ist. Das trifft nicht nur Klimaaktivistinnen und -aktivisten, sondern auch Radfahrende, die offenbar ebenfalls – zumindest in Deutschland – als „grünes“ Feindbild stilisiert werden. Der Straßenverkehr ist gemeinhin ein Spiegel für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung – und da geht es gefühlt immer rauer zu.

Stress, Termindruck, wenig Geduld und Egozentrik dominieren weite Teile des Alltags. Eine Blockade der Straßen bringt das Fass dann schnell zum Überlaufen, denn viele fühlen sich dann zusätzlich in ihrer Freiheit eingeschränkt und eventuell auch noch bevormundet, wenn ihnen der Spiegel vorgehalten wird.

Die Häufung an Krisen und Kriegen, die Pandemie und auch die Inflation kommen obendrauf. Frust, Anspannung und Hilflosigkeit steigen dabei bei dem ein oder anderen an. Ein Ort, wo diese Spannung sich entladen kann, ist dann die blockierte Kreuzung. Mit den bekannten Folgen. 

Nein, man muss diese Protestform nicht gut finden, die Reaktionen darauf aber auch nicht. Die Wut auf die Aktivistinnen und Aktivisten ist vermutlich auch deshalb so groß, weil die Blockaden zwar die gewünschte Aufmerksamkeit erregen, aber im Grunde die Falschen treffen. Der Lkw-Fahrer kann nicht die große Politik verändern.  

Auch deshalb schwenkt die „Letzte Generation“ in Deutschland wohl gerade um. Ziel muss es sein, diejenigen zu treffen, die Entscheidungskompetenzen haben. Und so schreibt die Gruppe, man wolle „die Verantwortlichen für die Klimazerstörung in Zukunft verstärkt direkt konfrontieren“ und sie „öffentlich und vor laufenden Kameras zur Rede stellen“. Zusätzlich sollen vermehrt die Orte aufgesucht werden, wo diese Zerstörung stattfindet. 

Das ist etwas, was die dänische Gruppierung „Nødbremsen“ neben den Straßenblockaden bereits tut – bei der Kulturnacht im Transportministerium etwa, beim Infrastrukturtag 2023 oder auch beim Melodi-Grandprix. 

Doch solidarisieren sich tatsächlich mehr Menschen mit der Bewegung, wenn die Proteste sich in Zukunft den wirtschaftlichen und politischen Entscheidern zuwenden? 

Daran sind zumindest Zweifel angebracht, denn auch Bewegungen wie „Fridays for Future“ haben zwar zunächst massive mediale Aufmerksamkeit erfahren und das Thema Klimaschutz hoch auf die politische Agenda gebracht, trotzdem hinken Dänemark und Deutschland noch immer hinterher. Ernstgemeinten Klimaschutz findet man bei vielen Parteien weiterhin nicht. Hinzu kommt ein Gewöhnungseffekt. Eine Demonstration der Bewegung erzielt heute keinen Neuigkeitsfaktor mehr. Insofern bleibt abzuwarten, wie sich die Gruppierungen weiterentwickeln und wie sie ihre Proteste künftig gestalten. 

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