Leitartikel

„Angst vor dem eigenen Schatten“

Angst vor dem eigenen Schatten

Angst vor dem eigenen Schatten

Kopenhagen/Nordschleswig
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Morten Messerschmidt hat als neuer Parteivorsitzender der Dänischen Volkspartei die eigenen Mitglieder noch nicht in den Griff bekommen, stellt aber schon Forderungen an eine mögliche neue bürgerliche Regierung. Dabei tut er ihr keinen Gefallen – und Dänemark auch nicht, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Dänemark müsse aus den Europäischen Menschenrechtskonventionen austreten. Das verlangt der neue Vorsitzende der Dänischen Volkspartei, Morten Messerschmidt, wenige Tage nach seinem Dienstantritt.

Die Forderung Messerschmidts ist nicht neu. Bereits 2017 bezeichnete er die Menschenrechtskonventionen als „Parasiten“ und als eine Gefahr für die eigene dänische Demokratie, die durch die Menschenrechte untergraben werde.

Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied im Vergleich zu den zurückliegenden Aussagen: Morten Messerschmidt ist jetzt nämlich Vorsitzender der Dänischen Volkspartei und nicht irgendein Hinterbänkler oder EU-Parlamentarier fernab der dänischen Politik. Er sitzt bei DF am Hebel – und dies will er ausnutzen, um seine Politik durchzusetzen.

Messerschmidt verlangt für seine Unterstützung einer möglichen kommenden bürgerlichen Regierung, dass Bestrebungen gemacht werden, aus den Konventionen auszusteigen.

Aus dem Lager der Konservativen und der liberalen Partei Venstre, gab es zunächst keine Reaktionen. Was sollen sie schon antworten? Messerschmidt hat gerade das Projekt „blaue Regierung“ ins Abseits geschossen, denn keine andere seriöse Partei in der dänischen Politik wird sich dafür einsetzen, Konventionen oder gar Menschenrechte zu verletzen.

Obschon die geführte Ausländerpolitik in Dänemark in einigen Fällen ziemlich grenzwertig ist. In den vergangenen Wochen hat es in den Medien mehrere Fälle gegeben, in denen gut integrierte Flüchtlinge – oder deren in Dänemark aufgewachsene Familien – vor der Ausweisung stehen. Sami, der Arbeiter von Danfoss, der in Nordschleswig sein eigenes Haus gekauft hat, ist eines von mehreren Beispielen, über das auch wir geschrieben haben.

Man stelle sich aber die internationalen Reaktionen vor, sollte Dänemark wirklich aus den Menschenrechtskonventionen aussteigen. Der Schaden wäre immens – politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich.

Das reiche Dänemark wäre der Paria Europas. Ein kleines, verwöhntes Volk, das erst an sich selbst denkt und danach Menschen in Not keinen Gedanken schenkt. Viel Spaß beim nächsten Auslandsurlaub, wenn man als Däne entlarvt wird. Das wird peinlich.

Bei der Ausländerpolitik haben die meisten anderen Parteien im Folketing in den vergangenen Jahren allerdings die Linie der Dänischen Volkspartei kopiert. Dienstag wiederholte Regierungschefin Mette Frederiksen (Sozialdemokraten) voller Überzeugung im Folketing, dass eine straffe Ausländer- und Flüchtlingspolitik nötig sei, damit in Dänemark das Gleichgewicht gewahrt werden könne.

Hat Morten Messerschmidt für seine Forderungen vielleicht doch eine Basis im Folketing?

Es wäre wahrlich ein Armutszeugnis, wenn die Dänische Volkspartei auch in dieser Hinsicht wieder den Ton angibt und die anderen Parteien hinterherlaufen. Hoffentlich haben wir nicht bald Angst vor dem eigenen Schatten, sondern zeigen mit Mut, Herz und Verstand, dass es in Dänemark auch eine andere Balance gibt, bei der Menschlichkeit, Würde, Toleranz und Respekt auf die Waagschale gelegt werden.

 

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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