Wohnungssuche

Sylter Zahnarzt schläft im Bulli und ist ab Freitag wohnungslos

Sylter Zahnarzt schläft im Bulli und ist ab Freitag wohnungslos

Sylter Zahnarzt schläft im Bulli

Lea Sarah Pischel/shz.de
Westerland
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Seit einem halben Jahr schläft der Zahnarzt Dr. Martin Sabandal (45) in seinem Bulli im Hinterhof der Praxis. Foto: Pischel/shz.de

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Seit einem Jahr sucht Dr. Martin Sabandal auf Sylt eine Wohnung für sich, seine Frau und den gemeinsamen Sohn - bisher ohne Erfolg. Jetzt drängt die Zeit massiv. Seine Not macht er jetzt öffentlich.

Von seinem großen Optimismus vom Anfang ist nicht viel geblieben. Als Dr. Martin Sabandal vor rund einem Jahr eine Zahnarztpraxis in Westerland übernehmen konnte, begann er auf Sylt eine Wohnung zu suchen. Die Insel kennt der in Kiel aufgewachsene Mann seit 2002 von regelmäßigen Urlauben mit seiner Frau Kerstin gut - auch, dass der Mietmarkt auf Sylt hart umkämpf ist, wusste er. Die Gelegenheit war einmalig: Das Paar hatte schon lange davon geträumt, mit seinem Sohn „auf der wunderbaren Insel, in der wunderbaren Landschaft zu leben und zu arbeiten“. Dass sich die Suche nach einer bezahlbaren Bleibe aber für sie zum Albtraum entwickeln würde, ahnten die beiden nicht.

Am Freitag werden er und seine Frau (47) ihre alte Wohnung am ehemaligen Wohnort in Münster - die sie einem optimistischen Moment vor einigen Monaten gekündigt hatten - an den Nachmieter übergeben. Dann sind sie und ihr neun Jahre alter Sohn Ansgar wohnungslos. „Jetzt ziehen wir auf den Campingplatz in Westerland und fahren noch in den Urlaub - wir müssen ja irgendwie überbrücken“, sagt der Zahnarzt, der vorher an der Uni Münster (UKM) als angestellter Zahnarzt gearbeitet hatte. Seit Februar schläft der 45-Jährige in seinem Bulli, den er im Hof hinter der Praxis geparkt hat.

Die Zeit drängt jetzt massiv: Denn in rund fünf Wochen beginnt für Ansgar eigentlich die weiterführende Schule, aber anmelden können ihn seine Eltern ohne Wohnsitz nicht - weder auf Sylt, noch in Münster.

Von den Verantwortlichen auf der Insel fühlt Sabandel sich alleingelassen. In seiner Not hatte er sich an den Bürgermeister der Gemeinde Sylt, Nikolas Häckel, gewandt: Der sei bestrebt gewesen, etwas zu probieren, aber eine Wohnung konnte er dem Neusylter nicht anbieten.

„Ich habe Herrn Dr. Sabandal mitgeteilt, dass die Gemeinde Sylt ihren Wohnungsbestand an das KLM übertragen hat und daher nicht mehr über eigenen Wohnraum verfügt“, sagte Häckel auf Nachfrage von shz.de. Diese Argumentation besteht seit Gründung des KLM. Er habe die Wohnungsanfrage des Arztes aber auch „abstimmungsgemäß“ mit den anderen Inselgemeinden besprochen, sagte das Verwaltungsoberhaupt.

Dass Sabandal bald eine der rund 11.000 KLM-Wohnung in der Gemeinde Sylt bewohnt, ist eher unwahrscheinlich: „Die Fluktuation geht bei uns gerade gegen Null“, sagt KLM-Chef Marcus Kopplin. Rund 600 Haushalte stünden demnach derzeit auf der Bewerberliste. Wer eine Wohnung bekommt, entscheidet ein spezielles Gremium. Bezogen auf die Bedürftigkeit der Menschen, die eine bezahlbare Bleibe brauchen, gelten dabei klare Regeln, sagt Kopplin. „Der Auftrag der KLM ist die Versorgung der breiten Schichten der Bevölkerung.“

Zunächst hatte Sabandal über die gängigen Online-Portale, Makler sowie Facebook-Gruppen und das Kommunale Liegenschafts-Management (KLM) sowie Gewoba nach einer Dreizimmerwohnung gesucht. Immer wieder waren dem Paar Wohnungen angeboten worden - aber entweder zu Wucherpreisen oder bar verwaltete Kautionen um die 9000 Euro.

Zuletzt habe er auch eine Wohnung im Börder Hüs in Kampen angeboten bekommen, die dann doch wieder zurückgenommen und an einen anderen Sylter vergeben worden ist, sagt der in Bonn geborene Arzt. „Das hat für uns das Fass zum überlaufen gebracht, sodass wir hier Befangenheit und Bestechlichkeit vermuten“, sagt der Mediziner. Begründet worden sei der Schritt damit, dass bei der Familie keine sogenannte Dringlichkeit vorliege und sie daher nicht priorisiert werden können.

Schwierigkeiten hatten er und seine Frau demnach auch damit, dass es beim Einzug Pflicht wird, der freiwilligen Feuerwehr beizutreten. Mit Freiwilligkeit habe das nichts mehr zu tun, findet Sabandal. Auch wenn er sich durchaus dazu bereit erklärt hätte diese Bedingung zu erfüllen, auch wegen der „sozialen Komponente“, die dazugehört.

Kampens Bürgermeisterin Stefanie Böhm weiß, dass es in ihrer Gemeinde seit Jahren zu wenig Dauerwohnraum für Sylter gibt, betont aber, dass bei der Vergabe der raren und bezahlbaren Unterkünfte strikte Regeln gelten. Den Vorwurf, die Gemeinde sei bestechlich, weist sie vehement von sich: „Die Wohnung hat jemand aus Kampen bekommen, der schon lange auf der Insel wohnt, lange bei uns auf der Liste steht und zwei Kinder hat“, sagte Böhm. Sie bestätigt, dass es für den Nachmieter der Wohnung, eine Bedingung war, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr zu werden - um das Mitglied, das zuvor in der Wohnung gelebt hatte zu ersetzen. Das habe der jetzt neue Mieter erfüllt, anders als Sabandal, der dies aus gesundheitlichen Gründen zunächst ausgeschlossen hatte.

So langsam wird es sehr eng für Sabandal und seine Frau, die vor der Geburt des Sohnes als Unfallchirurgin gearbeitet hat. Besonders frustriert ist er wegen Ansgar: Die Perspektivlosigkeit, dem Jungen nicht sagen zu können, wie es ab August weitergeht, beschäme ihn. Wären er und seine Frau zu zweit, sähe die Situation anders aus, sagt er.

Ihm geht es auch ums Prinzip: „Wenn man länger hier wohnt, stumpft man vielleicht ab, aber auf Sylt wird nicht miteinander gelebt, sondern eigentlich jeder eher für sich - dabei sollte es doch eigentlich eine Gemeinschaft sein.“ Das würde auch durch den Ausverkauf der Insel unter anderem an Menschen vom Festland, die hier Zweithäuser kaufen, verhindert. Wohnraum für die Menschen, die „hier den Laden am laufen halten“ gibt es dadurch immer weniger. Das sieht er kritisch. „Uns ist es wichtig, dass es jetzt weiter geht und das publik wird.“

Es sei wichtig, die Wohnungsnot auf Sylt immer wieder zu thematisieren, da jeder der hier leben und arbeiten möchte, das auch können sollte. „Die Bevölkerungszahlen sind in den letzten Jahren drastisch gesunken auf Sylt - und da muss man sich fragen, wie lange hält das System das aus.“

Aufs Festland ziehen ist für ihn bisher keine Option: So könne er Notdienste nur schwer wahrnehmen und nicht gewährleisten, dass er seine Patienten zuverlässig und pünktlich versorgt. Unvorstellbar für den Arzt, für den nach eigener Aussage der Mensch im Mittelpunkt steht. „Das ist mein Credo: Es geht darum, den Patienten so zu versorgen, wie er es braucht und nicht anders, um Zeit oder Geld zu sparen.“ Ihm sei es wichtig, dass die Menschen sich gehört fühlen. Vom positiven Feedback seiner Patienten – unter ihnen viele Angstpatienten - zehre er in dieser frustrierenden Zeit: „Das hält mich hier oben und zeigt, dass es die richtige Entscheidung war.“

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