Utopie zu Pandemie-Ausgang

Was wäre, wenn wir aus SARS-CoV 1 gelernt hätten?

Was wäre, wenn wir aus SARS-CoV 1 gelernt hätten?

Was wäre, wenn wir aus SARS-CoV 1 gelernt hätten?

SHZ
Flensburg
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Durch das schnelle Eingreifen waren am Ende die Hygienemaßnahmen kaum erforderlich. Foto: Julian Stratenschulte/shz.de

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Die bis dahin unbekannte Lungenkrankheit SARS hielt vor einigen Jahren die Welt in Atem. Auch Corona gehört zur SARS-Gruppe. Wir hätten damals viel lernen können, um uns auf das heutige Virus vorzubereiten.

Die Ärzte in Hongkong stehen vor einem Rätsel. Seit Tagen kommen Patienten mit einer Lungenentzündung zu ihnen und die Behandlung will nicht anschlagen, der Gesundheitszustand verschlechtert sich, teilweise müssen die Patienten beatmet werden. Ursache: unbekannt.

Anfang 2003 kämpfen die Mediziner gegen einen Feind, den sie noch nicht ausmachen können. Sie versuchen, die Infektionswelle einzudämmen, doch sie reißt nicht ab, die Fälle mehren sich innerhalb weniger Tage.

Das Virus SARS-CoV hat das Drehkreuz in Südostasien erreicht. Wie es in die Metropole kam, ist rekonstruiert. Im Februar reist ein Arzt aus der südchinesischen Provinz Guangdong nach Hongkong zu einer Hochzeit. Er ist seit einigen Tagen erkrankt und wird zum Superspreader. Er schleppt das Virus ein, steckt innerhalb von 24 Stunden zwölf Hotelgäste des Metropole Hotels an, die es in die Stadt tragen.

Beeindruckende Parallelen zwischen 2002 und 2019

Schon Wochen zuvor registrieren Ärzte in Guangdong ungewöhnlich viele Fälle von schweren Lungenentzündungen. Im November 2002 beschreiben sie diese als atypisch. Die Menschen, die zu ihnen kommen und behandelt werden, leiden zunächst an Atembeschwerden, Kopf-, Hals- und Muskelschmerzen und haben hohes Fieber, bis dann die Lungenentzündung auftritt.

In Peking bleibt dies nicht unbemerkt. Die kommunistische Führung greift ein, versucht, über den Ausbruch der neuartigen Infektion einen Mantel des Schweigens zu legen, schränkt die örtliche Presse ein und zensiert Berichte. Die WHO wird zunächst nicht benachrichtigt. Dies holt die chinesische Regierung erst Wochen später am 10. Februar 2003 nach, meldet 305 Infizierte und fünf Tote.

Von Hongkong aus verbreitet sich SARS in der Welt – Taiwan, Singapur, Kanada und auch in den USA, Frankreich, Deutschland und weiteren Ländern werden Fälle registriert. In den Monaten bis zum Sommer infizieren sich mehr als 8000 Menschen, 774 sterben. Im April finden Wissenschaftler den Erreger. Sie identifizieren ein bisher unbekanntes Coronavirus als Ursache für SARS.

So schnell wie das Virus aufgetaucht ist, verschwindet es auch. Nach dem Sommer werden nur noch vereinzelt Fälle dokumentiert. Am 19. Mai 2004 legt die WHO deshalb diese Pandemie zu den Akten. Doch die Staaten weltweit sind alarmiert, auch weil die Wirtschaft und das öffentliche Leben litten. Hongkong und Singapur schlitterten in eine Rezession. Knapp zwölf Milliarden Hongkong-Dollar nahm die Metropole in die Hand, um die Folgen abzufedern. Asien kostete SARS rund 18 Milliarden US-Dollar.

SARS-CoV als Warnschuss - Spezialisten nehmen die Arbeit auf

Es ist das eingetreten, wovor Wissenschaftler lange gewarnt haben. Die Welt jedoch ist mit einem blauen Auge davongekommen. Wenn SARS-CoV ansteckender gewesen wäre, sich nicht nur stark in der Lunge, sondern bereits im Rachen vermehrt hätte, hätte die Pandemie andere Folgen gehabt, mahnen sie. Jeder Zeit könne ein Virus vom Tier auf den Menschen übertragen werden – und die Welt wäre nicht darauf vorbereitet.

Spezialisten aus Amerika, Europa und Asien starten Modellrechnungen. Das Szenario: ein unbekanntes Coronavirus, das ansteckender ist, sich bereits im Rachen stark vermehrt und wie die Grippe leicht übertragbar ist. Je nach Berechnung gehen die Wissenschaftler weltweit von bis zu 345 Millionen Infizierten innerhalb von zwei Jahren aus, mehr als 5,5 Millionen Menschen werden an den Folgen der Erkrankung sterben – und dies, obwohl die einzelnen Staaten mehrmals das öffentliche Leben herunterfahren, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen.

Eine neuerliche Pandemie mit einem ähnlichen Erreger könnte Billionen kosten

Die weltweite Wirtschaftsleistung, so die Experten, werde innerhalb eines Jahres von 87,6 Billionen auf 84,97 Billionen US-Dollar schrumpfen. Für Deutschland kalkulieren sie ein Minus von 4,6 Prozentpunkte. Das BIP werde demnach von 3,47 Billionen auf 3,37 Billionen Euro fallen. Die Staaten müssten viel Geld in die Hand nehmen, um durch die Gesundheitskrise zu kommen, so die Wissenschaftler.

Deutschland alleine müsste in den ersten beiden Jahren der Pandemie mehr als 293 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Wirtschaft mit Kurzarbeitergeld, Überbrückungshilfen und Bürgschaften zu stabilisieren, Impfstoffe zu entwickeln und diese zu kaufen, die Bevölkerung zu testen, Familien zu unterstützen und die Leistung von Pflegekräften zu honorieren. Ganz abgesehen von den 350 Milliarden Euro, mit denen das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) den Wertschöpfungsausfall allein für Deutschland beziffert.

Die Modellrechnungen sitzen. Der Irakkrieg schafft es nicht, die Pandemie aus den Medien und aus den Parlamenten zu verdrängen. In den USA, in Kanada, in Frankreich und in Deutschland beschäftigen sich eigene Gremien mit den möglichen Folgen einer weltweit tiefgreifenden Gesundheitskrise – neben SARS schweben auch H5N1 und A/H3N1 wie ein Damoklesschwert über der Welt; Influenza-Subtypen, die in Vögeln und Schweinen gefunden werden.

Deutschland überarbeitet den Nationalen Pandemieplan

Anfang 2005 legt der in Deutschland gegründete parlamentarische Arbeitskreis, dem Vertreter aller Fraktionen angehören, seine Handlungsempfehlungen vor. Diese gehen weit über einen Nationalen Pandemieplan für Deutschland hinaus. Bisheriges wird in Frage gestellt, neu geordnet.

Die öffentliche medizinische Forschung bekommt einen neuen Stellenwert. Wissenschaftler müssen sich nicht mehr von Antrag zu Antrag hangeln, stehen nicht mehr unter dem Druck, dass ihr Wirken vor dem Aus steht, sobald die Mittel knapp werden. Die Mandatsträger plädieren für eine Aufstockung des Budgets auf 60 Milliarden Euro – eine Summe, die deutlich über dem Verteidigungsetat liegt.

Weltweit bekommt die Forschung zur Abwehr des Virus Priorität

Die Empfehlungen des parlamentarischen Arbeitskreises werden in Gesetze gegossen. Im Frühjahr 2005 stimmen die Mitglieder des Bundestages dafür – ohne Gegenstimme. Auch in den USA, in Frankreich, in Kanada und in anderen westlichen Staaten beschließen die Parlamente ähnliche Gesetze, geben der Forschung sorgenfreien Raum.

Als Donald Trump 2018 das Budget für Medizin und Wissenschaft stark kürzen will, gehen in den USA dagegen Millionen Menschen auf die Straße. Auch der Kongress und der Senat protestieren lautstark. Der Präsident beugt sich schließlich dem Widerstand und macht die USA unter dem Motto „Make America Great Again” in kürzester Zeit zum Vorreiter der Anti-SARS-Forschung.

SARS-CoV 2 wird im Keim erstickt

Wie wichtig diese politische Weichenstellung in der westlichen Welt war, zeigt sich 15 Jahre später, als ein unbekanntes Coronavirus, das mutationsfreudig und leicht übertragbar ist, sich ausbreitet. Forscher haben jedoch mittlerweile universelle Impfstoffe entwickelt, die Anpassung für SARS-Cov-2, so der Name des neuen Virus, dauert nur wenige Wochen. Eine Pandemie wird im Keim erstickt.

Die Folgen der Frühzeitigen Erkennung

All diese Maßnahmen wurden über die Jahre sehr transparent gemacht. Nur so war es möglich, die Milliarden, die das weltweite Projekt verschlang, zu rechtfertigen und auch anfängliche Kritiker in die Reihen zu integrieren. Als Folge ist der gesamten Bevölkerung nicht nur die Tragweite dieses Erfolges bewusst – die grundsätzliche Einstellung gegenüber Grundlagenforschung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen hat sich gewandelt.

Fridays For Future hat es auch in diesen Zeiten in das Bewusstsein der Menschen geschafft. Nachdem die Gesundheitskrise nun abgewendet ist, fordern junge Menschen weltweit, sich mit der gleichen Energie der Lösung der Klimaproblematik zuzuwenden.

Sie führen unter anderem die enormen Summen an, die die Staaten der Welt und die Weltwirtschaft durch das frühe Eindämmen von SARS-CoV 2 eingespart hätten und gehen dabei von 11 Billionen US-Dollar aus. Rund 1 Billion Euro würde Deutschland seine Klimaneutralität kosten.

Eine enorme Summe, der die Forscher aber bereits die Kosten bei einem etwaigen Verfehlen der Klimaziele entgegensetzen. Diese würden weltweit zwischen 20 und 72 Billionen US-Dollar liegen. Auch die Forscher anderer Sparten haben bei SARS dazugelernt. Und die Welt hört zu.

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