Grenzlandhistorie

Neues Werk analysiert Geschichte der deutschen Minderheit in Nordschleswig

Neues Werk analysiert Geschichte der deutschen Minderheit

Neues Werk analysiert Geschichte der deutschen Minderheit

Apenrade/Aabenraa
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Der Historiker Peter Thaler hielt im Reichsarchiv Apenrade einen interessanten Vortrag zur Geschichte der deutschen Nordschleswiger, über die das neue Buch „Like Snow in the Sun?“ in englischer Sprache informiert. Foto: Volker Heesch

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50 Interessierte kamen zur Präsentation des wissenschaftlichen Buches „Like Snow in the Sun?“ durch Peter Thaler im Reichsarchiv in Apenrade. Das Autorenteam liefert Einblicke in Entwicklung des Nationalbewusstseins im heutigen Grenzland, „Solidaritätspflicht“ der Minderheit in NS-Zeit und „Beharrungswillen“ trotz ungünstiger Prognose 1918.

Auf großes Interesse ist am Donnerstagabend die Vorstellung des neuen englischsprachigen wissenschaftlichen Werkes über die Geschichte der deutschen Minderheit in Dänemark im Reichsarchiv (Rigsarkivet) in Apenrade gestoßen.

Negative Prognose

Der Herausgeber, Dr. Peter Thaler, seit 2000 Dozent an der Süddänischen Universität (SDU), gab in einem Vortrag in deutscher Sprache Einblick in den Inhalt des Buches, dessen Titel „Like Snow in the Sun?“ an die Prognose des dänischen Schleswig-Sachverständigen H. V. Clausen im Jahre 1918 anknüpft. Er prophezeite der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig, nach der damals absehbaren Neuziehung der deutsch-dänischen Grenze werde diese im dann dänischen Territorium „wie der Tau in der Sonne“ („som dug for solen“)  rasch verschwinden.

 

Auf reges Interesse stieß die Veranstaltung im Reichsarchiv in Apenrade, früher wurde es als „Landsarkiv“ bezeichnet. Auf dem Foto im Gespräch: Immo Doege, der Autor des neuen Buches über Joh. Schmidt Wodder, Peter Hopp, und Forschungsleiter Hans Schultz Hansen Foto: Volker Heesch

 

Rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer begrüßte der Forschungsleiter des Reichsarchivs in Apenrade, Prof. Hans Schultz Hansen, im Saal des Archivs. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Mitglieder der deutschen Minderheit, Autoren und Vertreter der nordschleswigschen „Geschichtsszene“, die sich während der Veranstaltung zu Wort meldeten oder intensiv untereinander über das neue Buch diskutierten.

Einflüsse früherer Jahrhunderte

Peter Thaler, der sich während seines Studiums an der Universität Wien auf die Erforschung nationaler, ethnischer und religiöser Identitäten spezialisiert hat, lieferte in einem Vortrag in deutscher Sprache einen interessanten Einblick in das 231 Seiten starke Buch, für das neben Thaler acht weitere Autorinnen und Autoren Beiträge beigesteuert haben.

Thaler erwähnte eingangs, dass die deutschen Nordschleswiger wie viele weitere deutsche Minderheiten in Europa, die bis zur Niederlage des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland 1945 im Einflussbereich des Deutschen Reiches gestanden hatten, eine existenzielle Krise erlebten, aber nicht wie viele andere deutsche Minderheiten aus ihrer Heimatregion vertrieben wurden. Der Historiker erläuterte, dass die sich im 19. Jahrhundert herausgebildete Konstellation nationaler Gesinnungen im Bereich Schleswig sich teilweise aus der Geschichte der Region seit dem Mittelalter erklären lasse.

Nationale Aufsplitterung

Zu beiden Seiten der historischen Reichsgrenze, die zwischen Schleswig und Holstein verlief, entwickelten sich Interessenssphären des dänischen Königs und des schleswig-holsteinischen Adels. Neben der sprachlichen Dreiteilung des Herzogtums Schleswig mit Dänisch, Plattdeutsch und Friesisch wirkte sich bei der Bildung nationaler Identitäten im Herzogtum die soziale Schichtung aus. „Mit einem deutschen Überbau, deutscher Zentralverwaltung und deutsch geprägten Städten“ habe sich im dänischen Gesamtstaat eine Basis für ein besonderes Regionalbewusstsein und eine nationale Aufsplitterung gebildet. Es habe sich eine Linie vom Schleswiger Nationalbewusstsein zu den im 19. Jahrhundert als Heimdeutsche titulierten deutschen Nordschleswigern gebildet.

Keine Überlappung von Sprache  und Nationalidentität

Peter Thaler wies darauf hin, dass es in Schleswig wie in anderen Grenzgebieten in Europa keineswegs eine Überlappung des nationalen Zugehörigkeitsgefühls der Bevölkerungsgruppen mit deren Sprachidentität gegeben habe. Das  nationale dänische Lager habe jedoch seit dem 19. Jahrhundert immer die Position vertreten, dass dort, wo es dänische Sprache gab oder gegeben hatte, ein dänischer territorialer Anspruch bestehe. Angesichts der deutschen Forderung nach einer Abspaltung der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein aus dem dänischen Gesamtstaat erwies sich nach dem Ende des Ersten Schleswigschen Krieges 1851 die natioanle Aufsplitterung als unumkehrbar. Thaler erklärte, dass nach dem Beginn der preußischen Herrschaft nach dem Zweiten Schleswigschen Krieg 1864 der deutsch-dänische Gegensatz bis zum Ersten Weltkrieg im Bereich des heutigen Nordschleswig immer mehr vom Konflikt zwischen der dortigen dänischen Mehrheitsbevölkerung mit den  staatlichen Strukturen und Institutionen des Kaiserreiches geprägt wurde.

Neue Staatsgrenze 1920

„Die neue Staatsgrenze nach den zwei Volksabstimmungen in Schleswig 1920 entsprach weitgehend den Grenzen der Abstimmungszonen“, so Thaler, der zuvor die unterschiedlichen Abstimmungsmodalitäten in den zwei Plebiszit-Zonen als Konfliktstoff in den Folgejahren erwähnte.

Es gab nach 1920 auch eine Abwanderung deutscher Bewohner vor allem aus den Städten, während sich die heimdeutsche Bevölkerung im ländlichen Raum sammelte.

Peter Thaler

 

„Es gab nach 1920 auch eine Abwanderung deutscher Bewohner vor allem aus den Städten, während sich die heimdeutsche Bevölkerung im ländlichen Raum sammelte“, so Thaler. Die NS-Machtübernahme habe neue Spannungen in der Grenzfrage geschaffen.

 

Während der Veranstaltung gab es viele Gespräche. Auf dem Foto Dozent Peter Thaler (l.) und Professor Steen Bo Frandsen. Foto: Volker Heesch

 

Doch habe es für die deutsche Minderheit als Vorposten des deutschen Staates eine Solidaritätspflicht gegeben.

Grenze blieb 1940 unangetastet

Die Grenze wurde nicht angetastet, um nach der Besetzung Dänemarks durch deutsche Truppen 1940 den Schein einer Friedensbesetzung zu wahren. Es gab dänische Zugeständnisse gegenüber der Minderheit, den Kriegseinsatz vieler Minderheitsangehöriger und deren Dienst im Selbstschutz ab 1943. Besonders die Meldung zum Selbstschutz quittierten dänische Bürger mit Hass als Reaktion. „Ab 1943 nahm nicht nur der dänische Widerstand gegen die deutsche Besetzung zu,  in der Minderheit formierte sich mit dem Haderslebener Kreis eine Gruppe, die die Weichen für eine Zukunft der deutschen Nordschleswiger nach dem Ende der Naziherrschaft  stellen wollte“, so der Historiker. Er ging auf die Forderungen nach Ausweisung der deutschen Nordschleswiger aus Dänemark 1945 ein, die Beschlagnahme von Minderheiteneinrichtungen einschließlich vieler Schulen und die juristische Aufarbeitung der Zusammenarbeit der Minderheit mit der deutschen Besatzungsmacht.

Lange Nachwirkungen

„Das hatte lange Nachwirkungen. Aber es gab keine Vorgänge wie gegenüber deutschen Minderheiten in Osteuropa. In Dänemark gab es stets Mahnungen zur Mäßigung und Rechtsstaatlichkeit gegenüber der Minderheit“, so Thaler. Er erläuterte, dass die Vorgänge nach 1945 den „Beharrungswillen der Minderheit“ gestärkt, deren Angehörige zusammengeschweißt habe. Es habe lange eine starke Abgrenzung zwischen Mehrheit und Minderheit gegeben. Bei der Gewährung von Minderheitenrechten für die deutschen Nordschleswiger war in den Nachkriegsjahren die stark angewachsene dänische Minderheit in Südschleswig von großer Bedeutung. Es entstand ein Prinzip der Gegenseitigkeit in der Minderheitenpolitik zugleich mit dem Wunsch nach einer Normalisierung zwischen Dänemark und Deutschland.

Verschwinden aus der Öffentlichkeit

„Die deutsche Minderheit verschwand weitgehend aus der Öffentlichkeit, es gab eine Privatisierung der Minderheit“, beschrieb Thaler die Entwicklung in den 1950er Jahren. Diese sei aber von neuen Entwicklungen abgelöst worden, die Thaler als „nationale Indifferenz“ der  jüngeren Generationen der Minderheit bezeichnet, die sich in vielem nicht mehr von der nordschleswigschen dänischen Mehrheitsbevölkerung unterscheide. „Es ist eine Willensentscheidung, ob man sich zur Minderheit zählt“, so der Historiker und erinnerte daran, dass sich südlich der Grenze viele Menschen der dänischen Minderheit zuwandten, weil sie „nicht mehr Deutsche sein wollten“.

Thaler nannte als einen wichtigen Aspekt der relativ großzügigen Minderheitenförderung im deutsch-dänischen Grenzland, dass es sich um verhältnismäßig kleine Minderheiten handele. „Die deutsche Minderheit ist offiziell nach wie vor wenig sichtbar“, meinte der aus Österreich stammende Wissenschaftler, wohl auch in Anspielung auf nach wie vor fehlende deutsche Ortstafeln in Nordschleswig. Hinweise auf eine Minderheit, die in vielen Gebieten Europas zum Alltag gehörten.

Dank vom Kommunikationschef

Hans Schultz Hansen erläuterte nach dem Vortrag Thalers die einzelnen Kapitel im Buch, zu dem er selbst das Kapitel über die historischen Vorgänge von 1840  bis 1914 beigesteuert hat. Er stellte kurz die anwesenden Autoren vor, die Historiker Henrik Becker Christensen, er behandelt die Minderheit zwischen 1920 und 1939, Frank Lubowitz, er liefert den Beitrag über die Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg, und Jørgen Kühl, der einen Beitrag über die deutsche „Community“ in Dänemark als „Minority in Transition“ verfasst hat. Das Kapitel über die deutsche Minderheit während des Zweiten Weltkriegs und die juristische Aufarbeitung ihrer Aktivitäten hat Anika Seemann vom Max Planck Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München geschrieben.

 

Harro Hallmann vertrat den Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) bei der Buchpräsentaion. Foto: Volker Heesch

 

Der Kommunikationschef des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN), Harro Hallmann, würdigte das neue Geschichtsbuch und ging auf das heute große Interesse an der Geschichte der Minderheit ein, die aktuell intensiv an der kritischen Aufarbeitung ihrer Vergangenheit arbeite. Das werde sichtbar im heutigen Konzept des Deutschen Museums Nordschleswig in Sonderburg, der Gestaltung des Knivsbergs zum historischen Lernort oder das Forschungstipendium für Jon Thulstrup.

Wunsch nach deutscher und dänischer Version des Buches

Immo Doege, früherer Leiter der Historischen Forschungsstelle der deutschen Minderheit,  sprach wie weitere Diskussionsteilnehmer den Wunsch aus, dass das Geschichtswerk auch in dänischer und deutscher Sprache der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Thaler äußerte Verständnis für die Wünsche, unterstrich aber die Zielsetzung, dass mit der englischsprachigen Publikation die Kenntnisse über die Minderheit im Grenzland in die weite, wissenschaftliche Welt hinausgetragen, aber auch in der Politik in entfernteren Ländern verbreitet werden sollte. Das neue Buch „Lik Snow in the Sun?“ ist als Taschenbuch und E-Book im Verlag De Gruiter Oldenbourg  zum Preis von 102,95 Euro erschienen. Es kann beim Verlag oder im Buchhandel erworben werden. 

 

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