Leitartikel

„Schummeln und betrügen“

Schummeln und betrügen

Schummeln und betrügen

Apenrade/Aabenraa
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Flüchtlinge schummeln und betrügen, unterstellte Dänemarks ehemalige Integrationsministerin Inger Støjberg. Die Wahrheit ist, dass die Behörden niemandem den Flüchtlingsstatus gewähren, der betrügt. Doch die Wahrheit interessiert leider zu selten, meint Cornelius von Tiedemann.

Schon gemerkt? Seit dem Regierungswechsel ist das Thema Ausländer und Integration irgendwie abgemeldet. Das Klima hat übernommen. Selbst die Dänische Volkspartei  versucht sich nach ihrer Erdrutsch-Wahl nun an einem grünen Anstrich.

Doch das ist wohl nur eine Momentaufnahme. Inger Støjberg ist schließlich zur Vize-Vorsitzenden von Venstre gewählt worden. Die Frau, die als Integrationsministerin Flüchtlinge (mit Flüchtlingsstatus!) als Betrüger brandmarkte und behauptete, dass Flüchtlinge in Dänemark „schummeln und betrügen“.

Sie und Politiker der Dänischen Volkspartei (DF) hatten quasi unterstellt, dass Menschen nach Dänemark kämen, die zu Unrecht angaben, Syrer zu sein, um hier Asyl zu bekommen – und dass diese damit durchkämen und nun auf Kosten der Steuerzahler hier leben würden.

Im Haushalt 2018 wurde deshalb mit den Stimmen von Regierung und DF eine umfassende Stichprobenkontrolle unter den außergewöhnlich zahlreichen Flüchtlingen vorgenommen, die in den Jahren 2015 und 2016 nach Dänemark gekommen und als Flüchtlinge anerkannt worden waren.

Von den 857 Personen, die ganz genau unter die Lupe genommen wurden – was 23 Millionen Kronen gekostet hat – konnte keiner einzigen ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Auch deren Familienmitglieder wurden übrigens in vielen Fällen überprüft.

Keine einzige Aufenthaltsgenehmigung wurde wegen Betrugs eingezogen. Das geht aus einer Antwort des Ausländer- und Integrationsministeriums an die Abgeordnete Rosa Lund (Einheitsliste) vom vergangenen Mittwoch hervor.

Von den Behauptungen Støjbergs und anderer Politiker, Flüchtlinge würden „schummeln und betrügen“ bleibt also faktisch nichts als der Eindruck, dass es vielleicht Støjberg und DF waren, die geschummelt und betrogen haben. Doch in den Köpfen vieler Menschen haben sich solche Äußerungen festgesetzt, sie haben Vorurteile geschaffen oder gestärkt.

Natürlich müssen Verwaltung und Politik dafür sorgen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Wer gar nicht in Not ist und lügt, um sich einen Vorteil zu verschaffen, darf damit nicht durchkommen. Doch das tut er ja auch nicht. Ständig werden Asylbewerber abgewiesen, weil sie den Kriterien nicht entsprechen oder weil die Behörden ihre Angaben als falsch oder unglaubwürdig einstufen.

Ein Flüchtlingsrecht-Experte beschreibt es in „Berlingske“ als extrem schwer bis fast unmöglich, sich in Dänemark zum Asylstatus zu lügen. Die  Antragssteller werden ohnehin auf Herz und Nieren getestet. In Sprachtests wird ihr Akzent geprüft, Ortskundige fragen sie nach Besonderheiten ihres Herkunftsortes ab, und so weiter.

Traurig, dass Politiker in Regierungsverantwortung sich, so der Eindruck, in Dänemark und weltweit vermehrt zu Äußerungen  hinreißen lassen, die die Gesellschaft spalten, anstatt Brücken zu bauen. Und dass sie dafür auch noch Steuermillionen ausgeben, die anderswo dringend gebraucht werden.

Die neue Regierung distanziert sich nicht deutlich von solchen Methoden. Aus Angst wohl, Wähler wieder an ihre Vorgänger zu verlieren. Immerhin lässt sie das Brüllen sein. Zumindest bis zum nächsten Wahlkampf.

 

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Cornelius von Tiedemann
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