Starkregen und Überschwemmung

Hochwasser vor zehn Jahren in Gelting: Streit um Schutzmaßnahmen dauert an

Hochwasser vor zehn Jahren in Gelting: Streit um Schutzmaßnahmen dauert an

Streit um Schutzmaßnahmen dauert an

SHZ
Gelting
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Hans-Peter Buchholz an der Stelle, wo die Geltinger Au ins Noor gepumpt wird. Foto: Mira Nagar/shz.de

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Ein Hochwasser richtete vor zehn Jahren massiven Schaden in Gelting an. Noch immer streitet die Gemeinde um den richtigen Hochwasserschutz – passiert ist indes nichts.

Die Bilder vom verheerenden Hochwasser an der Ahr haben in Gelting einiges wieder aufgewühlt. „Eine Katastrophe“, sagt Cord Petersen. „Dort ist es noch viel schlimmer, als es bei uns war – ein Albtraum.“ Der Geltinger weiß, wovon er spricht. Zehn Jahre ist es nun her, dass die Geltinger Au seine Bäckerei überschwemmte, er mit Brecheisen Löcher in das Fundament schlug, um pumpen zu können. Um schneller pumpen zu können, als das Wasser steigt.

Hans-Peter Buchholz nickt zustimmend. Bei ihm waren es Keller und Erdgeschoss, die vor zehn Jahren unter Wasser standen. „Die Feuerwehr hatte Ziegelsteine genommen und die Bürotische darauf gestellt“, erinnert er sich. So wurde verhindert, dass das Hochwasser noch mehr zerstört. Trotzdem war der Sachschaden bei ihm immens: 26.000 Euro. 4000 pufferten ein Hilfsfonds und Spenden ab. Der Rest ist verloren. Genauso wie das Vertrauen, dass ein solcher Schaden ein Einzelfall bleiben wird. In Gelting habe seit dem Hochwasser vom 4. und 5. September 2011 fast jeder eine Pumpe irgendwo in einem Abstellraum.

Hochwassergefahr bleibt

Das Wasser kann jederzeit wieder kommen. Denn in zehn Jahren hat die Gemeinde keine Lösung für einen ähnlichen, vielleicht sogar noch heftigeren Starkregen umgesetzt. Stattdessen hat man sich über die Jahre entzweit in dem sonst so beschaulichen Urlaubsort. Nicht über das Ob, sondern über das Wie. Denn dass die Geltinger Au weiterhin Hochwassergefahr birgt, ist unumstritten.

Heute sieht man dem kleinen Fluss nicht an, welche Kräfte er entfesseln kann. Geruhsam fließt das Wasser vom Landesinneren in Richtung Nordstraße, der B199. Man könnte problemlos drüberspringen. Dahinter fließt die Au in einen Tunnel unter der Straße und hinter dem Tunnel beginnt das Problem. Das Problem hat einen Durchmesser von 1,1 Meter und ist das Ergebnis der „Flurbereinigung“.



Begradigung von Fluss und Feld

In den 1970er Jahren wollte man in ländlichen Regionen mehr rausholen aus der Landschaft. Die Felder der Bauern bekamen gerade Schnitte, die Flüsse wurden begradigt oder in Rohre verlegt. Das sollte das Land leichter zu bewirtschaften machen und die Erträge erhöhen. Auwiesen wurden zu Nutzflächen, über Flussläufe liefen Straßen. In Gelting kam die Au unter dem Ortskern über 500 Meter in ein Rohr. Das ist 1,1 Meter dick und reicht fast immer aus. Aber eben nur fast.

Der damalige Landrat Bogislav-Tessen von Gerlach bezweifelte, dass die Verrohrung der Au die Ursache für das Hochwasser war. Cord Petersen und Hans-Peter Buchholz aber sind sich sicher: „Das Rohr war von Beginn an zu gering dimensioniert.“ Seitdem komme die Hochwassergefahr nicht mehr von der nahen Ostsee. Sondern dann, wenn der Au das Rohr zu eng wurde für die Wassermassen eines Starkregens. So auch Anfang September 2011, als eine Gewitterfront den Ort erreichte .

Wetterleuchten und schwarze Wolken

„Zunächst war nur ein intensives Wetterleuchten am Horizont zu beobachten, das aus dunkelblauen, fast schwarzen Wolken herausschoss“, heißt es in einem Bericht von Wolfgang Jonas im Geltinger Archiv. „Rasend schnell erreichten diese furchteinflößenden Ungetüme Gelting... Regen, Blitz und Donner sorgten binnen weniger Minuten für ein Unwetter, das die Einwohner Geltings und seiner Umgebung so noch nicht erlebt hatten.“


Die erste Alarmierung erreichte die Freiwillige Feuerwehr am Sonntagabend, 4. September, gegen 18 Uhr. Etwa 350 Feuerwehrleute aus allen Wehren des Amtes rückten aus. Verteilten Sandsäcke, pumpten Keller leer, Türen wurden mit Holzbrettern verriegelt. Das THW versuchte, den Wasserpegel mit Pumpen zu senken, erreichte aber zunächst nur, dass er nicht weiter stieg. An einigen Stellen war das Wasser hüfttief, überschwemmte Straßen und Felder. Bilder von watenden Geltingern und Sandsäcken waren überall in den regionalen Medien zu sehen.


Das Hochwasser sollte mehrere Tage lang bleiben. Etwa eine Woche später wurden die Straßen wieder freigegeben. „Vor vielen Häusern stapelte sich bereits der Sperrmüll, während die Helfer die über mehrere Kilometer verlegten Schläuche wieder aufrollten“, berichtete der Schlei-Bote am 11. September. Der Schaden an den Häusern zeigte sich nach und nach. Insgesamt erreichten die Verluste Millionenhöhen.

Polder oder Bypass?

Ein weiterer Schaden zeigte sich noch später: In Gelting wurde lange gestritten, wie ein solches Hochwasser künftig vermieden werden kann. Einige wollten einen Polder bauen – andere plädierten dafür, den Fluss mit einer Umleitung, einer Art Bypass, vom Ortskern fernzuhalten. Die Polder-Lösung setzte sich am Ende aus Kostengründen durch, auch vor Gericht.

Hans-Peter Buchholz kritisiert diese Entscheidung: „Wir sollten der nächsten Generation eine naturnahe Lösung hinterlassen“, sagt er. Die Umleitung entspreche der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und hätte damit laut Buchholz eine entsprechende Förderung bekommen. Doch die Berechnungen und Pläne, die er mit seiner Interessengemeinschaft in Auftrag gegeben hatte, finden keine politische Mehrheit.

Nach zehn Jahren Streit, Diskussionen und Klagen erfolgte sie endlich, die erste, begrenzte Ausschreibung für den Hochwasserschutz. Doch keine der angeschriebenen Firmen konnte die Pläne innerhalb des Budgets umsetzen.

„Nach den Sommerferien starten wir eine öffentliche Ausschreibung“, erklärt Hans Asmus Martensen vom Wasser- und Bodenverband. Der Baubeginn verzögert sich voraussichtlich um ein weiteres Jahr. Ein Jahr, in dem sich der Starkregen von 2011 nicht wiederholen darf.

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Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
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