100 Jahre SP

Anneliese Bucka: „Gleichstellung ist noch in weiter Ferne“

Anneliese Bucka: „Gleichstellung ist noch in weiter Ferne“

Anneliese Bucka: „Gleichstellung ist noch in weiter Ferne“

Karin Friedrichsen
Karin Friedrichsen Journalistin
Nordschleswig
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Anneliese Bucka lebt seit zwei Jahren in Tondern. Davor waren der Familienhof in Hostrup und die Abnahme in Jeising ihr Lebensmittelpunkt. Foto: Karin Riggelsen

Die Schleswigsche Partei feierte am 15. August ihren 100. Geburtstag. In den kommenden Monaten bringt „Der Nordschleswiger“ eine Reihe von Artikeln über die Partei der deutschen Minderheit in Nordschleswig. In diesem Artikel haben wir mit der ersten und einzigen SP-Abgeordneten im Amtsrat und der bislang ersten Parteisekretärin gesprochen.

Anneliese Bucka hat Herausforderungen noch nie gescheut, und ihr Engagement in öffentlichen Funktionen ist für die deutsche Minderheit von großer Bedeutung gewesen. Auf dem geschichtsträchtigen Familienhof Fauerby bei Lügumkloster/Løgumkloster aufgewachsen, lernte die Tochter von Anne und Harro Marquardsen früh, ihre Meinung zu äußern.

Die tatkräftige Nordchleswigerin bildete sich in jungen Jahren zur Kinderpflegerin in Flensburg aus, und sie arbeitete drei Jahre im deutschen Kindergarten in Tingleff/Tinglev.  Sie heiratete 1962 Andreas Bucka aus Haistrup/Hajstrup. Das Paar ließ sich auf einem großen Hof in Hostrup bei Jeising/Jejsing nieder. Dort hatte Anneliese Bucka ihren Lebensmittelpunkt als Bäuerin und Mutter von fünf Kindern. In ihrem politischen Wirken und ehrenamtlichen Engagement, das sich nach wie vor wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht, prägte sie von Jugend an das Minderheitenleben.

Seniorin voller Tatendrang

„Ich war 33 Jahre Vorsitzende des Sozialdienstes Nordschleswig“, erinnert sich Anneliese Bucka. Die 82-jährige Seniorin ist vor zwei Jahren von der Abnahme in Jeising nach Tondern/Tønder gezogen. 

Anneliese Bucka verwitwete im Mai 2008, und sie fand im Alter von 80 Jahren, dass es an der Zeit war, sich räumlich zu verkleinern. „Jetzt habe ich eine Wohnung mit Fahrstuhl. Ich bin voll gesund und nutze den Aufzug nicht. Aber es ist gut zu wissen, dass ich darauf umsteigen kann, wenn mir das Treppensteigen zu schwerfallen sollte“, sagt Bucka und lächelt. 

Anneliese Bucka engagiert sich seit Jugend an für die Belange der Minderheit. Foto: Karin Riggelsen

Stippvisite im Amtsrat mit Misstönen

Zeitgleich mit dem Posten als Vorsitzende des Sozialdienstes von 1969 bis 2002 vertrat Bucka die Schleswigsche Partei (SP) im damaligen Amtsrat Nordschleswig. Ihrem politisch aktiven Vater, der von 1960 bis 1975 Hauptvorsitzender des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN), der Dachorganisation der deutschen Minderheit, war, und die SP von 1970 bis 1978 im Amtsrat repräsentierte, folgte Bucka in das prestigevolle Amt.

Sie kandidierte Ende der 1980er Jahre für einen Sitz im Amtsrat. Spitzenkandidat Hans Christian Jepsen erhielt als einziger SP-Kandidat ein Mandat. Nach Jepsens überraschendem Tod rückte Bucka 1992 für ein Jahr nach. 

„Ich war Jepsens Stellvertreterin. Trotzdem fragten mich einige Leute, ob ich die Aufgabe übernehmen wollte. Ja klar, ganz bestimmt wollte ich das“, erinnert sich die Tonderanerin, die für die Politik brennt und nicht versteht, warum Frauen nicht die gleichen Verwirklichungschancen haben wie Männer. Denn sie habe  bei ihrem Nachrücken in den Amtsrat die zögerliche Art von einigen Männern als Frauendiskriminierung empfunden.

Nur die Nummer zwei

Zum Trotz der, ihrer Ansicht nach, teilweise mangelhaften Unterstützung aus eigenen Reihen, habe sie ihr politisches Amt mit vielen Tätigkeiten ausgefüllt.

„Ich habe unter anderem Führungen durch den Amtsrat veranstaltet, um den SP-Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, hinter die Kulissen des Rates zu schauen“, sagt Anneliese Bucka. Gute Rückendeckung habe sie damals aber unter anderem von Gerhard Schmidt, Hauptvorsitzender des BDN, und Amtsbürgermeister Kresten Philipsen (Venstre) erfahren.

Dass es mit dem Thema Gleichstellung von Mann und Frau haperte, habe sie dann erneut bei der Amtsratswahl Ende 1992 gespürt.

„Ich wurde nicht als Spitzenkandidatin nominiert. Ich landete auf dem zweiten Platz und konnte nicht nachrücken. Das hätte ich aber gern getan", ärgert sich Anneliese Bucka, die mithilfe ihres Vaters und ihres Ehemannes lernte, selbst zu entscheiden, wie sie ihr Leben gestaltete und sich emanzipierte.

„Wir Frauen sind genauso Menschen wie die Männer“, stellt Anneliese Bucka fest.

Wir Frauen sind genauso Menschen wie die Männer

Anneliese Bucka, ehemalige SP-Politikerin

Vorsitz im Seniorenrat

Nach der Stippvisite im Amtsrat nutzte Bucka die Chance, einmal etwas anderes auszuprobieren. Sie ist Ratgeberin für Patienten in der Psychiatrie, eine Aufgabe, die sie noch immer mit großem Engagement ausübt. Auch auf dem Posten als Vorsitzende des Sozialdienstes und langjährige Vorsitzende des Seniorenrates der Kommune Tondern scheute sie nicht davor zurück, ihre Meinung zu äußern und sich für das Wohlbefinden von Menschen jeden Alters starkzumachen.

Anneliese Bucka hat noch immer einen vollen Terminkalender. Foto: Karin Riggelsen

Aktiv hinter den Kulissen

Obwohl Anneliese Bucka keine offiziellen Aufgaben mehr wahrnimmt für die deutsche Minderheit, ist sie noch immer sehr aktiv „hinter den Kulissen“. 100 Jahre nach der Eingliederung des Landesteils nach Dänemark 1920 hält Anneliese Bucka Vorträge zu der Entwicklung der deutschen Minderheit. 

Als Besuchsfreundin versucht sie, Senioren in ihrem Umfeld den Alltag zu erleichtern. „Ich habe mich nicht dem Sozialdienst angeschlossen. Das mache ich in Eigenregie“, erzählt Anneliese Bucka, die auch an der Weiterführung eines dänisch-deutschen „Buchklubs mit geselligem Beisammensein“ in Jeising festhällt. „Den Buchklub habe ich vor einigen Jahren ins Leben gerufen“, sagt Anneliese Bucka. Nach dem Umzug nach Tondern betreut sie auch weiterhin eine kleine Schar Patienten, die sich von der ausgebildeten Reflexzonen-Therapeutin und Masseurin behandeln lassen.

Ihr politisches Interesse scheint ungeschwächt, denn die 82-Jährige ist fast immer in den Zuschauerreihen zu finden, wenn das Stadtparlament tagt. „Ich muss doch mitfolgen, was genau passiert“, lacht Anneliese Bucka. Sie nimmt auch an den monatlichen Sitzungen der Schleswigschen Partei in Tondern teil: „Unsere jetzigen beiden Stadtratsmitglieder Jørgen Popp Petersen und Louise Thomsen Terp machen gute Arbeit. Es ist interessant, sich mit ihnen über ihr politisches Wirken austauschen zu können“, sagt Anneliese Bucka.

Zufriedenheit mit dem eigenen Leben

„Ich bin zufrieden mit meinem Leben“, fasst Bucka zusammen. Im Zuge des Internationalen Frauentages am 8. März 2019 griff „Der Nordschleswiger“ das Thema Gleichstellung in der Minderheit auf. Das gab Anneliese Bucka „Wasser auf ihre Mühle“ in ihrem Kampf für Gleichstellung.  

Eine Gleichstellungspolitik soll in den Verbänden der deutschen Minderheit mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Eine Arbeitsgruppe des Bundes Deutscher Nordschleswiger hat ein Papier zur Gleichstellungspolitik in der Minderheit erarbeitet, die im November 2019 vom Hauptvorstand des BDN gebilligt wurde. Vorausgegangen war eine Diskussion über das Fehlen weiblicher Führungskräfte in den Verbänden der deutschen Minderheit. Der Gleichstellung näher kommen will der BDN nun, indem in jedem Verband bis zum 31. Oktober ein Bericht über den jetzigen Status erstellt wird; darauf folgt ein Handlungsplan in jedem Verband. Diese Pläne sollen dann bis Ende 2020 dem Hauptvorstand vorgelegt werden.

Anneliese Bucka hat sich gut eingelebt in ihrer Seniorenwohnung im Tonderner Zentrum. Foto: Karin Riggelsen

In 100 Jahren ist es so weit

„Als Frau muss man immer wieder dafür sorgen, sichtbar zu sein und sich für Führungsposten zu melden. Wenn man Kinder in die Welt setzt, ist man dazu verpflichtet, ihnen den Weg zu ebnen. Deswegen muss man auch mitmischen in der Gesellschaft und politisch aktiv werden“, sagt die Seniorin, die sicher ist, dass sie zu Lebzeiten keine Gleichstellung erfahren wird.

 „In 100 Jahren ist es vielleicht so weit“, meint Bucka, die SP-Politikerinnen dazu auffordert, sich zu trauen, auch wenn es zugegebenermaßen schwer sein könnte, beispielsweise bei einer Wahl als Vorsitzender/Vorsitzende des Bundes Deutscher Nordschleswiger, gegen den amtierenden Vorsitzenden Hinrich Jürgensen anzutreten:

„Hinrich ist alles andere als ein schwacher Vorsitzender. Er ist überaus kompetent, und für Kandidaten und Kandidatinnen wird schwer, ihm standzuhalten bei einer Wahl“, stellt Anneliese Bucka fest. 

Ruth Maria Candussi arbeitet seit 2016 im „Haus Nordschleswig". Foto: Karin Riggelsen

SP-Parteisekretärin: „Wir arbeiten mit der Thematik und bewegen uns absolut in die richtige Richtung!“

Ruth Maria Candussi ist vor vier Jahren zur neuen Parteisekretärin der Schleswigschen Partei ernannt worden. Sie trat im April 2016 die Nachfolge von Gösta Toft an, als dieser in den Ruhestand ging.

Die 46-jährige Apenraderin hatte zuvor elf Jahre als Journalistin beim „Nordschleswiger“ gearbeitet. Ihr Engagement und Interesse für die Minderheit hat Ruth Maria Candussi von Kindheit an durch ihre Mutter, Lehrerin im Ruhestand Frauke Candussi, erfahren.

„Meine Mutter hat es mir vorgelebt und mich dazu ermuntert, mitzumachen, weil sie immer aktiv war in der Minderheit auf allen möglichen Ebenen“, erzählt Ruth Candussi.

Während es in ihrer Kindheit und Jugend eher sportliche Aktivitäten waren auf Nordalsen, bei denen sie aktiv war, weckte unter anderem die Teilnahme an Neujahrstagungen des Bundes Deutscher Nordschleswiger in Sankelmark ihr politisches Interesse.

Parteisekretärin Ruth Maria Candussi in ihrem Büro Foto: Karin Riggelsen

Gründungsmitglieder der Schleswigschen Partei

Ruth Maria Candussi ging 1995, nach dem Abitur am „Deutschen Gymnasium für Nordschleswig“ (DGN), nach Aarhus. Die Apenraderin studierte zunächst drei Semester Jura und wechselte dann auf Germanistik und Medienwissenschaft um.

Candussi beteiligte sich in Aarhus an studentenpolitischen Aktivitäten. Als Ende der 1990er Jahre in Nordschleswig der Wunsch nach einer politischen Jugendorganisation entstand, gehörte sie 1998, unter anderem zusammen mit Stephan Kleinschmidt und Jesper Jessen, zu den Gründungsmitgliedern der „Jungen Spitzen“.

Allan Nielsen wurde zum ersten Vorsitzenden gewählt. Als Nielsen nach einigen Monaten zurücktrat, übernahm Ruth Maria Candussi das Amt, das sie insgesamt rund zweieinhalb Jahre innehatte.

Die richtige Mischung

Candussi ist seit 2003 Magister (dänisch: cand.mag.) der Germanistik und Medienwissenschaft. Während ihres Studiums machte sie auch ein Auslandssemester in Kiel.

„Ich wollte aber nach Nordschleswig zurück. Hier gibt es genau die richtige Mischung zwischen Deutsch und Dänisch“, sagt Ruth Maria Candussi, die als Volontärin ihren Einstieg hatte beim „Nordschleswiger“ und sich auch in ihrem Amt als Vertrauensfrau mit arbeitspolitischen Themen auseinandersetzte.

Candussi ist die erste weibliche Parteisekretärin

Im Frühjahr 2015 wurde Candussi zur stellvertretenden Hauptvorsitzenden des BDN gewählt. „Ich wurde gefragt, ob ich kandidieren wollte, und ich wurde gewählt“, so Candussi, die das Ehrenamt aufgeben musste, als sie ein Jahr später hauptberufliche SP-Parteisekretärin wurde.

Candussi hat somit, genau wie die Tonderanerin Anneliese Bucka, neue Wege beschritten in der Minderheit.

Nach Birgit Mørck, die von 1996 bis 2002 amtierte, ist Candussi die zweite stellvertretende Vorsitzende des BDN-Hauptvorstandes – und die erste Parteisekretärin.  Für die 46-Jährige ist nachvollziehbar, was Anneliese Bucka als damalige „SP-Nachrückerin“ offenbar in einer „männerdominierten Welt“ erlebte.

Ruth Maria Candussi fühlt sich zu Hause im „Haus Nordschleswig". Foto: Karin Riggelsen

Männer wie Frauen sollten Entscheidungen mitprägen

„Das hat Eindruck im negativen Sinne auf Anneliese Bucka gemacht, und es hat sie geprägt, wie sie ausmanövriert wurde, wie es gang und gäbe war damals und teilweise auch heute noch“, sagt Ruth Maria Candussi.

Dass die Seniorin dafür in die Bresche springt, dass Frauen mit gutem Beispiel vorangehen, um ihren Töchtern den Weg zu weisen, unterstützt Candussi:

„Wenn man Töchter hat, hat die Mutter die Vorbildfunktion. Ich will das jetzt nicht niedermachen, aber wenn der Haushalt das oberste Wirkungsfeld ist und man selber keine Ambitionen entwickelt, um sich in der Gesellschaft zu engagieren, wird der Tochter das Engagement nicht vorgelebt“, sagt Ruth Maria Candussi.

Ihrer Ansicht nach ist wichtig, dass nicht nur in der Politik, sondern auf allen anderen Ebenen in der Gesellschaft Männer wie Frauen mit am Tisch sitzen, wenn Anliegen diskutiert und Entscheidungen getroffen werden. Sitzen beide Geschlechter mit am Tisch, könne das bewirken, dass die Diskussion und die Qualifizierung einer Entscheidung sich vielleicht in eine andere Richtung bewegt und letztendlich dann auch repräsentativer ist oder vielleicht qualifizierter und eher die Gesamtzusammensetzung einer Gesellschaft widerspiegelt, sagt Candussi.   

Frauen sind in der Minderheit in der Minderheit

Ruth Maria  Candussi weiß nicht, ob der Gleichstellungs-Zeitplan im Kielwasser der Schutznahmen gegen das Coronavirus ins Wanken geraten könnte. Die Gleichstellungspolitik mit Handlungsplan ist das Dokument, das vor knapp einem Jahr an alle Verbände geschickt wurde. Die Gleichstellungspolitik ist somit in Kraft getreten, die Umsetzung soll mit Handlungsplänen angeschoben werden.

Es könne, so Candussi, von Verband zu Verband uneinheitlich sein, wie man diese Umsetzung angeht. Die Pläne können unterschiedlich ausfallen, weil die Verbände nicht die gleichen Voraussetzungen haben. Die Minderheit setzte sich national und international unter anderem für die Gleichstellung von autochthonen Minderheiten und für Vielfalt ein, und deswegen müsse die Machtstruktur auch der heutigen Gesellschaft angepasst werden, so die Parteisekretärin.

Das ist eine super positive Entwicklung bei den Jungen Spitzen

Ruth Maria Candussi, Parteisekretärin
Die Partei-Sekretärin hat ihren Arbeitsplatz und Wohnort in Apenrade. Hier engagiert sie sich auch seit etwa zehn Jahren im Ortsvorstand des BDN. Foto: Karin Riggelsen

„Junge Spitzen“ weisen den Weg

Ruth Candussi freut sich darüber, dass es sowohl bei den „Jungen Spitzen“ als auch im überregionalen SP-Vorstand bereits gelungen ist, die Frauenquote etwas anzuheben.

So konnte Tobias Klindt, Vorsitzender der Jugendorganisation, bei der Konstituierung des neuen Vorstandes im August im Kreis des 15-köpfigen Vorstandes sechs junge Frauen begrüßen. Die Hauptorganisation wird nach der Hauptversammlung, die coronabedingt nicht am 24. September durchgeführt werden konnte, voraussichtlich drei Frauen in ihren Vorstand wählen.

„Das ist eine super positive Entwicklung bei den Jungen Spitzen“, so Candussi. Die SP ist in den vier Stadträten des Landesteils mit insgesamt zehn Mandaten vertreten. In Sonderburg/Sønderborg gehören dem fünfköpfigen SP-Team zwei Frauen an, und das SP-Duo in Tondern setzt sich aus einem Mann und einer Frau zusammen. 

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