Staatsanwaltschaft Flensburg

Ein Millionen-Geschäft? Das steckt hinter den Ermittlungen zu falschen Deutsch-Zertifikaten

Ermittlungen zu falschen Deutsch-Zertifikaten

Ermittlungen zu falschen Deutsch-Zertifikaten

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Flensburg
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Das Zertifikat „Deutsch-Test für Zuwanderer“ wird zentral in Frankfurt von der Telc ausgestellt, einem Tochterunternehmen des Deutschen Volkshochschulverbands. Foto: Sven Hoppe/dpa/shz.de

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Es geht um mehr als 1000 Fälle: Der Leiter einer Sprachschule soll offiziellen Deutsch-Tests für Zuwanderer manipuliert haben. Die Staatsanwaltschaft in Flensburg ermittelt gegen zehn Personen.

Möglicherweise ist insgesamt mehr als eine Million Euro geflossen. Die Ermittlungen sind noch nicht am Ende. Deshalb kann die Flensburger Oberstaatsanwältin Inke Dellius die Summe noch nicht bestätigen.

Sicher ist aber: Der ehemalige Leiter einer Sprachschule steht unter dringendem Verdacht, mehr als 1000 Personen zu einem Zeugnis über einen bestandenen Deutsch-Test für Zuwanderer (DTZ) verholfen zu haben, ohne dass die entsprechenden Prüfungsleistungen wirklich erbracht wurden. Die Empfänger aus dem gesamten Bundesgebiet sollen ein solches B1-Sprachzertifikat jeweils 1000 Euro bezahlt haben.

Das B1-Zertifikat erhält zum Beispiel, wer nach einem Integrationskurs erfolgreich eine entsprechende Prüfung ablegt. Es ist Voraussetzung unter anderem für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder für die Einbürgerung.

Das Sprachniveau B1 nach dem Europäischen Referenzrahmen bedeutet: Man kann in einfachen Alltagssituationen alles Wesentliche verstehen und über vertraute Themen und persönliche Interessen sprechen.

Anspruchsvolle Prüfung

Die Prüfung ist für viele Integrationskurs-Teilnehmer sehr anspruchsvoll. Fast die Hälfte erreicht das Sprachniveau B1 nicht, sondern schafft lediglich das niedrigere Niveau A2 oder bekommt gar kein Zertifikat.

Die Staatsanwaltschaft und die Kripo ermitteln jetzt gegen zehn Beschuldigte wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens, gewerbsmäßigen Betruges und Urkundenfälschung. Im Rahmen der Ermittlungen seien „sowohl vollständig als auch teilweise fingierte Prüfungen festgestellt“ worden, so die Kripo.

Bereits Mitte Januar hat die Polizei Büros und Privatwohnungen an mehreren Orten in Schleswig-Holstein durchsucht. Zu konkreten Orten macht die Staatsanwaltschaft keine Angaben. Nach Auskunft Inke Dellius konzentrieren sich die Ermittlungen nicht allein auf den Flensburger Raum, auch wenn hier die ersten Hinweise eingingen.

Durchsuchung in Eckernförde

Nach Informationen von shz.de gab es eine Durchsuchung auch beim Verein „Umwelt, Technik, Soziales“ (UTS) in Eckernförde. Dort steht eine Honorarkraft unter Verdacht, externen Prüfungsteilnehmern zu den DTZ-Zertifikaten verholfen zu haben. Auf Anweisung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) darf UTS daher derzeit keine öffentlich geförderten Integrations- und Berufssprachkurse mehr anbieten. Die Prüfungen in Eckernförde sind aber offenbar nur ein kleinerer Teil des aktuellen Ermittlungskomplexes.

Die DTZ-Zertifikate werden zentral von der Telc gGmbH in Frankfurt ausgestellt, einer Tochtergesellschaft des Deutschen Volkshochschulverbands. Offenbar hat der Sprachschul-Leiter falsche Prüfungsunterlagen nach Frankfurt geschickt, so dass seine Kunden dann echte Zertifikate erhielten, ohne die entsprechenden Leistungen erbracht zu haben.

Keine Ermittlungen gegen Prüfer

Wie er und seine Komplizen dabei vorgingen, sagt die Staatsanwaltschaft aus ermittlungstaktischen Gründen nicht.

Ermittlungen gegen die Prüfer, die im Auftrag der Telc die mündlichen Prüfungen vor Ort abnehmen und die schriftlichen beaufsichtigen, gebe es nicht, betont Oberstaatsanwältin Dellius. Die Auswertung der schriftlichen Prüfungen findet ohnehin zentral in Frankfurt statt.

In München war vor drei Jahren ein Fall aufgeflogen, in dem deutsche Muttersprachler unter falsche Identität mit falschen Ausweispapieren die Tests im Namen von Zuwandern, die dafür bezahlten abgelegt haben. Für die aktuellen Ermittlungen in Flensburg gilt jedoch, so die Staatsanwaltschaft: „Fälle, in denen Teilnehmer an den Prüfungen nicht mit den späteren Zertifikatsinhabern identisch waren, sind bisher nicht aufgetreten.“

Ein einziger Fall in Flensburgs Ausländerbehörde aufgefallen

Vereinzelt sind die falschen Zertifikate bereits bei Ausländerbehörden vorgelegt worden. In der Flensburger Stadtverwaltung ist ein solcher Fall bekannt. Aus der Schleswiger Kreisverwaltung heißt es, hier sei eine „nicht nennenswerte Anzahl gefälschter Sprachzertifikate auffallen“.

Für Inhaber falscher DTZ-Zeugnisse gilt ohnehin: Sie müssen die deutsche Sprache zumindest so gut beherrschen, dass dort, wo sie ihre Zertifikate vorgelegen, nicht sofort auffällt, dass irgendetwas nicht stimmt.

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Gerrit Hencke
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