THEMA DER WOCHE: KÖNIGINBESUCH

Die Minderheit und das Königshaus – Teil 1

Die Minderheit und das Königshaus – Teil 1

Die Minderheit und das Königshaus – Teil 1

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Johannes Schmidt-Wodder Foto: Archiv

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Hier soll versucht werden, eine Erklärung dafür zu finden, wann die Wurzeln zur Loyalität gelegt wurden und warum sie selbst in schwersten Zeiten der nationalen Auseinandersetzung nie abgestorben sind, warum Könige und Königin seit 100 Jahren eine feste Konstante für die deutsche Minderheit geworden sind, die immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.

Könige und Königin in 101 Jahren Minderheit

König Christian X. (Christian d. Tiende)

  • Regierte vom 14. Mai 1912 bis zum 20. April 1947, insgesamt 34 Jahre und 341 Tage
  • Gebürtig Prinz Christian Carl Frederik Albert Alexander Vilhelm von Dänemark und Island – aus dem Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg
  • War vom 14. Mai 1912 bis zum 20. April 1947 König von Dänemark sowie als Kristián X von 1918 bis 1944 König von Island
  • Geboren: 26. September 1870, Charlottenlund, verstorben: 20. April 1947, Kopenhagen
  • Ehepartnerin: Alexandrine zu Mecklenburg (verh. 1898–1947)

König Frederik IX. (Frederik den Niende)

  • Regierte vom 20. April 1947-14. Januar 1972, insgesamt 24 Jahre und 269 Tage) 
  • Geboren: 11. März 1899, Schloss Sorgenfri, Lyngby, verstorben: 14. Januar 1972, Kopenhagen
  • Ehepartner: Ingrid von Schweden (verh. 1935–1972)
  • Eltern: Christian X.
  • Kinder: Margrethe II., Anne-Marie von Dänemark, Benedikte zu Dänemark

Königin Margrethe II. von Dänemark

  • Margrethe Alexandrine Þórhildur Ingrid – ist seit dem 14. Januar 1972 regierende Königin und damit Staatsoberhaupt Dänemarks, der Färöer und Grönlands. Sie stammt aus dem Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, einer Nebenlinie des Hauses Oldenburg.
  • Geboren: 16. April 1940 (Alter 81 Jahre), Schloss Amalienborg, Kopenhagen
  • Ehepartner: Margrethe heiratete am 10. Juni 1967 den französischen Diplomaten Graf Henri de Laborde de Monpezat; Prinz Henrik von Dänemark verstarb im Februar 2018
  • Kinder: Kronprinz Frederik und Prinz Joachim

Am 22. November 1945 beschloss ein Kreis deutsch-nordschleswigscher Männer im Hinterzimmer der früheren Bücherei in Apenrade die Gründungserklärung des Bundes deutscher Nordschleswiger. Im ersten Paragraphen heisst es: „Als deutsche Nordschleswiger bekennen wir uns zu unbedingter Loyalität dem dänischen König, dem dänischen Staat und der jetzigen Grenze gegenüber und erstreben einen ehrlichen Frieden in unserer Heimat.“

„Genforening“ für die Dänen, „Abtretung“ für die Deutschen 

Dass der König in dieser Zielsetzung für Überleben und Zukunft der Minderheit an vorderster Stelle stand, war, wie aus den Berichten der Beteiligten hervorgeht, gar kein Diskussionsthema.

Der Sprung vom Kaiserreich ins Königreich war offiziell vollzogen worden durch den Ritt von König Christian X. auf dem weißen Schimmel am 10. Juli 1920 über die alte Grenze bei Christiansfeld, nun gehörten auch die „ungeliebten“ Deutschen in Nordschleswig zu den Untertanen seiner Majestät.

Für die Dänen war es „Genforening“, die historische „Wiedervereinigung“ mit Sønderjylland, für die Deutschen in Nordschleswig  war es hingegen ein bitterer Augenblick nach der Teilung Schleswigs als Folge der beiden Volksabstimmungen im Zuge des auf deutscher Seite so verhassten und als ungerecht aufgefassten Versailler Vertrages.

Abtrennung, Abtretung, Losreißung, Vergewaltigung waren einige der Begriffe, die den für die Deutschen so schmerzlichen Neubeginn im dänischen Staat charakterisierten.

Unser König, unsere Königin! 

Hier soll versucht werden, eine Erklärung dafür zu finden, wann die Wurzeln zur Loyalität gelegt wurden und warum sie selbst in schwersten Zeiten der nationalen Auseinandersetzung nie abgestorben sind, warum Könige und Königin seit 100 Jahren eine feste Konstante für die deutsche Minderheit geworden sind, die immer mehr an Bedeutung gewonnen hat – bis zur Erkenntnis: 

Unser König, unsere Königin! 

Ikonenhafter Augenblick

Ikonenhaft ist für die Dänen der Augenblick, als König Christian X. auf dem weißen Schimmel bei Frederikshøj die Grenze überschritt und wenig später umjubelt von seinen dänischen Landsleuten plötzlich ein kleines Mädchen, das ihm Rosen entgegenstreckt hatte, mithilfe der Mutter auf sein Pferd hob, es auf die Stirn küsste – an anderer Stelle ist vom Mund die Rede! – und es auf dem Sattelknopf sitzend mit ins alte, neue Land trug. Das Bild hatte – wie der königliche Historiograf Knud V. Jespersen in seinem Buch „Rytterkongen“ schreibt – „eine ungeheure Symbolkraft“, es handelte sich um die Verwirklichung eines Traums der Dänen nach 56 Jahren unter preußisch-deutscher Herrschaft seit 1864 und die „Größe dieses Augenblicks war dem Gesicht des tief bewegten Monarchen deutlich anzusehen“. 

Es war auch Teil seiner eigenen schleswigschen Familiengeschichte, und Christian X. wies mehrfach darauf hin, dass er nun erlebte, was seinem „geliebten“ Großvater und Vater nicht vergönnt gewesen war. 

Schimmel bewusst gewählt

Dass der König auf einem weißen Pferd über die Grenze reiten sollte, war alles andere als ein Zufall. 

Der Schimmel („Malgré tout“) war vom Grafen Knud Danneskiold-Samsøe, Visborggård, bei Hadsund 1914 in Paris gekauft worden, und sollte auch farblich mit der Prognose übereinstimmen, die die in Apenrade lebende Wahrsagerin „Jomfru Fanny“ (1805 bis1881) kurz vor ihrem Tode prophezeit hatte. Schon im Herbst 1919 hatten die Königlichen Reitställe deshalb mit der Auswahl des richtigen Pferdes begonnen. 

Spontane Handlung mit national-emotionalem Nebeneffekt

Reiner Zufall war, dass der König ein kleines Mädchen auf sein Pferd hob, was jedoch einen anderen wichtigen national-emotionalen Nebeneffekt auslöste. Der Dichter Henrik Pontoppidan hatte 1918 ein Gedicht mit dem Titel „Sønderjylland“ verfasst, das mit folgenden Worten  eingeleitet wurde:

„Det lyder som et Eventyr, et Sagn fra gamle Dage:
en røvet Datter, dybt begrædt, er kommen frelst tilbage!“ 

Das Gedicht war auf dänischer Seite bereits bei der Volksabstimmung in Nordschleswig wirkungsvoll als Plakat eingesetzt worden, und das Bild mit König-Kind entsprach genau den nationalromantischen Vorstellungen der Dänen, dass die „geraubte Tochter“ – also Sønderjylland – in die Arme ihrer Mutter – also Dänemark – zurückgekehrt sei. 

Es war ausgerechnet die Adoptivtochter des deutschen Pastors Jürgen Braren und seiner Frau Elizabeth Braren aus Aastrup bei Hadersleben, eines deutschen Pastors, der später noch eine wichtige Rolle in der deutschen Minderheit spielte. Und der König zeigte menschliche Größe:  Christian X. vergaß nie seine kleine Johanne!

Der schwierige Start der deutschen Volksgruppe

Mit der staatlichen Einbeziehung in den dänischen Staat seit dem 15. Juni 1920 mussten sich die Deutschen in Nordschleswig, die bisher ihre kaiserliche Treue unter Beweis gestellt hatten –  auf ein Leben im Königreich Dänemark einstellen. Es gab zwar frühere deutsche Organisationen und auch namhafte Persönlichkeiten im schleswigschen Deutschtum, aber nun mussten sich die Deutschen nördlich der Grenze neu sammeln – als deutsche Volksgruppe in Nordschleswig. Wer sollte die Interessen der Deutschen in Nordschleswig nach außen hin vertreten und definieren? 

Pastor Johannes Schmidt-Wodder wurde zwar erst am 15. August 1920 zum Vorsitzenden des Schleswigschen Wählervereins gewählt, aber nach einer Diskussion mit dem großen Dänen-Führer H. P. Hanssen in Rapstedt am 8. Februar 1920, also zwei Tage vor der Volksabstimmung, schrieb „Vestslesvigs Tidende“  am 11. Februar: „Pastor Schmidt optraadte ,som de tyske Nordslesvigeres fremtidige Fører' – uden at afvente, om de vil lade sig føre eller forføre af ham”.

Foto: Archiv

Pastor Schmidt war also nach Ansicht des dänischen Blattes wie ein Führer der Deutschen in Nordschleswig aufgetreten, doch nun stelle sich die Frage, ob diese sich führen oder verführen lassen. 

Dass Wodder sich selbsternannt zum Sprecher der Deutschen machen konnte, hatte zwei entscheidende Gründe: Erstens wurde ihm von dänischer Seite wegen seiner liberalen Haltung in der preußischen Köllerpolitik Hochachtung gezollt, zweitens war er Hauptschriftleiter der „Neuen Tondernschen Zeitung“. Auf deutscher Seite hatte er sich in der vordersten Reihe platziert, 1909 den „Verein für deutsche Friedensarbeit in der Nordmark“ gegründet und später auch dem „Deutschen Ausschuss für das Herzogtum Schleswig“ angehört.

Genforeningsfeier am 11. Juli auf Düppel

Bei der großen dänischen Genforeningsfeier am 11. Juli auf Düppel hatte Staatsminister Niels Neergaard (Venstre) bemerkenswert die künftige Linie von König und Staat gegenüber den Deutschen in Nordschleswig in eine klare Absichtserklärung gekleidet, als er unter anderem sagte:

„Aber wir haben auch eine andere Ehrenpflicht. Wir forderten das Recht in den Tagen der Bedrängnis – das gleiche Recht wollen wir denen geben, die gegen ihren Willen mit zu Dänemark gekommen sind.“

Die Presse notierte: „Starke Hört-Rufe!“

Am 12. Juli – sicher auch in Kenntnis der Staatsminister-Worte auf Düppel – richtete Pastor Schmidt-Wodder in der „Neuen Tondernschen Zeitung“ einen Willkommensgruß  „An Se. Majestät den König von Dänemark“ unter der Überschrift „Ein Manneswort“:  

Der König habe den Jubel der deutschen Bevölkerung erlebt, „Eure Majestät haben nicht gesehen, wie schwer dieser Tag all den Deutschen wird, die durch die gleiche Entscheidung von ihrem Mutterland getrennt, in der Lebensgemeinschaft mit ihrem Volk gestört sind, und ihren Staat und ihr Volk so lieb hatten wie nur je ein Däne das seine. Wir vertrauen darauf, dass ein König seine neuen Untertanen höher schätzt als einen falschen Schein oder schwächlichen Gesinnungswechsel. Wir hoffen auf den Tag, wo wir neu entscheiden werden über unser staatliches Geschick, frei von dem Zwang der Enbloc-Abstimmung und frei von dem Zwang des Friedensvertrages.“

1920: Hoffnung auf neue Entscheidung

Die Hoffnung auf das Ziel einer neuen Entscheidung war damit öffentlich geäußert – noch vor dem Besuch des Monarchen in den deutschen Hochburgen Tondern und Hoyer. Bereits wenige Stunden nach seinem Ritt bei einem Empfang der Haderslebener Stadtratsvertreter in der „Harmonie“ sagte der deutsche Abgeordnete, Baumeister Jürgen Jürgensen, Ringgade 40 in Hadersleben, „namens der deutschen Gruppe“, er könne die Freude der Dänen nicht teilen, versicherte aber zugleich, „dass sie loyale Bürger sein wollten und bat den König um Verständnis“. 

Christian X. antwortete: „Ja, darauf können Sie sich verlassen. Wenn Sie sich innerhalb des Rahmens halten, den das Gesetz vorschreibt, soll es niemals an Verständnis und Unterstützung von meiner Seite fehlen.“ 

König stürzt vom Pferd: Ein böses Omen ... 

Als „ein böses Omen“ wurde – laut „Neue Tondernsche Zeitung“ – ein Unfall gedeutet, der dem Dänenkönig am 10. Juli 1920 nach dem Ritt über die Grenze zustieß:

„Als der König vor den Toren von Hadersleben ein neues Pferd besteigen wollte, um in die Stadt zu reiten, warf es ihn sofort ab und versetzte ihm dabei einen Hufschlag gegen das Bein. Dann lief es zurück, und der König sah sich genötigt, ein anderes Pferd zu besteigen.

Der Hufschlag war so folgenschwer, dass der König gestern die Fahrt nach Tondern im Automobil zurücklegen musste, wo die Folgen der Verletzung sich noch am humpelnden Gang des Monarchen erkennbar machten. 

Abergläubische Gemüter wollen das als eine schlimme Vorbedeutung auslegen. Dass ein solch unliebsamer Zwischenfall für Dänemark und Nordschleswig gerade glückverheißend sein könnte, sollte man allerdings kaum glauben. 

Die Zeit wird's ja lehren“, schließt die „NTZ“ ihren Bericht. 

Der König wurde zunehmend von Schmerzen geplagt, sodass er sein Programm ändern musste. Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen musste er das Bett hüten, um eine schnelle Heilung seines Knieschadens herbeizuführen. 

Der Körper des Monarchen hatte schwerere Verletzungen erlitten als man ursprünglich glaubte, und die anstrengende achttägige Reise durch Nordschleswig hatte seinen Zustand noch verschlimmert. Im linken Knie ist eine starke Blutaufstauung  entstanden, wodurch eine völlige Steifheit des Knies verursacht worden ist. Die Ärzte rechnen mit drei Wochen bis zu einer völligen Besserung. Reittouren wird der Reiter-König aber vorläufig nicht unternehmen können, verlautete in der Kopenhagener Presse.

Unter den Deutschen in Nordschleswig herrschte nach dem 10. Februar tiefe Enttäuschung, die Stimmung war gereizt, ja wohl noch gefährlicher, wie zwischen den Zeilen eines Leserbriefes in der „Neuen Tondernschen Zeitung“ zu befürchten war. Die „NTZ“ betonte: „Wir glauben, es der Öffentlichkeit schuldig zu sein, diese Zuschrift hier wiederzugeben“ und darin stand, „es sei vielleicht eine Inschutznahme der Person des Königs selber ratsam“.

Warnung vor königlichem Besuch

„Wenn das dänische Volk seinen König lieb hat, dann wäre es doch ratsamer, ihn zu Hause zu halten, als auf eine so gefahrvolle Reise zu senden. Die eingeborene nordschleswigsche Bevölkerung selbst ist harmlos, ruhig und friedliebend und keiner Seele würde es einfallen, gehässige Gedanken irgendwie durch Tätlichkeiten zum Ausdruck zu bringen; ob es trotzdem ratsam ist, so unmittelbar nach der Abtretung den König in die nordschleswigschen Städte, deren Bevölkerung bei der Abstimmung ihren Widerwillen gegen das Dänentum durch die überwiegende Zahl deutscher Stimmen zum Ausdruck gebracht hat, zu senden, ist eine wohl zu erwägende Frage. 

Es wäre schon der Gedanke, dass all der Jubel des dänischen Volkes, der wohl begreiflich ist, jäh in tiefste Trauer verwandelt werden könnte, ja, gar nicht auszudenken, so tief würde auch das Herz eines jeden ehrlichen Deutschen dadurch erschüttert werden. (...) Es wäre daher im Interesse der Allgemeinheit doch wohl richtiger, dass König Christian noch in letzter Stunde von einem Besuch der überwiegend deutschen Städte Nordschleswigs absähe und seinen Regierungsakt etwa auf den Schimmelritt über die Grenze beschränken würde. 

Es wäre jedenfalls sehr zu empfehlen, dass die jubilierenden Dänen ihre Freude niederdämpfen als unbesonnener Weise unabsehbares Unheil heraufzubeschwören.  

Die vielen ungerechten Deutschen-Ausweisungen tragen jedenfalls nur dazu bei, den angehäuften Zündstoff in bedenklicher Weise zu vermehren.“

Warnung vor Übergriffen

Schmidt-Wodder reagierte prompt gegen die verklausulierte Drohung und warnte in einem Artikel unter der Überschrift „Zum dänischen Königsbesuch“ in der „NTZ“  ausdrücklich vor Übergriffen.

„Was wir Deutschen dem dänischen Staat zum Vorwurf machen, was uns gegen unser Nachbarvolk erregt, das zu sagen, haben wir oft Gelegenheit genommen. Wir sagten auch, dass wir an der Freude über des dänischen Königs Besuch nicht Teil hätten. Dass es aber einem Deutschen hier in den Sinn kommen könnte, seinen Groll am dänischen König auszulassen, wie im gestrigen Eingesandt für möglich gehalten, scheint mir so absurd, dass ich bedauere, dass diese Möglichkeit hier überhaupt erörtert wurde, wenn auch in der Form einer Warnung an die Deutschen. Ich verurteile auch jede persönliche Kränkung des Königs in Wort und oder durch Tat als des Deutschen unwürdig und unserer Sache nur schadend“, so Schmidt und fügte abschließend hinzu: „Der König ist in Dänemark der Repräsentant von Volk und Staat, aber der König stellt sich nicht persönlich in den Streit der öffentlichen Meinung. Wir wollen seine Person nicht unsererseits hineinzerren. Wir gönnen ihm die Liebe seines Volkes, die unsere kann er nicht haben und nicht erwarten.“ 

Stellungnahme zum Flaggenstreit

Schmidt-Wodder hatte schon am Sonnabend, dem 10. Juli versucht, die Gemüter zu beruhigen, als er auf der Titelseite der „NTZ“ zum Flaggenstreit beim Königsbesuch Stellung nahm. 

„Von amtlicher dänischer Seite ist mir mitgeteilt worden, dass in Dänemark seit 1854 ein generelles Verbot bestehe, mit anderen als dänischen Nationalfahnen zu flaggen. Es sei die Absicht, dies Verbot in Nordschleswig bei Privatfeiern und Volksfeiern nicht in Anwendung zu bringen. Es müsse aber erwartet werden, dass bei einer dänischen Nationalfeier wie am Montag beim Empfang des Königs nicht mit deutscher Flagge geflaggt werde. Andererseits bedauere man und habe nichts damit gemein, wenn dänischerseits deutsche Leute aufgefordert würden, mit Dannebrogs zu flaggen“, so lautete die Mitteilung von Schmidt-Wodder – offenbar in enger Abstimmung mit den dänischen Behörden.  

Der Hintergrund seiner zur Vorsicht mahnenden Stellungnahme war ein Artikel in der Kopenhagener Zeitung „Nationaltidende“ vom 9. Juli unter der Überschrift „Pastor Schmidt auf dem Kriegspfade“, in dem ihm behauptet wurde, Schmidt habe in der „Neuen Tondernschen Zeitung“ die „Deutschen aufgefordert, mit schleswig-holsteinischen Fahnen zu flaggen“ und außerdem habe das Blatt mit „Übergriffen gegen den König gedroht“.

Das dementierte Schmidt-Wodder energisch, und zur angeblichen Drohung stellte er am 15. Juli unter der Überschrift „Dänische Unehrlichkeit der Berichterstattung“ fest: 

„Drohung – Sie hat nie im Blatte gestanden, höchstens eine Warnung, dass die Stimmung bei den Deutschen sehr gereizt sei und Ausschreitungen befürchtet werden konnten. Ich habe dann auf das Bestimmteste versichert, dass derartiges undenkbar sei und dass der dänische König sicher sein dürfe, von uns Deutschen nicht gekränkt zu werden, und so ist es auch  eingetroffen.“ 

Königlicher Besuch verlief ohne Zwischenfälle

In der Tat verliefen die königlichen Besuche in den nordschleswigschen Städten ohne Zwischenfälle. Tonderns deutscher Bürgermeister Peter Olufsen hatte das Königspaar und die beiden Prinzen auf dem Marktplatz in dänischer Sprache begrüßt und sich national-neutral verhalten, doch als der dänische Bankdirektor Rossen später vor dem Amtshaus in einer Ansprache „das dänische Bollwerk“ hervorhob, da antwortete der König laut NTZ:

„Man hat zwar hier hart mit den Dänen verfahren, doch es gibt ein altes Wort, das sagt: Du sollst nicht Böses mit Bösem vergelten. Es entspricht natürlich dem dänischen Volkscharakter, dieses Wort zu befolgen. Ich glaube, es gilt jetzt, an ernste und ernstere Dinge zu denken, als an frühere Angelegenheiten zu erinnern. Ich bitte, allen Hass zu vergessen und stattdessen an die Zukunft und gedeihliche Arbeit zu denken.“

„NTZ“ konnte sich folgende Bemerkung nicht verkneifen:  „Hoffentlich wird dieser königliche Wasserstrahl seine wohltuende Wirkung nicht verfehlen.“ 

In Hoyer empfing Bürgermeister J. Johannsen die Königlichen mit einer Ansprache in deutscher Sprache, die an Deutlichkeit nichts vermissen ließ: 

„Ihre Majestäten kennen das Abstimmungsergebnis und wissen welcher Gesinnung diese Stadt ist, die Sie heute als Gäste besuchen. Wir versprechen als loyale Bürger, Ihren Majestäten und der Regierung Ihrer Majestät als Untertanen zu dienen.“ 

Der König erhob sich von seinem Sitz im royalen Automobil und antwortete in dänischer Sprache „mit wohldurchdachten Worten“, wie „Vestslesvigs Tidende“ unterstrich. 

„Ich verstehe vollauf, dass man nicht die Gesinnung innerhalb weniger Tage wechseln kann, und ich respektiere Ihre Gefühle, aber ich verspreche Ihnen: wenn Sie sich innerhalb des Rahmens der Gesetze dieses Landes halten, dann werden sie gleichberechtigt mit allen uns anderen betrachtet.“  (“betragtet fuldt ud som ens med os andre“)

Die „Sonderburger Zeitung“ schrieb am 16. Juli 1920, „Gedanken nach dem Königsbesuch“:

„Wir Deutschen Sonderburgs bestätigen laut die Worte von Zimmermeister Jürgensen in Hadersleben beim Empfang des Königs. Wir danken dem König für die vom rechtlichen Empfinden zeugende Antwort und hoffen, dass man ihm die Erfüllung seines Königswortes  nicht unmöglich machen wird. Bei gerechter Behandlung werden wir dänisches Gesetz und Recht in Ehren halten.“

Schmidt-Wodder: Keine Heuchelei

Eine politische Bewertung des Besuchs nahm Schmidt-Wodder am 16. Juli in der „NTZ unter der Überschrift „Das deutsche Hoyer vor“.

„Der Königsbesuch in Hoyer verlief ohne besonderes Festgepräge. Hoyer als deutscher Ort ist ja nicht in der Herzensstimmung, dass es Freude heucheln möchte, aber darin hat der Tag in Hoyer eben seinen besonderen Wert, dass hier die Dinge und Menschen sich präsentiert, wie sie waren.
Hoyer war deutscher und echter als Tondern, und es war auch ein den König ehrender Zug, dass er diese Ehrlichkeit Hoyers zu schätzen wusste. 

Der Bürgermeister begrüßte den König in deutscher Sprache, so wie Jürgensen in Hadersleben.
Beiden Männern wollen wir diese Geradlinigkeit danken, aber in Hoyer wiegt sie doppelt, weil es die offizielle Begrüßung durch den Ort war.

Würdig war der Hinweis auf das Abstimmungsresultat, würdig das schlichte Bekenntnis, dass man loyal sein würde. 

Offen und freundlich kam dann die Antwort aus Königsmund, dass es ihn freue, ehrliche Menschen zu treffen.

Man könne nicht heute zu dem einen, morgen zu einem anderen stehen.

In diesen Worten liegt der menschliche Wert dieser Begegnung“, schloss Wodder, der am 21.  September 1920 als erster deutscher Vertreter ins Folketing gewählt wurde und in seiner Jungfernrede mit den Worten schloss: „Achtung vor dem deutschen Volk, kulturelle Freiheit und eine Zukunft, die eine Revision bringen möge, sind meine Wünsche.“ 

Wiederholte Besuche in Nordschleswig

Dass Wodder trotz Wunsch und Forderung nach einer neuen Entscheidung auf dänischer Seite zur feinen Gesellschaft gehörte, zeigt die Tatsache, dass er wenige Tage nach seiner Wahl vom Grafen O. D. Schack zu einem „Frokost“ auf Schloss Schackenborg eingeladen wurde – mit König Christian X., der schon wenige Monate nach seinem historischen Ritt, im September 1920, wieder Nordschleswig besuchte und dabei auf eigenen Wunsch auch die „kleine Johanne“ bei Pastor Braren in Aastrup traf. 

Der König besuchte in den kommenden Jahren immer wieder Nordschleswig, um auch seine menschliche Verbundenheit mit der Bevölkerung zu beweisen; kaum ein Ort im Landesteil, den er nicht aufgesucht hat.

König an deutsche Schüler: Augen links! 

Der dänische Redakteur H. C. Clausen berichtete im Mai 1922:

„König Christian besuchte während seiner regelmäßigen Nordschleswig-Besuche auch die deutschen  Schulen, die ja damals kommunale Schulen waren. 

Als er die deutsche Schule in Tondern an der Richtsenstrasse besuchte, warf er auch einen Blick in die 7. Schulklasse von Lehrer Paul Gläser. 

Die Schüler saßen alle stramm an ihrem Tisch, was dem König damit erklärt wurde, dass man ja „ordentlich“ sitzen müsse. 

Christian X., der sich übrigens in deutscher Sprache mit den Lehrern unterhielt, konnte es sich nicht verkneifen, die Schüler auf eine Probe zu stellen.

„Augen – links“, rief er den Schülern zu und prompt warfen sie alle ihre Augen nach links zum König, der sich darüber köstlich amüsierte.“

Im Mai 1922 kam es dabei zum ersten Male zu einer Begegnung mit der nun ihren Betrieb aufgenommen deutschen Minderheit – in einer deutschen Schule. Die „NTZ“ berichtete über bemerkenswerte royale Szenen in der deutschen Schule in der Richtsensstrasse. 

„Nach seinem Besuch im Seminar ging es zur Deutschen Bürgerschule: Rektor Hansen übernahm die Führung, nachdem er den König zum ersten Besuch in der deutschen Volksschule willkommen geheißen hatte.

Der König verweilte eine kurze Spanne Zeit in der untersten Klasse bei Frau Brandt, dann in Klasse 7 bei Lehrer Gläser, dann in der Aufbauklasse bei Rektor Hansen und besichtigte darauf  die neue Turnhalle. Die großen Mädchen führten hoch- und plattdeutsche Sangspiele vor, die dem König augenscheinlich gefielen.

Der dänische König besuchte die deutsche Volksschule, fand alles in lebhaftem Betrieb, guckte hier hinein und dahinein, erfreute durch frische scherzhafte Worte an Knaben und Mädchen, fragte auch seinerseits und freute sich über schlagfertige Antworten. 

Zum Schluss sah er mit offenbarem Vergnügen allerhand Reigentänzen im Turnsaal zu, und Rektor Hansen, der Leiter der Schule dankte für den königlichen Besuch. 

Dieser Dank wurde in deutsche Worte gekleidet, und der König hatte seinerseits schon vorher Unbefangenheit genug gezeigt, um deutsch mit den Kindern zu reden. 

Das ist es, was wir unterstreichen möchten. So wahrt man deutsche Würde und so verständnisvoll stellt sich ein König dazu.“ 

Wichtige Geste auf dem Klosterfriedhof in Hadersleben

Eine wichtige Geste, die auch später noch in Erinnerung als besonders bemerkenswert hervorgehoben ist, fand am 15. Juni 1928 auf dem Klosterfriedhof in Hadersleben statt,  
also am offiziellen Wiedervereinigungstag. Die „Haderslebener Zeitung“ (HZ) berichtete: 

„Der König legte einen Strauss roter Rosen am Denkmal nieder, an dem auch durch den Denkmal-Ausschuss ein Kranz mit rot-weißer Schleife niedergelegt worden war. Das Königspaar begab sich daraufhin zu dem deutschen Gefallenen-Denkmal. 

... Nachdem das Königspaar das deutsche Denkmal, das noch vom Sonntag her mit zahlreichen Kränzen mit nationalen Schleifen geschmückt war, sich angesehen hatte, ging man zum daneben liegenden dänischen Denkmal von 1864.

Der König sollte nun am dänischen Denkmal den anderen Blumenstrauß niederlegen, forderte aber vorher ein Messer und teilte selber den Strauss in drei Teile, legte darauf am dänischen, dann am deutschen Denkmal von 1848 und zuletzt am Gefallenendenkmal von 1914-18 die Rosen nieder. Da für die deutschen Denkmäler eine Blumenniederlegung vom Ausschuss nicht geplant war, können wir über den pietätvollen Entschluss des Königs, alle Gefallenen zu ehren, nur ehrfurchtsvolle Freude und Dank aussprechen“, so die „HZ“. 

Dieser Artikel ist ein Vorabdruck aus einem für 2021 geplanten Buch über Zeitung und deutsche Minderheit.

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