Versöhnung

Özlem Cekic: „Schuld sind immer die anderen“

Özlem Cekic: „Schuld sind immer die anderen“

Özlem Cekic: „Schuld sind immer die anderen“

Gravenstein/Gråsten
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Referentin und Autorin Özlem Cekic im Gespräch mit Teilnehmerinnen im BHJ Saal Foto: Sara Eskildsen

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In dieser Woche war die ehemalige Folketingspolitikerin Özlem Cekic zu Besuch in Gravenstein. Im BHJ Saal verriet sie, wie sie Vorurteile überwinden konnte und warum sie mit Rassisten Kaffee trinkt.

Hassmails, 40 Drohanrufe pro Tag und hässliche Beleidigungen: Als Özlem Cekic 2007 als türkischstämmige junge Frau für die Sozialistische Volkspartei ins dänische Parlament gewählt wurde, erlebte sie Fremdenhass am eigenen Leib.

Kaffeetrinken mit Neonazis

In dieser Woche erzählte sie in Gravenstein, wie sie aus ihrer Opferrolle heraus eine Verfechterin des Dialogs wurde – und weshalb sie begann, mit Neonazis Kaffee zu trinken und das Gespräch zu suchen.

Auf Einladung des Deutsch-Dänischen Freundschaftsvereins für Kirchliche Zusammenarbeit war Özlem Cekic in den BHJ Saal in den Ahlmannspark nach Gravenstein gekommen, wo sie von ihrem Leben erzählte.

Sind manche Menschen eben dumm?

„Mein Sohn hat mich in dieser Zeit der Drohungen 2008 gefragt, warum mich dieser Mann so hasst, wo er mich doch gar nicht kennt. Meine einfache Antwort war: Manche Menschen sind eben dumm.“ Doch wenig später hinterfragt Özlem Cekic ihre eigene Haltung – und beginnt, die Menschen hinter den Drohungen und Beleidigungen zu kontaktieren – um mit ihnen zu sprechen.

Özlem Cekic in Gravenstein Foto: Sara Eskildsen

Ihre erste Begegnung ist mit Ingolf – einem Neonazi mit Kuckucksuhr. „Und da standen wir vor der Kuckucksuhr und ich erzählte ihm, dass auch meine Eltern so eine haben. Und ich hörte, dass Ingolf sich für den Klimaschutz einsetze – ein Rassist, der sich für den CO2-Ausstoß interessiert? Alle meine Vorurteile wurden auf den Kopf gestellt.“

Mit ihrem Dialog-Café geht Özlem Cekic neue Wege – auch in ihrer eigenen Haltung. Sie sei erst durch persönliche Freundschaften vom eigenen Judenhass und vom Dänen-Hass kuriert worden. Als sie mit 14 eine Zeit der Radikalisierung durchläuft und beginnt, Kopftuch zu tragen, wird sie von Dänen angespuckt und körperlich angegangen.

„Ich bin 14. Für mich sind alle Dänen Rassisten“

„Ich bin 14 und hasse alle Dänen. Für mich sind alle Dänen Rassisten. Mein Vater verbot mir, in die Moschee zu gehen, weil ich so radikal wurde, und ich wollte den heiligen Krieg. Doch statt den Märtyrer-Tod wählte ich ein Praktikum in Føtex. Und dort lernte ich, dass das Mädchen aus der Kleidungs-Abteilung nett war. Eine Dänin, die kein Rassist war. Ich lernte den Flaschenjungen näher kennen – der war auch kein Rassist. Und so lernte ich nach und nach Menschen kennen, die keine Rassisten waren“, beschrieb die Referentin ihre innere Reise.

Ihre Freundschaft mit dem Rabbiner Bent Belchior habe sie vom Judenhass kuriert, sagt Cekic. „Es ist doch immer so: Schuld sind immer die anderen. Die anderen müssen sich verändern. Die anderen haben ein Problem.“ Von diesen Standpunkten habe sie sich erst verabschieden müssen, so Cekic, die heute eine Verfechterin von Dialog und Gesprächen ist.

Wohin soll die Brücke gebaut werden?

„Ich habe mal einen Ingenieur gefragt: Wie baut man eigentlich eine Brücke? Wichtige Fragen sind: Von wo aus soll die Brücke gebaut werden? Also: Wer bist du? Und die Frage ist: Wohin soll die Brücke gebaut werden – und wie sind die Verhältnisse dort? Gibt es dort eine Straße? Man muss sich also im übertragenen Sinne fragen: Mit was für einem Menschen habe ich es zu tun?“

Özlem Cekic hat Bücher geschrieben, in denen sie über ihre Erlebnisse und ihren Wunsch nach Dialog erzählt. Foto: Sara Eskildsen

Man kann eine Brücke nicht einfach von einer Seite aus bauen. Der Brückenbau muss auf beiden Seiten beginnen, um sich in der Mitte zu treffen. Und die großen Brückenprojekte dauern Jahre.

Özlem Cekic, Autorin

Eine weitere Betrachtung teilte die Referentin mit den Zuhörenden. „Man kann eine Brücke nicht einfach von einer Seite aus bauen. Der Brückenbau muss auf beiden Seiten beginnen, um sich in der Mitte zu treffen. Und die großen Brückenprojekte dauern Jahre.“

Mut ist ein Muskel

Man müsse Mut haben, sich auf die andere Seite zuzubewegen, sich raus auf die Brücke zu begeben. „Das erfordert Mut. Und Mut ist ein Muskel, der trainiert werden muss.“

Die Tische im BHJ Saal waren gut besetzt, als Özlem Cekic ihren Vortrag hielt. Foto: Sara Eskildsen
In der Pause gab es Kuchen – und Gespräche. Foto: Sara Eskildsen

Die wengisten Menschen befänden sich „außerhalb einer pädagogischen Reichweite“, so Cekic. „Wenn man ein unvoreingenommenes Gespräch sucht und ohne eigene Agenda versucht, den Menschen kennenzulernen, dann entstehen Brücken.“

„Froh und stolz darauf, dass du zu Besuch bist“

Der Besuch der Referentin in Gravenstein war möglich geworden, weil der Freundschaftsverein ein Erbe erhalten hat – unter anderem, um solche Veranstaltungen durchzuführen, so Dieter Jessen, der die Gäste im BHJ Saal gemeinsam mit Bodil Glenthøj begrüßte. „Wir sind froh und stolz darauf, dass du zu Besuch bist“, so Jessen an Özlem Cecic gewandt.

Dieter Jessen eröffnete den Abend im BHJ Saal gemeinsam mit Bodil Glenthøj. Foto: Sara Eskildsen
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