Literaturcafé

„Bücher machen glücklich, trösten, regen an und regen auf“

„Bücher machen glücklich, trösten, regen an und regen auf“

„Bücher machen glücklich, trösten, regen an und regen auf“

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Annemarie Stoltenberg im Haus Nordschleswig. Foto: Karin Riggelsen

Annemarie Stoltenberg gab rund 70 Gästen anregende Lesetipps beim Literaturcafé in der Deutschen Zentralbücherei.

Die Bücherliste

Dörte Hansen
Mittagsstunde
Penguin 22

Siegfried Lenz:
Deutschstunde
Jubiläumsausgabe
Hoffmann und Campe 25   

Hans Pleschinsky:
Wiesenstein
C. H. Beck 24   

Michael Kleeberg:
Der Idiot des 21. Jahrhunderts
Galiani 24   

Eduard von Keyserling:
Landpartie
Manesse 28   

Juli Zeh:
Neujahr
Luchterhand 20   

Alexander Schimmelbusch:
Hochdeutschland
Klett-Cotta 20   

Judith Schalansky:
Verzeichnis einiger Verluste
Suhrkamp 24   
 

Annemarie Stoltenberg macht es anders. Werke, die auf der Short List des Deutschen Buchpreises standen, hat sie  bewusst nicht mitgebracht. Auch nicht „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke, das den Preis schließlich gewann.  Um ihrem Publikum  im Literaturcafé der Deutschen Zentralbücherei Apenrade die Gründe dafür zu erläutern, machte sie einen Abstecher in ihre Kindheit.

Denn: Den Grundstock für Annemarie Stoltenbergs Leselust hat möglicherweise ihre Großmutter gelegt. Indem sie die Enkelin im Buchladen selbst   aussuchen ließ, was diese lesen wollte. „Mich interessierte damals nicht das, was mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet worden war. Als Kind hasst man pädagogisch wertvolle Bücher“, versicherte die Hamburgerin. „Enid Blyton gefiel mir besser. Schließlich griff ich zu ,Pucki wird eine glückliche Braut’.“ 

Die gelernte Buchhändlerin,   Autorin und studierte Literatur- und Sprachwissenschaftlerin   hatte die rund 70 an Literatur Interessierten mit dieser persönlichen Schilderung   eigentlich schon in der Tasche. Endgültig packte sie  ihr Publikum, als sie von der Reaktion  ihrer zweijährigen Enkelin erzählte, wenn dem Kind etwas vorgelesen wird. Dann fordert es – nachdem der letzte Satz verklungen ist: „Noch mal!“ „Und deshalb habe ich Ihnen Bücher mitgebracht,  bei denen auch Sie mit ebenso viel Lebensfreude rufen sollen: Noch mal!“

Und es ist ihr wahrlich gelungen, die Zuhörer – darunter viele Stammgäste –  an ihrer Lese-Leidenschaft teilhaben zu lassen. Spaß machten zudem die humorigen Anekdoten aus dem Literaturbetrieb, Zitate von Autoren und Details aus deren Biografien.

Rund 70 Gäste waren anwesend. Foto: Karin Riggelsen

Peter Härtling:
Der Gedankenspieler:
Kiepenheuer & Witsch 20   

Robert Seethaler:
Das Feld
Hanser Berlin 22   

Joachim Zelter:
Im Feld
Klöpfer & Meyer 20   

Gert Heidenreich:
Das Schweigekind
Transit 20   

Timur Vermes:
Die Hungrigen und die Satten
Eichborn 22   

Ulla Lachauer:
Von Bienen und Menschen
Rowohlt 22   

Susanne Stephan:
Nelken. Reihe Naturkunden
Matthes & Seitz 18   

Michael Krüger:
Vorübergehende
Haymon 19,90   

Martin Suter:
Allmen und die Erotik
Diogenes 20   

Zsuzsa Bank:
Weihnachtshaus
Edition Chrismon 12  

Schwer begeistert von der „Mittagsstunde“

Das erste Buch, das Annemarie Stoltenberg vorstellte, war das zweite von Dörte Hansen, „Mittagsstunde“, und es gefiel ihr noch besser als deren Debüt „Altes Land“. „Schwer begeistert“ ist sie von dem Roman, der in Nordfriesland spielt und „in dem das Dorf Brinkebüll an sich die Hauptfigur ist“. Die Autorin beschreibt darin  60 Jahre Entwicklung  „des geschundenen Landes“,  das zunehmend von Maisfeldern,  Biogas- und Windkraftanlagen geprägt ist und an deren Ende das Verschwinden der bäuerlichen Welt steht. Von der Sprache ist Stoltenberg ebenso begeistert wie von den  Personen im Buch. „Alle, die man kennenlernt, rücken einem näher.“

Im Gepäck hatte Stoltenberg zudem die Jubiläumsausgabe der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz. Das Buch, das erstmals vor 50 Jahren veröffentlicht wurde und „das die Literaturkritiker damals durch  die  Bank weg verrissen haben, hat der Verlag in ein Goldhochzeitskleid gehüllt mit goldenem Lesebändchen“. Für Annemarie Stoltenberg „schwere Kost, aber ein beglückendes Lektüre-Erlebnis“.

„Der Idiot des 21. Jahrhunderts“ von Michael Kleeberg erfordere Ruhe und Zeit, biete aber mit einem „absolut luziden Blick auf unsere heutige Zeit“ ein intensives Lese-Erlebnis.

„Wenn Sie Ihr Vokabular schleifen und auffüllen möchten, lesen Sie die Erzählungen ,Landpartie’ von Eduard von Keyserling.“ Spannung bis zum Schluss habe ihr Juli Zeh mit dem „geschickt inszenierten“ Roman „Neujahr“ geschenkt, die mit dem Buch das moderne Familienleben mit Mitteln der Literatur erkundet habe.

Als „hochintelligenten, blitzgescheiten und urkomischen Roman  hat Stoltenberg „Hochdeutschland“ von Alexander Schimmelbusch erlebt. „Geballte Ladung neudeutsche Wirklichkeit, mit der der Autor beleuchtet, was los ist in unserem Land.“

Wer sich an das Thema Missbrauch herantraut, liest den Roman „Das Schweigekind“ von Gert Heidenreich. „Ich habe darüber noch nie mit solcher Tiefe und Würde gelesen“, versichert Stoltenberg. Und wer es „nur nett haben möchte in einem Buch“, der schnappt sich „Allmen und die Erotik“ von  Martin Suter. „Das ist Erholung pur.“

Foto: Karin Riggelsen

„Bücher helfen ganz unterschiedlich“

Es gibt unter den neuen Büchern  also viel zu entdecken und an der Einstellung  Umberto Ecos nichts zu rütteln, den   Stoltenberg zitierte: „Er hat einmal gesagt, es gebe  ein paar Dinge, die man nicht verbessern kann: Eimer, Löffel, Buch’.“ Was sich schließlich mit ihrer Sichtweise deckt: „Bücher machen glücklich, sie trösten, regen an, regen auf, begleiten – sie helfen ganz unterschiedlich. Ich  kann sie lesen, wo ich möchte, ohne dass mir jemand  über  die Schulter schaut und  fragt, ob ich etwas Ähnliches bestellen möchte.“ Wie es eben im Internet der Fall ist. „Bücher sind ein kostbarer Besitz.“

„Sie geht sehr achtsam mit Worten und Autoren um“

Dass der Applaus nach Annemarie Stoltenbergs Schlusswort lange anhielt,   mag daran liegen, dass viele Zuhörer ähnlich empfanden wie Brigitte Handler. „Sie berührt mit dem, was sie über die Bücher erzählt, und sie geht sehr achtsam mit Worten  und mit den Autoren um“, sagt die 66-jährige ehemalige Sozial- und Heilpädagogin. „Ich habe ihre Buchvorstellungen noch nicht einmal versäumt – und möchte das auch auf keinen Fall.“

Übrigens: Für den deutschen Buß- und Bettag am 20. November 2019 hat die Hamburgerin den Termin gleich am Mittwochabend in ihrem Kalender notiert. Im nächsten Jahr  kommt sie dann  bereits zum 17. Mal nach Apenrade.

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