Minderheitenpolitik

Der Tag, an dem das zweisprachige Ortsschild verschwand

Der Tag, an dem das zweisprachige Ortsschild verschwand

Der Tag, an dem das zweisprachige Ortsschild verschwand

Hadersleben/Haderslev
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Ute Levisen August 2024
Die Journalistin Ute Levisen – neun Jahre nach dem Trubel um ein zweisprachiges Ortsschild in Hadersleben am „Tatort“. Foto: Karin Riggelsen

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Minderheiten-Drama mit offenem Ende: Was war da in Hadersleben los, Ute Levisen? Die „Nordschleswiger“-Journalistin ist seit einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Jahr 2015 ganz nah dran am Geschehen. Im Interview erinnert sie sich, wie die Domstadt und sie selbst ins Zentrum des internationalen Interesses rückten.

Neun Jahre ist es her, dass der damalige Bürgermeister der Kommune Hadersleben, Hans Peter Geil (Venstre), etwas Außergewöhnliches wagte: Er ließ eines der Ortsschilder der Stadt Hadersleben austauschen und durch eines ersetzen, auf dem unter dem dänischen Ortsnamen Haderslev auch der deutsche Ortsname Hadersleben zu sehen war. Aus der im Stillen durchgeführten Aktion wurde schnell ein international verfolgtes Drama. 

Die „Nordschleswiger“-Journalistin Ute Levisen deckte die Geschichte damals auf – und wurde so selbst zur gefragten Quelle. Wie lief das damals alles ab – und was ist geblieben? Ein Besuch bei der Redakteurin in ihrem Büro im Medienhaus in Hadersleben.

Ute, du hast vor neun Jahren einen kleinen Scoop gelandet in Bezug auf die Ortsschilder. Erzähl doch mal, was damals hier in Hadersleben passiert ist – und wie du die ganze Sache erlebt hast.

„Das war 2015 im Frühjahr und es war nicht mein Scoop alleine, sondern den habe ich meiner Kollegin Mette Westphal zu verdanken, die damals für eine Haderslebener Wochenzeitung namens Budstikken gearbeitet hat und früher auch mal in der Lokalredaktion in Apenrade tätig war für den Nordschleswiger. Mette rief mich eines Tages an und fragte ganz erstaunt, ob sich hier irgendwas getan hätte, mit Blick auf die zweisprachigen Ortsschilder. Und ich war extrem verwundert, fragte sie, wie sie denn darauf käme. Sie sagte, sie sei gerade in Hadersleben an einer Abfahrt am Rand der Innenstadt an einem zweisprachigen Ortsschild vorbeigefahren.“

Und dann war die Hölle los. Nicht nur in Hadersleben, sondern in ganz Europa.

Ute Levisen

Und davon wusste niemand?

„Ich konnte es gar nicht glauben, ich fiel aus allen Wolken. Ich sagte nein, ich weiß von nichts, ich weiß von keinem Beschluss. Und dann habe ich sie gefragt, ob sie das Schild fotografiert hat und sie sagte, nein. Da habe ich sie gebeten, doch bitte mal ganz schnell umzukehren, ein Bild zu machen, weil man ja nie wisse, wie lange so ein zweisprachiges Ortsschild stehen bleiben wird.“

Haderslebens damaliger Bürgermeister Hans Peter Geil vor dem Ortsschild, dem eine kurze Verweildauer im Straßenbild der Domstadt beschieden war (Archivfoto). Foto: Henning Bagger/Ritzau Scanpix

Und dieses zweisprachige Ortsschild, war das ein Gag? Wie seid ihr mit der Geschichte weiter vorangegangen?

„Unser damaliger Bürgermeister von Hadersleben, der Venstre-Politiker Hans Peter Geil, war tatsächlich ein Spaßvogel. Er wollte das einfach mal ausprobieren, wie das so ist mit einem zweisprachigen Ortsschild. Die Debatte darüber hat es lange gegeben. Und da hat er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, in Anführungszeichen, in einer Bürgermeisterentscheidung beschlossen: ,Wir stellen jetzt mal so ein Schild auf!' Davon wusste niemand im damaligen Stadtrat etwas, aber Hans Peter Geil hatte sich damals gedacht, schauen wir mal, wie lange es stehen bleibt und vielleicht merkt es ja keiner. Er wollte damit zeigen, dass die Debatte über das zweisprachige Ortsschild einfach nur ein Sturm im Wasserglas ist. Das war es dann auch, circa eine Woche lang, bis Mette das Schild entdeckte. Und dann war die Hölle los. Nicht nur in Hadersleben, sondern in ganz Europa.“

Bevor die Hölle losgeht: Reden wir mal über das Corpus Delicti. Wie sah das Schild denn aus?

„Da stand, wie wir das kennen, mit Großbuchstaben Haderslev drauf und unten dann kleiner Hadersleben. Und auf der Rückseite natürlich auch. Wenn man einen Ort wieder verlässt, ist da ja dann noch dieser rote Strich durch das Ortsschild. Hintergrund war, dass laut einer Verfügung ohnehin Ortsschilder ausgetauscht werden sollen, und zwar in ganz Dänemark, weil sie etwas höher über der Erde sein sollten als bis dato. Und deswegen hatte sich der damalige Bürgermeister gedacht, ja schön, dann probieren wir das aus, lassen wir diesen Probeballon mal steigen.“

Ute Levisen August 2024
Ute Levisen reagierte schnell, als sie von der Ortsschild-Aktion erfuhr. Heute steht an der Stelle ein unspektakuläres, einsprachiges Ortsschild. Foto: Karin Riggelsen

Und der ist dann gestiegen und du gehörtest zu den beiden, die gemerkt haben, was da eigentlich los war. Wie ging es weiter?

„Dann hat Mette das Foto gemacht und ich habe zuerst natürlich den Bürgermeister angerufen. Der hat mir dann den Hintergrund erklärt. Und dann habe ich einen Artikel darüber geschrieben. Ich habe mich mit meiner damaligen Kollegin darauf verständigt, dass wir das einen Tag später gemeinsam breaken würden, um 9 Uhr morgens. Ich habe einen Teil der Recherche gemacht, die habe ich ihr auch zur Verfügung gestellt – und umgekehrt hat sie mir ihre Bilder zur Verfügung gestellt. Und um 9 Uhr morgens am nächsten Tag haben dann Budstikken Haderslev und der Nordschleswiger die Geschichte gemeinsam gebreakt.“

Mit welchen Folgen?

„Es dauerte keine 20 Minuten, da war die Story in ganz Europa herum, natürlich vor allem auch in Dänemark. Wir haben es dann auch über die Nachrichtenagentur Ritzau veröffentlicht. Und seither kam der Bürgermeister aus dem Interviewgeben gar nicht mehr raus. Aus Deutschland reisten die Kolleginnen und Kollegen auch an, um zu hören, was das denn jetzt sei. Dänemark ist ja ein Schlusslicht, was das angeht. Dass man sich in der Domstadt eines Besseren besonnen haben soll, das war dann ja doch Breaking News. Das konnte man vielerorts gar nicht fassen, und darum war hier wirklich Holland in Not.“

Die Presse hat sich ja auch bei dir gemeldet, nicht nur beim Bürgermeister. Was kamen da für Fragen?

„Man wollte natürlich wissen, was es damit auf sich hat und warum Dänemark so etwas nicht schon längst hat und wie das aufgenommen worden ist von der Bevölkerung.“

Was hast du denen geantwortet? 

„Dass es in Dänemark immer noch kräftige Emotionen gibt, was die Vergangenheit angeht. Und es ist dann ja auch von der Politik immer wieder abgelehnt worden, dieses Ansinnen der zweisprachigen Ortsschilder, gerade mit Blick auf die Weltkriegsveteranen beider Weltkriege. Und dass man auf deren Befindlichkeit halt Rücksicht nehmen müsste. Das war die Argumentation. Meiner Meinung nach vergibt man sich aber als Stadt eine große Chance, wenn man die eigene Vergangenheit nicht auch aufbereitet, sie erzählt. Und zwar alle Seiten dieser Vergangenheit. Von daher hat Hadersleben viel zu bieten – und kaum jemand weiß es.“

Wieder einmal haben jene gewonnen, die am lautesten schreien und die merkwürdigsten Argumente vorbringen.

Ute Levisen

Du hast dann auch die Kommentare verfolgt, die im Internet, in den sozialen Medien und anderswo kamen. Gab es einen Tenor, was fiel dir auf?

„Mir ist aufgefallen, nachdem ich Tausende Kommentare in den sozialen Netzwerken studiert habe, dass es Unterschiede gibt, um welches Medium es sich handelt. Bei ,Ekstra Bladet', die haben so eine Sparte gehabt, die hieß ,Nationen', da waren wenig überraschend 90 Prozent dagegen. Mit den abgefahrensten Argumenten, nach dem Motto ,die Deutschen werden ja den Weg hierher schon finden, es gibt ja schließlich GPS'. Oder ,die Deutschen sollen einfach dahin gehen, wo sie herkommen'. Und das ist mit Blick auf die Minderheiten-Deutschen natürlich ein Problem, dass es sich nicht überall in Dänemark herumgesprochen hat, dass die Minderheit hier zu Hause ist. Das hat dann ja auch der BDN-Hauptvorsitzende Hinrich Jürgensen noch einmal betont.“

Er spricht immer gerne davon, dass die Grenze umgezogen sei und nicht die deutsche Bevölkerung ...

„... und ein Großteil der Kommentare zeigt eben entsprechend, dass es notwendig ist, diese Geschichte zu erzählen – und die Geschichte ist ja spannend. Sie fängt im 19. Jahrhundert an, richtig spannend zu werden, mit 1864 natürlich, dem großen dänischen Trauma. Dann weiter 1920 mit der Volksabstimmung, der Grenzziehung und sie hält an bis in die Nachkriegszeit, in der die Gegensätze unübersehbar waren und bis in unsere heutige Zeit. Wo sich einiges getan hat, und zwar zum Besseren. Damals ist mir aufgefallen, als ich die Kommentare gelesen habe, dass ein Übergewicht von, ich würde sagen, 60 bis 65 Prozent tatsächlich pro zweisprachige Ortsschilder waren, aber wieder einmal haben jene gewonnen, die am lautesten schreien und die merkwürdigsten Argumente vorbringen.“

Und es wurde dann ja nicht nur geschrien – sondern auch zur Tat geschritten. Die Geschichte entwickelte sich noch weiter. Was ist da passiert? 

„Das war eine actionreiche Zeit damals. Nachdem wir über dieses erste und einzige zweisprachige Ortsschild berichtet hatten, und dann auch alle Medien in Dänemark, in Deutschland ging die Sache auch rum, in Europa natürlich auch, weil es dort viele Minderheiten gibt, stellte sich dann am nächsten Morgen heraus, dass das Ortsschild verschwunden war. Ein Anrainer wachte am Morgen zu einem besonderen Anblick auf. Da stand nämlich das zweisprachige Ortsschild in seinem Garten, angelehnt an eine Mauer.“

Wie kam das?

„Unbekannte hatten, und dieses Mal wirklich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, das Schild herausgerissen. Ein Schild, das wohlgemerkt einiges auf die Waage bringt. Sie hatten es über die Straße transportiert und dort über eine Mauer hinweg in einem Garten angebracht. Ja, und dann dauerte es gar nicht lange, dann fühlte sich unser damaliger Vorsitzender des Technischen Ausschusses, der Landwirt Benny Bonde, damals Liberale Allianz, berufen, mit seinem Tieflader zu kommen und das Schild abzuholen und in seine Scheune zu verfrachten. Und wenig später einigte man sich dann darauf, zusammen mit der Kommune Hadersleben und dem Museum in Sonderburg, dass das zweisprachige Schild jetzt ein Fall für das Museum wird.“

Ute Levisen August 2024

Ute Levisen

  • Die ausgebildete Landwirtin hat ein Studium der Sprach- und Literaturwissenschaft an den Universitäten Rostock, Odessa und Riga abgeschlossen. 
  • Nach dem Volontariat und der anschließenden Arbeit als Reporterin bei den „Lübecker Nachrichten“ wechselte sie 1996 zum „Nordschleswiger“. 
  • Nach elf Jahren in der Hauptredaktion in Apenrade übernahm sie 2007 die Lokalredaktion in Hadersleben.

Wie hat Bonde das damals begründet, dass er derjenige ist, der das Schild jetzt bei sich lagern darf?

„Also, Benny Bonde war schon immer ein Mann der Tat. Wenn irgendetwas im Argen lag, Müll auf der Straße oder so, dann kam er schon gerne mal vorbei und hat ein wenig aufgeräumt. Und das hat er auch mit diesem Schild getan. Obwohl er ein Gegner des Schildes war. Er empfand es als unmöglich, dass einfach so ein Schild, das ja sein Freund, Bürgermeister Geil, in einer Bürgermeisterentscheidung hat aufstellen lassen, jetzt irgendwo bei einem Privatgärtner herumsteht“.

Er hätte es ja auch wieder aufstellen können, aber darauf ist er dann offenbar nicht gekommen. Wie entwickelte sich die Geschichte dann weiter? Wenn jemand ein Schild herausreißt, muss da nicht ein neues aufgestellt werden? Muss das nicht ersetzt werden?

„Das zweisprachige Schild ist nicht wieder aufgestellt worden. Stattdessen ist das alte, nur dänischsprachige Ortsschild wieder aufgestellt worden. Aber es gab dann ein paar Jahre später, 2020, erneut einen Anlass für den damaligen Stadtrat, doch noch einmal einen Probeballon steigen zu lassen. Man wollte in einer Art Pilotversuch versuchen, ein zweisprachiges Ortsschild in Hadersleben, an den vier Ortseingängen, also an Aus- und Einfallstraßen, aufzustellen. Das mit Blick darauf, dass ohnehin Schilder ausgewechselt werden müssen. Das ist ja ein Prozess, der nicht sofort umgesetzt wird, sondern das läuft peu à peu. Es sollten also nicht überall solche Schilder aufgebaut werden, sondern an den vier Ein- bzw. Ausfallstraßen sollten zweisprachige Ortsschilder kommen.“

Also wieder der dänische Name groß und Hadersleben auf Deutsch klein darunter. Das war der Plan. Du hast damals darüber ausführlich berichtet  – auch über die Debatten im Vorfeld hier im Stadtrat. Und eigentlich sah es ja so aus, als würde das dann alles glattlaufen.

„Ja, ich habe mich im Vorfeld der Stadtratssitzung, als es um diesen neuralgischen Punkt ging, mal umgehört in unserer Politik. Und konnte schon sehr bald merken, dass sich ein Übergewicht an Befürworterinnen und Befürwortern abzeichnete. Ich habe dann auch einzelne Politikerinnen und Politiker der verschiedenen politischen Lager interviewt, einen Artikel geschrieben und veröffentlicht. Es war deshalb für mich eine große Überraschung, als ich feststellen musste, dass ein Politiker, und zwar die entscheidende Stimme, wenn ich es mal gewählt ausdrücken soll, einen Rückzieher gemacht – und blank gestimmt hat. Das heißt, die Sache ist dann gewissermaßen abgeschmettert worden. Aber verdammt knapp.“

Und jetzt hat Hadersleben weiterhin nur dänischsprachige Ortsschilder. Wo stehen wir jetzt, wie siehst du die Zukunft hier in der Kommune?

„Momentan ist die Debatte um die zweisprachigen Ortsschilder wieder ein bisschen eingeschlafen. Die Feierlichkeiten zum großen Grenzlandjubiläum sind vorbei, die Sonntagsreden auch. Und es ist wieder Ruhe eingekehrt in eine sonst sehr emotionsgeladene Debatte. Was ich eigentlich schade finde, denn, wie ich vorher schon gesagt habe, man vergibt sich als Domstadt, als Region eine Menge, wenn man nicht über seine Vergangenheit mithilfe dieses Ortsschildes berichtet. Gerade die öffentliche Debatte zeigt, dass ein ganz großer Nachholbedarf und Lernbedarf besteht, was die eigene Geschichte angeht. Denn wer die eigene Geschichte, die eigene Vergangenheit nicht kennt, ist für die Zukunft und die Gegenwart einfach nicht gewappnet. Und jetzt haben wir mit der Gegenwart ja gerade genug zu tun.“

Das vollständige Interview mit Ute Levisen erscheint in Kürze im Podcast „Mojn Nordschleswig“.

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